Keine Buddel voll Rum

Master and Commander – Bis ans Ende der Welt, Peter Weir, USA 2003

Das Spiel ist altbekannt: Ist ein Genre (oder ein Motiv) erst mal gut abgehangen und lange Zeit nicht mehr beackert worden, zerrt es irgendwer wieder aus den Kellern der Filmgeschichte empor. Legitimität verleiht man dem meist unter Argumentierung einer Authentizität, die sich nunmehr entweder auf historisch-narrativer oder auf ästhetischer Ebene einstelle. So nimmt es nicht viel Wunder, dass Peter Weir sich in seiner Belebung des klassischen Seefahrerfilms – nach Pirates of the Carribean bereits die zweite dieses Jahr, wenn auch zu diesem sich geradezu antithetisch verhaltend – auf Patrick O’Brians Romanreihe Master and Commander stützt, die sich weit weniger auf die epischen Qualitäten des Segelns unter britischer Flagge konzentriert, sondern um eine Vermittlung des beinharten Alltags auf hoher See bemüht ist.

In dieser mehrere Bücher verschmelzenden Adaption geht es Weir nun vor allem um die ökonomischen Bedingungen, unter denen die kriegerische Seefahrt wohl stattgefunden hat, wie schon die ersten Inserts verdeutlichen: Im frühen 19. Jahrhundert ist der Ozean ein Schlachtfeld, die Surprise ist ein Schiff mit 28 Kanonen und 197 Seelen, dann der schlichte Auftrag der britischen Krone: Erlegt die französische Acheron. Harte Fakten, stichpunktartige Hintergrundinformationen, keine langwierige biografische, historische oder schlicht narrative Exposition, die einer Epik dienlich wäre. Dafür aber Detailaufnahmen im dichten Nebel, schmieriger Schmutz und Hunderte von dicker Tau die das Bild vom Deck zerschneiden und den Überblick erschweren. Kapitän Aubrey (Russell Crowe) liegt auf der Lauer – hat man da was gesehen, da draußen im Nebel? Als es dort zu blitzen beginnt, ist es eigentlich schon zu spät: Mit jedem Einschlag der Kanonenkugeln zerbirst massives Holz in Myriaden kleinster Spreißel, eine atemberaubende Soundkulisse verstärkt den Eindruck totaler Zerstörung. Chaos bricht aus, der Bauch des Schiffs: bestenfalls ein Sarg. Die subjektive Kameraführung erhöht die Authentizität drastisch: Jeder Blitz am Bug des gegnerischen Schiffs zieht unweigerlich die innere Anspannung des Zuschauers nach sich – das Gefühl der physischen Bedrohung, auch diesseits der Leinwand, ist perfekt.

Nach diesem Schock nimmt sich der Film viel Zeit. Zwar ist man schwer beschädigt aus dem Gefecht hervorgegangen, aber eben nicht besiegt. Und Aubrey ist – eine kurze Zeitlupe während der Schlacht lässt dies bereits erahnen – eine Kämpfernatur. Mag die Acheron – im übrigen ein bis zum Ende anonym bleibender MacGuffin – auch größer und schneller sein, mag sie mehr und weitreichendere Kanonen besitzen, irgendein Weg findet sich immer. Und Aubrey weiß die Mannschaft hinter sich. Nicht etwa, was sich schnell erschließt, aus Nibelungentreue oder ähnlich romantischen Gründen, alleine schon die Situation gebietet das: Man sitzt buchstäblich im selben Boot, das nur die Hölle auf Erden ist. Man macht Tabula rasa, die unerbitterliche Ökonomie auf hoher See nimmt ihren Lauf: Arme werden amputiert, Operationen durchgeführt, eine neue Gallionsfigur geschnitzt, Segel repariert, allzu unnütz Gewordenes über Bord geworfen oder, wie später, bei Wind und Wetter über Bord gegangene Matrosen nicht gerettet: Dies hielte zulange auf, wo Zeit ein unschätzbarer Vorteil, auch für das Überleben der restlichen Mannschaft, ist. Dem schließt sich eine Litanei der Gezeiten und des Klimas an: Es geht durch orkanartige Stürme, eisigen Schnee, lähmende Hitze. Die Physis, auf die Master and Commander hin inszeniert ist und die sich in einer Lust an der Textur und dem schmutzverdreckten Detail manifestiert, kommt hier voll zum Tragen. Das teils sehr behäbige Erzähltempo indes lässt ein Gefühl für die Zeit und den Leerlauf auf hoher See entstehen, wo die Verfolgung eines Schiffs mitunter Tage, wenn nicht Wochen beansprucht. Wer dem einen Actionfilm suggerierenden Trailer auf den Leim geht, könnte hier zugegeben eine mittelschwere Enttäuschung erleben. Doch das wäre schade, ist doch das betont langsame Element der Erzählung ihre eigentliche Stärke.

An Bord entwickelt sich nämlich ein Konflikt zwischen dem Kapitän und dem Schiffsarzt Maturin (Paul Bettany), der einzige an Bord, zu dem ein offen freundschaftliches Verhältnis zu bestehen scheint. Und dieser Konflikt ist nicht ohne Reiz: Wo Aubrey treu dem Befehl der Krone Folge leisten will, drängt es Maturin ganz in der Tradition Darwins nach Forschungsarbeiten an der exotischen Fauna dieser Breiten. Man hätte diesem Konflikt wohl mit Leichtigkeit bestimmenden Charakter für die Erzählung verleihen können, hat sich aber, zum Glück, anders entschieden: Vielmehr entwachsen diesem Konflikt letztendlich nur die entscheidenden Denkanstöße für die eigentliche Mission, die erst durch die Überwindung der Unabrückbarkeit des jeweiligen Standpunkts überhaupt angegangen werden kann. Obwohl dieser königliche Auftrag stellenweise komplett in den Hintergrund tritt, verbindet das brillante Drehbuch am Ende doch alle Episoden, Details und Charakterentwicklungen zu einem schlüssigen und mitreißend inszenierten Finale.

Weir ist ein echter Glücksgriff gelungen: Ohne sich in Retrogefilde zu verirren, verbindet er alte Traditionen des großen Erzählkinos mit modernster Ausstattungskunst und Inszenierungstechnik und beweist dergestalt, dass Krisen wie die derzeitige des Mainstreamkinos ohne weiteres auch als Chance begriffen werden dürfen. Ein Sequel wird nicht nur durch den finalen Kniff in der Spielhandlung bereits angedeutet, auch der Titel selbst stellt schon ein solche zumindest als Option in den Raum. Selten wohl hat man sich während eines Abspanns stärker gewünscht, bereits in einem entsprechenden Double Feature zu sitzen.

Master and Commander – Bis ans Ende der Welt
(Master and Commander: The Far Side of the World, USA 2003)
Regie: Peter Weir; Drehbuch: Peter Weir, John Collee; Kamera: Russell Boyd;
Schnitt: Lee Smith; Darsteller: Russell Crowe, Paul Bettany, James D’Arcy,
Edward Woodall, Chris Larkin, Max Pirkis, u.a.;
Verleih: 20th Century Fox; Laufzeit: 138 Minuten

Thomas Groh

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