Meine liebe Rabenmutter

Die meisten Morde sind Beziehungstaten. Hubert Minels Tat ist ein klassischer Fall. „I killed my Mother“, gesteht er im gleichnamigen Mutter-Kind-Drama; kein kriminalistisches, sondern ein emotionales Bekenntnis. In seinem in Cannes in der Reihe „Quinzaine des realisateurs“ aufgeführten halb-biografischen Beziehungsproträt inszeniert der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Xavier Dorval seinen persönlichen Familienkonflikt als zermürbendes Pubertätsdrama.

Was sich liebt, das neckt sich. Der 17-jährige Hubert (Xavier Dolan) verabscheut seine Mutter Chantale (Anne Dorval) für ihre Geschmacklosigkeit, ihr Unverständnis und aus all den anderen Gründen, aus denen ein verunsicherter Jugendlicher seine Eltern ablehnt. Gleichzeitig ist er Chantale, deren wechselhaftes Temperament ähnlich unreif erscheint wie das ihres Sohnes, in unterdrückter Zuneigung verbunden. Ihre Hassliebe zelebrieren Mutter und Sohn in brutalen Wortgefechten. Wenn sie den physischen Mord am Gegenüber nicht wagen, sollen messerscharfe Sätze das Hassobjekt zumindest seelisch vernichten. Ein tiefschürfendes Seelendrama will „I killed my Mother“ sein. Doch Dolans zweiter Spielfilm bleibt zu dicht an der Oberfläche, um fühlbare emotionale Intensität zu erzeugen. Wenn auch die eindringliche Darstellung Anne Dorvals als zwischen Ablehnung und unwillkürlicher Sehnsucht nach Nähe schwankende Chantale alle Voraussetzungen für ein authentisches Beziehungsporträt liefert, ist „I killed my Mother“ zu sehr mit den Konflikten seines Hauptcharakters beschäftigt.

Psychologisch hintergründiger als Dolans selbst verfasstes Drehbuch scheint der Filmtitel. Hubert selbst steht im Zentrum. Chantale ist bloßes Objekt, semantisch durch ihren symbolischen Tod eine Abwesende. Dass auch sie nicht als Alleinschuldige an den Streitereien erscheint, scheint mehr Dolans Egozentrik denn einer Neubewertung der familiären Auseinandersetzungen geschuldet. Zu flüchtig und gewöhnlich ist die autobiografische Gestalt des Hubert, als dass er gegen einen komplexe Gegenfigur bestehen könnte. Die seelischen Risse der Protagonisten werden angedeutet, den Blick in die psychischen Abgründe scheut das vorgeblich schonungslose Drama jedoch. Ist Huberts Hass auf seine Mutter Ausdruck eines männlichen Elektra-Komplexes, die Aggressionen gegenüber Chantale die Konsequenz eines unterdrückten Verlangens nach dem abwesenden Vater? Wurzelt seine Abneigung in einem verdrängten Kindheitstrauma?

Womöglich verrät „I killed my Mother“ nicht mehr, weil es nicht mehr zu verraten gibt, weil Huberts Gefühle letztendlich nur die melodramatische Variante gewöhnlicher Teenager-Kontroversen ist. Statt verstörend oder kontrovers wirkt die unsichere Jugendaufarbeitung ernüchternd belanglos.

I killed my mother
(J’ai tué ma mère, Kanada 2009)
Regie: Xavier Dolan; Drehbuch: Xavier Dolan; Musik: Nicholas Savard-L’Herbier; Kamera: Stephanie Anne Weber Byron; Schnitt: Schnitt: Helene Girard
Darsteller: Xavier Dolan, Anne Dorval, Francois Arnaud, Suzanne Clément, Patricia Tulasne
Länge: 100 Minuten
Verleih: KOOL Filmdistribution

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.