LOAD „REALITY“,8,1

„Wir wollten die Erfahrung kreieren, wie es wäre
ein ganz neues Universum zu erforschen.“

(David Fox – LucasFilm-Games)

Im Jahre 1980, kurz nachdem George Lucas den zweiten Teil seiner „Star Wars“-Saga mit dem Titel „The Empire strikes back“ in die Kinos brachte, entstand in seiner Firma LucasFilm die Idee, man könne Science-Fiction-Filme durch Computergrafik realistischer wirken lassen. Insbesondere das Aussehen von Raumschiffen und fremden Welten sollten durch ihre Generierung im Computer ganz neue Facetten bekommen – leider waren die Computer zu dieser Zeit noch nicht in der Lage, den Anforderungen für bewegte Grafiken im Film zu genügen, geschweige denn mit den über Jahrzehnte geschulten Spezial-Effekte-Designern zu konkurrieren. Dennoch wollte man bei LucasFilm für die Zeit gewappnet sein, in der Computergrafik so sein gut würde, dass sie für den Film einsatzfähig ist. Man ahnte, dass dies nicht mehr lange auf sich warten ließ. Also stellte Lucas eine Division zusammen, die die Möglichkeiten für solche Projekte erkunden und schon einmal „computer graphic wizards“ anheuern sollte – Leute, die sich einen Namen damit gemacht hatten, auf dem Computer realistische und fantastische Grafiken programmiert zu haben.

Loren Carpenter, der sich zu dieser Zeit intensiv mit Fraktalgrafiken beschäftigte, war einer von ihnen. Als George Lucas‘ Effekte-Studio Industrial Light and Magic (ILM) 1982 die Spezial-Effekte für „Star Trek – The Wrath of Khan“ übernahm, generierte Carpenter aus Fraktalgrafiken jene Landschaft, durch die die Kamera fliegt, als ein Planet während des „Genesis-Projektes“ einem Terraforming-Prozess unterzogen wird: Landschaften und Berge erheben sich in sekundenschnelle vor der Kamera, die durch Täler und über Ozeane fliegt. Damit war bereits ein zentraler grafischer Impuls für eines der fortschrittlichsten Computerspiele jener Zeit entstanden. Doch dazu etwas später, zunächst gab es ja noch gar keine Computerspiele von LucasFilm. Ende 1979 schloss LucasFilm mit der Firma Atari einen Vertrag: Spiele für die damals sehr populäre Atari-VCS-Konsole sollten lizenziert und produziert werden – darunter natürlich auch solche, die die Motive aus Lucas‘ „Star Wars“ für den Spieler interaktivierten. Aus dieser Kooperation entstand eine Abteilung bei LucasFilm, der neben Carpenter noch fünf weitere Computer-Fachleute angehörten: Charlie Kellner, Dave Levine, Peter Langsten, David Fox und Gary Winnick. Sie bildeten die „LucasFilm-Games“-Division, die noch heute unter dem Namen LucasArts firmiert und jetzt mit mehr als 300 Mitarbeitern zumeist „Indiana Jones“- und „Star Wars“-Adaptionen für Computer- und Videospiel-Systeme umsetzt.

„Man zählt das Jahr 3097“


Ballblazer (Atari-Version)

Das erste Projekt der neu gegründeten Spiele-Abteilung hieß „Ballblazer“. Ein für diese Zeit ungewöhnliches Sportspiel, das zunächst für die 8-Bit-Atari-Homecomputer entwickelt wurde. „Ballblazer“ spielt in der Zukunft – in etwa 1000 Jahren, auf einem weit von der Erde entfernten „Nexus“ im Doppelstern-System von Kalaxon und Kalamar. Dort herrscht Null-Gravitation – die ideale Bedingungen um die etwa 1000 kg schweren Plasmorbs – so heißen die Plasmakugeln, die die Spielbälle in „Ballblazer“ bilden – in etwa 20 Metern über den Boden zu schießen. Es spielen immer zwei Spieler gegeneinander und das Spiel beginnt im Finale einer Meisterschaft, zu der sich erstmals auch ein Mensch qualifiziert hat – sehr zum Leidwesen der übrigen Mitspieler, denn dieser Mensch ist besser als sie.

Die Hintergrundgeschichte von „Ballblazer“ ist (natürlich) nicht Gegenstand des Spiels. Sie wird in dem ziemlich umfangreichen Manual ausgebreitet, das das eigentlich recht abstrakte Spiel mit einer Story versieht. Diese Hintergrund-Stories sind bei allen frühen Spielen von „LucasFilm-Games“ kleine Highlights, denn in ihnen schimmert die erzählerische Detailversessenheit George Lucas‘ durch. Er selbst hat zwar nicht ständig aktiv an der Entwicklung der Spiele mitgearbeitet, sich jedoch häufig in den Prozess eingeklinkt, Kritik und Inspiration geliefert und eben auch Ideen für die Hintergrundgeschichten beigesteuert. Die Bedienungsanleitung von „Ballblazer“ enthält also nicht wie bei anderen Games, bloß schnöde Ladeanweisungen und die Tastatur-Belegung, sondern situiert das Spielgeschehen in einem Science-Fiction-Kontext, in dessen Erzählverlauf auch die technisch notwendigen Anweisungen untergebracht sich und in dem sich die entscheidenden Hinweise auf das Gameplay innerhalb fiktiver Interviews mit den „Ballblazer“-Meistern des 4. Jahrtausends verbergen.

Hier erfährt der Leser vieles über die zukünftige Technik dieses Sports, die Beschaffenheit des Nexus, in dem er gespielt wird, und wird mit Tricks versorgt, die ihm das Spiel erleichtern und vielleicht sogar gewinnen helfen. Auf dem Bildschirm sieht er nur zwei in der Bildschirmmitte horizontal unterteilte Spielflächen mit quadratischem Boden-Muster, auf denen sich zwei Gefährte bewegen – Rotofoils genannt –, in welchen sich die Spielfiguren befinden. Nachdem man sich entschieden hat, ob man das Spiel gegen einen Computergegner oder einen menschlichen Kontrahenten spielen möchte, geht es los: In atemberaubender Geschwindigkeit steuert man sein Rotofoil in die Tiefe des Spielfeldes auf zwei leuchtende Torbalken zu. Irgendwo auf dem Spielfeld schwebt der Plasmorb, den man mit dem elektromagnetischen Feld seines Rotofoils einfangen und zwischen diesen Torbalken platzieren muss. Der Gegner hat in seiner Bildhälfte dasselbe vor und versucht mithilfe seines Rotofoil-Magnetfeldes die Plasmorb-Schüsse abzulenken, das Geschoss zu entreißen und auf die eigenen Torbalken zuzusteuern. Gewonnen hat, wer als erster zehn Punkte erreicht, wobei Schüsse aus größerer Distanz beim Treffen mehr Punkte einbringen.

Neben der Spielgeschwindigkeit und der Tatsache, dass zwei Spieler gleichzeitig auf einem dreidimensionalen Spielfeld spielen, sind es vor allem die physikalischen Eigenschaften des Spiels, die faszinieren. Massenträgheit, elastische Stöße, realistisches Beschleunigungs- und Bremsverhalten der Rotofoils wurden auf der 8-Bit-Hardware in bis dahin ungekannter Genauigkeit nachgebildet. Das Spielsetting wurde dabei möglichst karg gehalten: Man bewegt sich auf einer Art Schachbrett, jenseits dessen eine rotbraun gefärbte Unendlichkeit bis zum Horizont reicht, der vom Blau des darüber liegenden Himmels abgegrenzt wird. Der Plasmorb ist eine gelb-weiße Kugel, die, einmal eingefangen, vor dem Bild schwebt und je nach Bewegung des Rotofoils unruhig hin und her schwingt. „Ballblazer“ wird aus der 1st-Person-Perspektive gespielt – ein zentraler Blickpunkt in die Raumtiefe, den der Spieler auch in den drei folgenden Spielen von LucasFilm-Games einnimmt und der die Philosophie der Game-Division unterstreicht: Es geht darum, eher interaktive Spielfilme zu kreieren als Videospiele, wie man sie zu diesem Zeitpunkt kennt. Auch zur Unterstützung dieses Ziel dienen die komplexen Bedienungsanleitungen der Spiele.

Behind the Jaggie Lines

„Ballblazer“ erscheint 1984 – und einiges an dem Spiel wirkt bereits wie eine Vorstudie für den im selben Jahr veröffentlichten Nachfolger, der, obwohl er ganz anders aussieht und auch kein Sportspiel mehr ist, doch markante Ähnlichkeiten zum Vorgänger hat: „Rescue on Fractalus!“. Das Spiel entstand unter dem Arbeitstitel „Behind the Jaggie Lines“ und ist ebenfalls in der fernen Zukunft situiert. Dieses mal findet der Krieg jedoch nicht auf einem Sportspielfeld statt, sondern er tobt im schon bekannten Kalamar-System zwischen den Menschen (vor denen der besiegte Ballblazer-Profi Xarta im Interview ja schon eindringlich gewarnt hatte) und den J’hagga Ri Kachatki, kurz „Jaggies“. Letztere sind ziemlich unangenehme, grüne Aliens anthropomorpher Statur, die jedoch einen Chamäleon-artigen Kopf besitzen. Die Jaggies stehen kurz davor, den Krieg gegen die Menschen zu gewinnen. Der Schauplatz des finalen Kampfes ist der Planet Fractalus – ein unwirtlicher Ort, dessen Atmosphäre mit Salpetersäure-Dämpfen durchsetzt ist, die jedes Material angreifen und zersetzen. Die Jaggies haben aufgrund ihres „Heimvorteils“ dort Dutzende menschliche Kampfpiloten abgeschossen und deren einzige Chance auf Rettung sind die eigentlich schon ausrangierten Flugzeugpiloten – zu denen auch die eigene Spielfigur gehört.

Von einem Mutterschiff aus startet die erste Mission, die die Spielfigur mit ihrem schlecht bewaffneten aber gut geschirmten Schiff in die Polar-Region von Fractalus führt. Den Planeten selbst sehen wir gar nicht, sondern laut Anleitung nur eine Computer-Animation seiner zerklüftete und bergigen Oberfläche, auf der die abgeschossenen Schiffe liegen und Notsignale absetzen. Umrundet sind sie von Flak-Geschützen der Jaggies, die auf uns schießen, sobald wir den Schild eingeschaltet haben. Der muss aufgrund der Atmosphäre jedoch stets an sein – außer, wenn wir neben einem abgeschossenen Kampfpiloten-Raumschiff gelandet sind und den Insassen aufnehmen. Dann wird der Schild heruntergefahren und die Luftschleuse geöffnet. Sobald wir ausreichend Piloten eingesammelt haben, werden die im Mutterschiff abgeliefert und die nächste Mission beginnt, die uns näher an den Äquator heran bringt, wo die Tage immer kürzer werden (manchmal dauert ein Fractalus-Tag nur wenige Minuten und wir fliegen dann in der Dunkelheit) und die Jaggies immer aggressiver. Unter den abgestürzten Piloten befinden sich manchmal so genannte „Aces“, Kampfpiloten, die besonders viele Punkte einbringen – manchmal aber auch verkleidete Jaggies, die, entdeckt man sie nicht rechtzeitig, ein Blutbad im Raumschiff anrichten.

„Rescue on Fractalus“ ist ein heute noch beeindruckendes Spiel und der „big seller“ der frühen Werke von LucasFilm-Games. Abermals besticht die Hintergrundstory durch Tiefe und Komplexität: Neben den „historischen“ Informationen zum Krieg der Menschen gegen die Jaggies enthält sie etwa einen Notfunkspruch einer menschlichen Pilotin, die etwas Grauenvolles auf Fractalus erlebt hat – was genau, erfährt man als Spieler nicht aus der Anleitung, sondern wenn man in einer höheren Spielstufe einen Piloten retten will, dessen Helm nicht wie üblich weiß, sondern grün ist. Betritt dieser das Rettungsschiff, entpuppt er sich als Jaggie und das Spiel ist schnell vorbei. Lässt man ihn jedoch nicht herein, sondern wartet auf das typische Anklopfen der Piloten (das, je länger man es unbeantwortet lässt, langsamer und eindringlicher wird – bis der vor der Schleuse wartende Pilot an Schwäche und Sauerstoff-Mangel stirbt), so springt der Jaggie plötzlich vor der Frontscheibe empor und hämmert mit den Fäusten darauf ein. Tötet man ihn dann nicht schnell durch Einschalten des Schildes, zerstört er das Schiff. Jeder, der diesen eigens von George Lucas vorgeschlagenen Effekt zum ersten mal und unvorbereitet sieht, bekommt einen höllischen Schreck.

Was nach dem Eindringen in die Atmosphäre von Fractalus zuerst auffällt, ist die Landschaft über die man mit dem Raumschiff hinweg fliegt: braune, zerklüftete Felsen mit tiefen Schluchten, in denen sich die abgestürzten Schiffe befinden. Es handelt sich dabei um die Computergrafik des Raumschiff-Displays, dessen Frontscheibe der Salpetersäure nicht standhielte – ein erzählerischer Gimmick, die den Mangel an Details plausibel macht. Diese „Computer-Welt“ Fractalus wird beim Spiel in Echtzeit aus Fraktalen berechnet. Das sind geometrische Figuren und Körper mit gebrochener (fraktaler) Dimensionierung, die eine zwar endliche Oberfläche aber einen unendlichen Umfang besitzen. Dessen Unendlichkeit rührt aus der endlosen Detailliertheit der Begrenzung des Fraktals: Sie zeigt bei immer stärkerer Vergrößerung immer mehr Details und man gelangt nie an ein Ende, ganz gleich, wie stark man sich an ein Rand-Detail annähert. Fraktale kommen überall in der Natur vor: bei organischen Oberflächen, Küstenbegrenzungen, Gebirgen – sie alle verfügen über solche fraktalen Ränder. In der Computergrafik gehören die aus komplexen Zahlen generierten Mandelbrot-Mengen zu den bekanntesten Fraktalen. Aus ihnen entstehen zum Beispiel die so genannten „Apfel-Männchen“, die nach ihrer Form benannt sind. Zahlreiche BASIC-Programme zur Generierung solcher Figuren existierten auch schon auf den 8-Bit-Computern.

In einfacherer Form besteht auch die Oberfläche von Fractalus aus solchen Fraktalen. Die Grafiken des Spiel mit ihnen zu erzeugen bietet gleich mehrere Vorteile: Zum einen wirken die Oberflächen dadurch besonders organisch (denn sie erinnern an die organischen Fraktale, die man schon aus der Natur kennt), zum anderen ermöglichen sie es, auf vor-gerenderte Spielszenarien zu verzichten, die viel Speicher und Ladezeit verschlingen würden und auch in der Gestaltung teuer sind. Loren Carpenter setzte die Idee, den Planeten Fractalus aus Fraktal-Grafiken zu generieren, in die Tat um. Neben all den Vorteilen hatte er aber auch mit einer Schwierigkeit zu kämpfen: Detailreiche Fraktal-Grafiken benötigten auf langsamen Computern manchmal Stunden oder sogar Tage, bis sie fertig aufgebaut waren (diejenigen, die schon einmal ein Fraktal-Programm in BASIC ein besonders große Iterationstiefe durchrechnen lassen haben, wissen, was gemeint ist). Carpenter musste also eine Routine entwickeln, die schnell genug war, eine solche Grafik in Echtzeit aufzubauen. Das erreichte er, indem er die Fraktale sozusagen nur „oberflächlich“ berechnete und generierte. Selbst dies erbrachte immer noch Varianten von 256 hoch 256 verschiedenen geometrischen Figuren, so dass der Planet an keiner Stelle identisch zu einer anderen Stelle aussah. Ein weiterer Baustein für die Vorstellungen des Teams, möglichst realistische, proto-filmische Computerspiele zu gestalten.

Im Inneren des Fraktals


The Eidolon (Atari-Version)

Die Routinen, die für die Berechnung von Fractalus programmiert wurden, kamen auch bei den folgenden Spielen zur Anwendung. Das Team näherte sich quasi dabei aus zwei Richtungen jener fraktalen Oberfläche von Fractalus an, was die folgenden Spiele „The Eidolon“ und „Koronis Rift“ sehr ähnlich zu „Rescue on Fractalus!“ erscheinen ließ. In „The Eidolon“, dem dritten 1984 veröffentlichten Spiel, konnte man nun das „Innere“ eines solchen Fraktals erforschen. Die Grafikroutinen wurden so umgestaltet, dass sich mit ihnen nun ein Höhlen-System darstellen ließ, dessen Wände aus in Echtzeit generierten Fraktalen berechnet wurden. Gary Witnik, der das Artwork für das Spiel erstellte, war als Fantasy-Fan ein ausgesprochener Bewunderer von Drachen, Trollen und ähnlichen Monstern und so wurde das Spielgeschehen sozusagen durch ihn festgelegt: Der Spieler erforscht darin nacheinander acht immer komplexer werdende Höhlensysteme, in denen er nach dem verschollenen Dr. Agon sucht. Ihm in den Weg stellen sich verschiedene Geschöpfe (eines von ihnen, der „Grep“ scheint dem Aussehen nach ein Verwandter der Jaggies aus „Rescue on Fractalus!“ zu sein) und als Level-Endgegner Drachen, die von Level zu Level gefährlicher werden. Die Höhlen werden immer labyrinthartiger und die letzte von ihnen liegt sogar in völliger Dunkelheit, weshalb es sinnvoll ist, bei den ersten Spiel-Durchgängen Karten anzulegen. Die Gegner-Figuren wurden im so genannten Cell-Animationsverfahren kreiert, das auch im Zeichentrick-Film Verwendung findet: Dabei besteht eine Figur aus mehreren (bei „The Eidolon“ bis zu sechs) separat voneinander beweglichen Körperteilen, die unabhängig von der Hintergrund-Grafik animiert werden können.

Die Hintergrundgeschichte von „The Eidolon“, ja, das ganze Design der Anleitung stellt nicht nur den Höhepunkt der frühen LucasFilm-Games-Arbeiten dar, sondern gehört zu den besten Spielanleitungen überhaupt: Der Text ist im Stil eines Tagebuches gehalten, welches der Spieler in der verlassenen Villa von Dr. Josef Vincent Agon findet und das von den 1850 stattgefundenen unglaublichen Reisen des Forschers in seinen eigenen Verstand berichtet. Das Eidolon ist eine Maschine, die Agon entwickelt hat und mit der sich der menschliche Geist wie ein Raum erforschen lässt. Von den ausgedehnten Erkundungen Agons in die immer dunkleren Gefilde seines eigenen Geistes ist er schließlich nicht mehr zurückgekehrt, weswegen sich der Spieler nun auf die Suche nach ihm macht. Das Eidolon ist ein empfindliches Gerät und von ständiger Zerstörung durch die Wesen, die in den Labyrinthen leben, bedroht. Die Energie, die es ständig – vor allem unter den Angriffen der Monster – verliert, muss durch Einsammeln verschiedener Kristalle aufgeladen werden. Diese Kristalle sind schließlich auch nötig, um den Drachen am Ende der jeweiligen Höhle zu besiegen.

Die Anleitung von „The Eidolon“ erinnert an eine stilistische Mischung von Jules Verne und H. P. Lovecraft. In altertümlicher Sprache verfasst und durch handgezeichnete Bilder der Wesen aus den Labyrinthen und des Eidolon-Fahrzeugs angereichert, hat man beinahe schon des Skelett einer illustrierten Kurzgeschichte vor sich, die man nun selbst angehalten ist zu Ende zu erzählen. In den einzelnen Tagebuch-Aufzeichnungen erfährt man wieder, wie das Spiel zu meistern ist, welches Ziel verfolgt wird und welche Gefahren in den Höhlen warten. Alles verfasst aus der Ich-Perspektive des verschwundenen Agons, der von seinen Entdeckungen berichtet, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben – diese muss der Spieler selbst finden.

„The Eidolon“ ist mit Lob überschüttet worden, als es 1985 erschienen war. Das Ziel ein filmisch wirkendes Computerspiel umzusetzen, war damit mehr als erreicht: es war förmlich überschritten, denn die Mischung aus Abenteuer- und Fantasy-Film in Verbindung mit der Interaktion des Videospiels brachten beide Medien einen großen Schritt voran. Die Spieler-Perspektive war dabei dieselbe wie in „Ballblazer“ und „Rescue on Fractalus“: Ein Blick aus der Ich-Perspektive. Die Tatsache, dass man sich aus dieser Position durch Höhlen bewegen und in deren Gängen Monster erschießen musste und schließlich den Ausgang an einem Endgegner vorbei erreichen musste, bot wahrscheinlich die ästhetische Grundlage für alle später folgenden 1st-Person-Shooter der Computer- und Videospiel-Geschichte, auch wenn nur wenige von ihnen so viel Mühe aufgewandt haben, den Spieler mit einer Geschichte zu versorgen, welche die Immersion ins Spiel so derartig komplex gestaltet.

Auf dem Weg zum Film-Spiel


Koronis Rift (Atari-Version)

Mit „Koronis Rift“, dem letzten der frühen Spiele von LucasFilm-Games, das noch keine filmische Vorlage hatte und sich an dem Fraktal-Stil orientiert, schien die Division 1985 wieder einen Schritt hinter „The Eidolon“ zurück zu gehen und eine Art Fortsetzung von „Rescue on Fractalus!“ umzusetzen. Denn der eine Teil des Spiels, der im Jahre 2249 auf dem Planeten Koronis spielt, ähnelt doch sehr dem Fractalus-Setting: eine zerklüftete Oberfläche, auf der abermals abgestürzte Raumschiffe, aber auch andere technische Artefakte verstreut herum liegen, muss dieses Mal mit einem Oberflächen-Rover überfahren werden. Die Furchen (engl. „Rifts“) und Berge von Koronis sind aber nicht annähernd so hoch bzw. tief wie auf Fractalus und man hat den Eindruck weiter blicken zu können, bei der Suche nach dem Schrott (der angeblich aus Jahrhunderte zurückliegenden Waffenexperimenten stammt, von denen der Planet auch sein vernarbtes Antlitz hat), den man mit Hilfe eines Droiden einsammelt und zum Mutterschiff zurückbringen muss. Gehindert wird man daran von den Wächtern des Planeten, die einen mit Untertassen angreifen.

Der andere Teil von „Koronis Rift“ spielt im Mutterschiff. Dort werden die eingesammelten technischen Artefakte entladen und von einem Droiden analysiert. Die besten von ihnen behält man für die Ausstattung des Rovers, der dadurch Zusatzfunktionen (wie Waffen- oder Ortungssysteme) bekommt. Die anderen werden verkauft und so gelangt man von Rift zu Rift, um unter immer gefährlicheren Bedingungen immer wertvollere Artefakte einzusammeln. Auch bei „Koronis Rift“ gibt es wieder eine Hintergrund-Geschichte, die den Science-Fiction-Charakter des Spiel untermalt und ausbaut. Man selbst ist ein Schrotthändler, der das große Geld zu machen hofft und glaubt, den sagenumwobenen Planeten Koronis gefunden zu haben. Aufgrund der Komplexität des Spiels ist für eine so ausufernde Erzählung wie in „The Eidolon“ hier jedoch kein Platz, weswegen die Anleitung jetzt schon wieder eher Computerspiel-typisch wirkt. Dennoch werden die Steuerung des Spiels, die Funktionen des Hulks (das ist die Ladevorrichtung des Rovers), die Analyse-Tools des Schiffsdroiden und die Waffen, Strategien und einzelnen Module im Stil der Einleitungsgeschichte erklärt.

Noah Falstein, der Projektleiter von „Koronis Rift“, hatte die Idee dazu, das Spiel zur Hälfte auf der Oberfläche eines aus Fraktalen generierten Planeten anzusiedeln. Er fand es schade, dass man bei „Rescue on Fractalus!“ immer nur über die faszinierenden Landschaften hinweg fliegen und sie auch beim Laden nicht näher in Augenschein nehmen konnte. Das Gefühl, sich wie in „The Eidolon“ in einer solchen futuristischen Welt zu bewegen, die zudem wie in „Rescue on Fractalus!“ unbegrenzt und immer anders ist, war ausschlaggebend für die Wahl des Spiel-Ortes. Und im Gegensatz zu den Vorbildern aus dem eigenen Hause, hat Koronis viel mehr räumliche Tiefe bekommen, dadurch, dass man einen weiteren Blick hat und sich die Landschaft mit zunehmender Entfernung farblich aufhellt.

„Koronis Rift“ stellt damit sozusagen einen grafischen Abschluss der ersten vier Spiele von LucasFilm-Games dar, weil er die Weite aus „Ballblazer“ wieder aufgreift und mit der Komplexität von „Rescue on Fractalus!“ verbindet. Zusätzlich greift das Spiel die strategischen Elemente von „The Eidolon“ auf: Gegenstände müssen eingesammelt werden, Energie verwaltet und es lohnt sich sogar – wie bei „The Eidolon“ – Karten vom Gelände anzufertigen, um die einzelnen Rifts schneller durchzuarbeiten. Verbunden mit dieser strategischen Komplexität ist ein Anwachsen von Anzeigen- und Steuerelementen im Bild, das der quasi filmischen Immersion zwar entgegen wirkt, das Geschehen jedoch reichhaltiger macht. In „Koronis Rift“ finden sich sowohl im Rover als auch auf dem Mutterschiff Bedien-Elemente, die schon auf die SCUMM-Steuerung der späteren LucasFilm-Games hindeutet: Ein mit einem Cursor ansteuerbares Menü aus Knöpfen, mit denen sich Aktionen initiieren lassen. Lucas‘ hatte diese Steuerung für „Manic Mansion“ dann noch einmal präzisiert, für nachfolgende Spiele immer weiter ausgebaut und damit das so genannte „Point and Click“-Adventure revolutioniert, wenn nicht sogar erfunden.

Heimcomputer-Welten

Koronis Rift - C64-Version

LucasFilm-Games produzierte aufgrund der vertraglichen Allianz zwischen LucasFilm und Atari seine Spiele zunächst für Atari-Homecomputer. Sie wurden programmiert auf einem Motorola-MC-68000-Entwicklungssystem unter Unix. Von dort wurde der Quellcode dann aber auch für andere Homecomputer-System portiert: für den Commodore 64, Amstrads/Schneiders CPC, Sinclairs ZX Spectrum, die MSX-Computer und sogar für Nintendos NES. In einer Zweitauswertung erschienen einige der Spiele, die aufgrund ihrer Komplexität ursprünglich für Disketten prädestiniert waren, auch als Tapes und als Module für die Atari-Homecomputer. Schaut man sich die Versionen zwischen verschiedenen Systemen einmal im Vergleich an, ist man erstaunt über deren Unterschiede.

Koronis Rift - Atari-Version

Mit den Atari-Versionen, so erweckt es den Eindruck, hat man sich die meiste Mühe gegeben. Das beginnt schon mit den Spiel-Vorspännen. Ein metallisch glänzendes „LucasFilm Games“-Logo (für Atarianer: im „Graphics 9“-Modus) mit eines satten orchestralen Sound und einem metallischen Glöckchen-Geräusch an dessen Ende steht einem lieblosen, monochromen und vom Sound eher piepsig gestalteten Logo auf dem C64 gegenüber. Beim Laden von „Ballblazer“ auf dem Atari fliegt auf einmal ein Plasmorb unter dem Logo hin und her und wird von zwei Rotofoils verfolgt, die abwechselnd unter dem Logo anhalten und ihr Visier öffnen, aus dem dann der Fahrer dem Spieler zuwinkt. Auch der Gamesound von „Ballblazer“ klingt auf dem Atari satter und bassiger als auf den anderen Versionen. Dass David Fox immer betont hat, man habe bei den einzelnen Plattform-Versionen stets das Maximum aus der Hardware herausgeholt, erscheint vor dem Hintergrund der Menge ansonsten beim C64 besseren Spielversionen „seltsam“, gibt aber Atarianern, die immer schon wussten, dass ihr Homecomputer der eigentlich bessere ist, Recht.

Am deutlichsten Fallen die Plattform-Unterschiede bei „Rescue on Fractalus!“ auf. Wer hiervon einmal in den Genuss der Atari-Version gekommen ist, fühlt sich von der C64-Variante regelrecht betrogen. Nicht nur ist auch hier wieder der Sound bombastischer (die an Richard Wagners Ouvertüre aus dem „Fliegenden Holländer“ angelehnte Spielmusik) und nuancierter: Die Turbinen-Geräusche beim Atari klingen aufgrund der zusätzlichen Geräusch-Obertöne viel realistischer als bei den anderen Varianten. Aber auch die Grafik weist qualitative und quantitative enorme Unterschiede auf. In der Atari-Version bekommt man quasi als Prolog-Bild die Raumstation, aus der das eigene Schiff später immer wieder startet, von außen zu sehen: Ein beeindruckendes, metallisch glänzendes Rauschiff mit zahlreichen Details und teilweise animiert. Beim C64 muss man darauf leider ganz verzichten. Ebenso sieht es bei „Koronis Rift“ in der Steuerzentrale bei Commodore wesentlich plastikmäßiger aus, wo der Analyse-Droide und auch die Armaturen beim Atari metallisch chic glänzen.


Rescue on Fractalus ( Atari-Version)

Vom Proto-Film-Spiel zum Proto-Spiel-Film

Nach „Koronis Rift“ hat LucasFilm-Games dann 1986 ein Spiel zum im gleichen Jahr erschienenen gleichnamigen Fantasy-Film vorgelegt. George Lucas hatte den Jim-Henson-Film (mit David Bowie und einer hier debütierenden Jennifer Connelly in den Hauptrollen) produziert und ILM die Spezial-Effekte dazu gefertigt. Das Spiel verfügte nicht mehr über die genuinen Qualitäten der Vorgänger. Lucas sollte sich von da an auf eine andere Philosophie besinnen: Spiele zu Filmen. Damit fährt das Studio bis heute sehr gut; jedes Jahr erscheinen Spiele, vor allem zu Filmen, die Lucas produziert oder bei denen er Regie geführt hat. Die LucasFilm-Games, die sich ab den frühen 1990er Jahren in LucasArts umbenannten, haben sich ihren exzellenten Ruf aber vor allem mit 8- und 16-Bit-Adventures aufgebaut, die heute noch als legendär gelten: „Manic Mansion“ (1987), „Zac McKracken and the Alien Mindbenders“ (1988), „The Secret of Monkey Island“ (1990) und „Day of the Tentacle: Manic Mansion 2“ (1993) haben ihren festen Platz im Pantheon der Computerspiele. Diese Spiele erinnern in Details noch an die frühen Arbeiten des Studios – vor allem aber sind es ihre unglaublich komplexen und witzigen Hintergrundgeschichten und Spielplots, die zeigen, das sie auf den Schultern dieser Spiele-Riesen stehen: Es sind im Prinzip kleine, spielbare Filme, zu denen es (bislang) noch keine Spielfilme gegeben hat. Indes ist der Traum von George Lucas, in Spielfilmen mit Computer-Grafik neue visuelle Möglichkeiten zu erkunden bekanntlich längst wahr geworden – er hat selbst einen beträchtlichen Teil dazu beigetragen. Dass er seine alten Spielfilme („THX 1138“ und die ersten drei „Star Wars“-Filme) durch nachträgliches Einfügen von CGI-Szenen aufzuwerten versucht hat, sie dabei jedoch lediglich ihres „handmade“-Zaubers beraubt hat, weil es eben nicht reicht, bloß Computergrafik zu verwenden, wenn ihre Verwendung nicht mit der Story in Einklang steht, hätte er von den Arbeiten seines LucasFilm-Games-Devision lernen können.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: Retro Magazin #16 (Sommer 2010), S. 56-61.

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