Lost and Found

Das Festival präsentiert die Früchte der Saat, die es im letzten Jahr ausgeworfen hat: Lost and Found, im Forum als Eröffnungsfilm zu sehen, ist ein Omnibusfilm, dessen einzelne jungen Regisseure auf dem letztjährigen Berlinale Talent Campus zueinander fanden. Die Anregung zur Kurzfilmsammlung stammt von Nikolai Nikitin, unter anderem Herausgeber des Schnitt, und entsprechend dessen Leidenschaft für das Kino Osteuropas ist Lost and Found eine Bilanz jungen Filmschaffens auf dem Balkan und den Anrainerstaaten geworden. Ergänzt wurde die Talentschau durch den Kurzfilmpreisträger des letzten Jahres und einen Zusammenhang stiftenden Animationsfilm nutzt man als Scharnier und Rahmung des fertigen Pakets.

Die Idee an sich ist gut und nur naheliegend; dass das Festival im dafür passenden Rahmen des Forums die Früchte des eigenen, vor allem auch als Kontaktbörse verstandenen Campus-Projekts vorstellt, an sich der Kontinuität halber erfreulich. Fraglich aber bleibt, ob der Film – oder auch seine Bestandteile – ohne die Verbindung zur Berlinale überhaupt präsentiert worden wären. Natürlich ist es eine Binsenweisheit, dass solche Konzeptfilme grundsätzlich immer ein schwaches Glied haben, das den Durchschnitt drückt. Doch im wesentlichen handelt es sich bei den einzelnen Beiträgen dann doch fast ausschließlich um zwar immer gut gemeintes, aber doch weitgehend nur beschauliches Fabulieren mit Ambition. Eine Eheschließung in der rumänischen Provinz wird seitens der Familien mit viel traditioneller Folklore begangen, der Clou aber ist, dass das junge Paar ganz woanders weilt – man feiert und gratuliert über Handy. In Bukarest soll ein junges Bauernmädchen unter vielen Tränen den liebgewonnenen und heimlich dressierten Truthahn einem Arzt als Bestechungsgeschenk übergeben, damit der die todkranke Mutter nochmals operiert – natürlich schlägt viel fehl und ob der tote, nackte Gockel am Ende wirklich der Truthahn selbst ist, bleibt fraglich (oder auch nicht). Eine tote Mutter dient bei Nacht und Nebel zum Anlass, eine psychisch offenbar nicht mehr ganz intakte Rest-Kleinfamilie zum bedeutungsschwangeren Treffen vor bedrückend-verfallener Kulisse zu vereinen. Viel interessanter erscheint der zwischen den Beiträgen durchblitzende „Rahmenfilm“, der mit unterschiedlichen Praktiken des Animationsfilms kleine, oft surreale, meist motivisch überleitende Miniaturen bildet, die mal an die Glanzzeiten tschechischer Animationskunst, mal an avantgardistische Zeichentrickfilme erinnern.

Wobei es dann doch eine Ausnahme gibt, die wirklich rundum gelungen ist: Der jugoslawische Beitrag nämlich, dem es auf erstaunlich reife Weise gelingt, in einem raum-zeitlich sehr begrenzten Rahmen einen lakonischen Blick auf das Leben, seinen Sinn und den Konflikt der Generationen zu werfen. Ort des Geschehens ist eine Tram, die stoisch durch Belgrad rattert, Hauptfigur die schon reife Ticketverkäuferin, die ihr Leben offenkundig durch’s Klo gespült hat, flankiert von ihrem dementen Opa, den sie mitschleppt, weil sie nicht weiß wohin mit ihm, und ihrer Tochter, die lauthals mit ihr debattiert, weil den Mann ihres Lebens kennen gelernt hat. Vor wenigen Tagen und er ist Kubaner und sie will nun nach Kuba auswandern, dort heiraten. Kaum wird der Mutter das Ticketgeld unbemerkt gestohlen, dreht sie, als sich ihr die Gelegenheit bietet, durch und kidnappt die ganze Tram. Ein paar Straßen weiter indes zwei einsilbig im Wagen vor sich hinbrüteten Polizisten, denen es dann obliegt, die außer Kontrolle geratene Straßenbahn aufzuhalten. Wie dies gelingt, wie die Täterin in Staatsgewalt genommen wird und welche Folgen dies zeitigt, das ist charmant bis auf die Knochen und in jedem Moment vor allem auch überzeugend in Szene gesetzt.

Man bleibt also im Zwiespalt. Talent ist gewiss jedem Beitrag anzuspüren. Aber eben auch, dass es sich um erste Schritte handelt. Solche können oft voller Hunger und Wagemut begangen werden. Ein Sturm auf die Bilder, Geschichten, Motive, auf die formalen Konventionen. Dass davon nur sehr wenig zu spüren ist, dass man sich – getreu eigentlich den meisten Figuren des Films, denn „Generationen“ ist das alles bestimmende Thema – zwischen Aufbegehren und Tradition einen für beide Seiten sicheren Weg aussucht, ist eigentlich schade.

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