Redentor

Mitternachtskino, das ist grell, laut, oft virtuos umgesetzt, grundsätzlich immer größenwahnsinnig, prätentiös, nicht immer, ja eigentlich kaum geschmackssicher, kontrovers, fabelhaft, es wirft 1000 Ansprüche für sich auf, von denen nicht mal die Hälfte eingelöst wird. Das macht es sympathisch, es putzt die Rezeptoren durch, provoziert. Im Gegensatz zu den ungefällig gefälligen Wettbewerbsfilmen, die ganz auf Sicherheiten hin ausgewählt zu scheinen, ist ein Mitternachtskinofilm grundsätzlich einer, der seinen Zuschauer anschreit und Positionierung verlangt.

Der brasilianische Eröffnungsfilms des Panoramas, Redentor, entspricht dem voll. Werbe- und Videoclipregisseur Claudio Torres, der hier sein Debüt abliefert, schätzt seinen Film auch so ein, dass er den Hunger, die Wildheit und die Konsequenz eines Debüts habe und er bedankt sich gleich darauf, nicht mit Eiern und Tomaten beschmissen zu werden. Fragen an ihn gibt es trotzdem keine. Der Film, spätabends und noch dazu mit erheblicher Verspätung in einer kurzfristig anberaumten zweiten Vorführung parallel zur eigentlichen gescreent (und in der Tat wurden hinter den Kulissen die Rollen von Saal zu Saal geschockelt), hat die Leute fertig gemacht. Das Hirn ist voll von grellen Bildern, wahnwitzigen Handlungsverläufen, abgeschmackten bis genialen Ideen – und dass er, Torres, es mit diesem, nun ja, Werk ernst meint, daran besteht kein Zweifel.

Der Film ist wirr, auf Überwältigung hin, inszeniert. An sich aber von einfacher Erzählung, wenngleich sie in viele Detailmomente gegliedert ist, in denen entscheidende Weichen gestellt werden. Célio Rocha, Journalist in unter-mittelmäßigen Lebensverhältnissen, soll über einen Skandal im Baugewerbe berichten. Dahinter steckt sein alter Schulfreunde Otávio Sabóia, der einzige Erbe des bankrotten Bauunternehmers „Dr.“ Sabóia, der sich kurz zuvor das Leben genommen hat. Vor Jahren hatte der Spekulant hunderte Familien, darunter Célios, mit der Aussicht auf schnieke Luxusapartements ins Elend getrieben. Die Folge ist ein ganzes Elendsviertel vor den Toren Rio de Janeiros, bizarrerweise direkt vor dem nahezu fertiggestellten Luxusbau, der jedoch nie bezugsfertig wurde und seit Jahren brach liegt. 15 Jahre später nehmen die Bewohner der Favelas die Sache in die Hand und besetzen, was sie für ihren Besitz halten. Fatalerweise auch die Wohnung, die Célios Vater einst abgestottert hatte, der, wenn auch todkrank, von keinem anderen Wunsch beseelt ist, Rache an der Spekulantenfamilie zu nehmen. Doch der gerissene Otávio nutzt unter allerlei Versprechungen Célio als Lockvogel für weit Schlimmeres. Der Pakt fliegt auf, Otávio bugsiert Célio in den schlimmsten Knast des Landes, wo er eine Erleuchtung hat, Gott sucht und findet, die Insassen befreit und das Volk mit göttlichem Auftrag aufwiegelt. Die Erlösung ist greifbar nahe und Gott auf seiner Seite …

Redentor beißt in alle Richtungen. Wer das Kino, warum auch immer, vorrangig als politische Anstalt versteht, wird von dieser (manchmal leider auch sich selbst) beißenden Satire am laufenden Meter vor den Kopf gestoßen: Möchte man jubeln über den offen antikapitalistischen Gestus, wird man greinen, wenn die „kommunistische“ Erhebung ebenfalls mit menschlich-hässlicher Fratze gezeigt und von Torres zudem noch als – keine Wertung – hanebüchene Religionsstiftung mit offenen Jesus-Parallelen verkauft wird, als Gründung einer religiösen Bewegung, die Halleluja singt, aber auf handfesten monetären Gelüsten beruht. Und dazwischen ist alles wild, oft zu wild, dann wieder delirierend orientierungslos, man erstickt an eigenen Ambitionen.

Torres hätte aus dem Material gut zwei bis drei Filme machen können. Weiß der Geier, warum er alles in einen Film stopfen musste, der zwar nicht immer, aber auffällig oft an seiner Überfülle zu bersten droht. Das Ergebnis stimmt zwiespältig: Ein grotesker Satire-Genrefilm, wie man ihn ohne weiteres auch ins Fantasy Filmfest bugsieren könnte, der über weite Strecken mit seiner hausieren gehender Ungezügeltheit schlicht langweilt, um dann zum Ende hin das Gaspedal wieder voll und im besten Sinne nach unten zu drücken. So ähnlich hatte man das im Panorama schon vor zwei Jahren, als da das Little Match Stick Girl lief, ein – im Gegensatz zu Redentor – vollends und über die Ungenießbarkeit noch hinaus überladenes Knallbonbon aus Korea. Redentor immerhin kriegt gerademal so noch die Kurve und humpelt aufrecht durch’s Ziel. Respektapplaus ist ihm sicher. Fragen? Nein, danke – keine.

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