Die hohe Kunst des Spielverderbens

Im Zusammenhang mit der Fußball-WM im vergangenen Jahr wurde immer wieder gern der Vergleich zum Karneval gezogen: wmshow.jpgMenschen malen sich bunt an, sammeln sich in großen Mengen an zentralen Punkten der Stadt, singen, feiern, trinken Bier. Der Vergleich ist aber noch in anderer Hinsicht durchaus stimmig. Denn wie der Karneval provozierte auch das sportliche Großereignis 2006 nahezu alle Menschen dazu, in irgendeiner Form Stellung zu beziehen. Entweder man mutierte für vier Wochen zum begeisterten Fan, der diese Begeisterung auch lautstark nach außen trug, oder aber man outete sich als desinteressiert, nörgelte über die ununterbrochene Berichterstattung und die schwarzrotgoldene Massenhysterie. Es schien unmöglich, keine Meinung zur WM zu haben.

„Die WM-Show“, das wahrscheinlich noch nicht letzte Buch zur WM in einer langen Veröffentlichungsreihe, setzt sich nun beherzt zwischen die Stühle, weil es auf der einen Seite versucht, der „besten WM aller Zeiten“ die negativen Seiten abzuringen, auf der anderen Seite aber sichtlich bemüht ist, niemandem nachträglich in die Suppe zu spucken. „Die WM-Show“ ist ein (Fernseh)Tagebuch, geführt von Journalisten der Zeitschrift „Funkkorrespondenz“, das dort erstmals Woche für Woche veröffentlicht wurde und nun in gebündelter Form vorliegt. Die dadurch gebotene Vielfalt macht dann auch den Unterhaltungswert des Buches aus: Der eine schreibt über die gesehenen Spiele, der andere über die gebotene Berichterstattung, wieder ein anderer über die WM auf den Straßen, einer gar darüber, wie er die WM gänzlich ohne Fernsehen erlebt hat. Das liest sich durchweg leicht und flüssig und hier und da bleibt auch mal etwas Verwertbares hängen. Das zentrale Thema des Buches, die Fernsehkritik, hinterlässt aber einen etwas schalen Nachgeschmack: Es riecht immer ein bisschen nach Standesdünkel und Neid, wenn Journalisten der schreibenden Zunft über ihre Fernsehkollegen lästern. Da wird sich dann an jeder missglückten Metapher aufgehängt, die doch eigentlich längst dem gnädigen Vergessen anheim gefallen wäre, würde sie in diesem Buch nicht wieder ausgegraben. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird mit erkennbarer Schadenfreude als die geldgeile, alles mit Werbung zuballernde Institution verschrieen, die sie nun einmal ist. Bezeichnenderweise wird dann auch Marcel Reif vom Pay-TV-Sender Premiere als der Messias der Sportberichterstattung gefeiert, dessen untragbares Pendant natürlich nur Johannes B. Kerner sein kann.

Das ist alles eben nicht gerade neu, im Gegenteil eigentlich ja absoluter Konsens. Wirklich Böses bekommt man dann auch nicht zu lesen. Letzten Endes ist man sich natürlich einig, dass die WM ganz famos und toll war und beste Werbung für unser Land. Die paar kleinen Hinweise darauf, dass man das auch anders sehen kann, überliest man gnädig. So stellt sich am Ende der Eindruck absoluter Beliebigkeit ein: Dass sich ein im Wochenrhythmus veröffentlichtes Tagebuch nicht so ohne Weiteres in Buchform umwandeln lässt, ist auch daran zu erkennen, dass „Die WM-Show“ mit allerhand Füllmaterial vollgestopft wurde, um es auf ein handliches Format von ca. 220 Seiten zu bringen. So bleibt ein zwar kurzweiliges Buch übrig, dass aber leider kaum neue Erkenntnisse bereithält. Außer vielleicht der, dass die vielleicht einzige Möglichkeit der WM-Kritik in einem Buch liegt, in dem das Sportereignis mit keiner Silbe erwähnt wird.

Dieter Anschlag (Hg.)
Die WM-Show.
Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006
224 Seiten (Broschiert), 14,90 Euro

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