Hulk

“That was the meaning of the fantastic four.
That a family is like your own personal antimatter.
Your family is the void you emerge from and the place you return to when you die.
And that’s the paradox: The closer you’re drawn back in, the deeper into the void you go.”

Diese Ausführung war einer der Hauptgründe, weshalb The Ice Storm (Ang Lee, USA 1997) zu jenen Filmen zählt, die stets eng mit meiner Adoleszenz verknüpft waren, und mich nun Ang Lee für fähig zu halten machen, die für eine Hulkadaption notwendige Tiefe aus der Comicvorlage herauszukehren. Die Leitthemen des Hulk – unterdrückte Wut und Leidenschaft, welche, lange aufgestaut, durch den Konflikt zwischen Eltern und Kindern plötzlich herausbrechen – sind Themen, die sich durch das gesamte Oeuvre Ang Lees ziehen. In The Ice Storm und Crouching Tiger, Hidden Dragon (Ang Lee, USA/VCR 2000) erfolgte das Aufbrechen der aus Unterdrückung resultierten Erstarrung durch die frei ausgelebte Leidenschaft der nachfolgenden Generation; schon in Crouching Tiger kristallisierte sich die in The Ice Storm durch den titelgebenden Eissturm nur angedeutete, physische Manifestation dieser freiheitsbedürftigen Gefühlsstürme greifbar heraus: Freiheit ist gleichbedeutend mit dem freien Flug, Konflikte werden durch Kampfbalette ausgetragen.

In Hulk erfolgt dieser Zusammenstoß gewissermaßen innerhalb einer einzelnen Person: Der bereits erwachsene Bruce ist aufgrund eines verdrängten Kindheitstraumas unfähig, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Er lässt niemanden an sich heran, keiner hat Anteil an den Emotionen, die er selbst zu verstehen nicht imstande ist; so zerbrach auch die Beziehung zu seiner Kollegin Betty.

Doch trägt er den in seiner Kindheit erwachten Hass noch immer unausgelebt in sich – dieser bricht bei der ersten Begegnung mit seinem totgeglaubten Vater, der hier lediglich als Zündstoff fungiert, endlich hervor: Er erlebt eine verspätete pubertäre Revolte, die in Gestalt des muskelbepackten Hulk ihren physischen Ausdruck findet. Freilich alles versteckt unter marveltypischen Firlefanz wie Gammastrahlenbomben und gentechnischen Frankensteinexperimenten.

Der Film beginnt in technischer Hinsicht schlicht fulminant: Der in einzelne Panels unterteilte Aufbau der Comicvorlage wurde in einem dynamischen Splitscreenverfahren umgesetzt, dass selbst Mike Figgis zu einem anerkennenden Schmunzeln bewegen dürfte. Die digitalen Kamerafahrten lassen ausgelassene visuelle Assoziationen zu- wie beispielsweise das Verschmelzen zweier Autoscheinwerfer zu der runden Form eines Vollmondes- und die Schnitt-Experimente reichen von durchaus innovativ, wenn die Leindwand als dem Zuschauer zugewandte Seite eines drehenden Würfels erscheint, bis hin zu der beliebigen Amateurhaftigkeit eines Urlaubsvideos, als das Bild in digitales Wasser zerfließt.

Trotz technischer Finesse, deren Einsatz im Laufe des Films zunehmend an Konsequenz einbüsst, krankt der Film allerdings an seiner anhaltend klinischen Atmosphäre; dem fleischigen Kugelkopf von einem Protagonisten, welcher mit penetrant verklemmtem Hosenscheißerblick umherwandelt und scheinbar immer dann schmatzenderweise Nahrung in sich hieneinstopft, wenn sich seine Ex-Freundin gerade mit ihm unterhalten möchte, und der distanzierten Kälte, welche allen Beteiligten innewohnt. Die Anteilnahme des Betrachters an dem Konflikt zwischen erwachsenen Kindern und von infantilen Allmachtsfantasien beherrschten Vätern scheitert letztlich an der mangelnden Emotionalität. Bereits zu Beginn des Films sind alle Beteiligten derart erstarrt, dass ein Zugang kaum mehr möglich ist.

Einzig eine Szene sticht heraus: Als Bruce das erste mal in Gestalt von Hulk auf Betty trifft und sie nicht nur endlich seine emotionale Seite kennenlernt, sondern auch die eigene durchscheinen lässt. Doch dann werden sie auch schon von drei äußerst peinlichen Pixelhunden unterbrochen, so dass dieser Moment der Nähe zwischen den beiden Liebenden zugunsten des nun losbrechenden, ob seiner Schrankenlosigkeit amüsanten, aber im Kontext deplazierten Actiongedönses, leider, einmalig bleibt.

Durch das offene Ausleben des Konfliktes driften Bruce und Betty nur noch weiter auseinander, so dass sie letzlich aus gegenseitiger Rücksicht und Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft getrennt bleiben werden – sie beugen sich endgültig den erstarrten Regeln der Familie. (Eine, aufgrund der Parallelen zum Zeitgeschehen durchaus denkbare, politische Auslegung des Films überlasse ich mangelnden Interesses halber einem anderen.)

So ist Hulk der bislang einzige Film Ang Lees, welcher in endgültige Erstarrung mündet; Sein angeblich infantilster und buntester Film ist eigentlich der deprimierendste und dunkelste.

Hulk
(Hulk, USA 2003)
Regie: Ang Lee; Drehbuch: Michael France, John Turman, James Schamus;
Kamera: Frederick Elmes; Schnitt: Tim Squyres; Darsteller: Eric Bana, Jennifer Connelly,
Sam Elliott, Josh Lucas, Nick Nolte, Paul Kersey, u.a.
Verleih: UIP, Länge: 138 Minuten


Die DVD ist heute erschienen und liegt einerseits als 2er-Set und als 3er-Set vor. Die DVD lag zur Besprechung nicht vor, alle folgenden Angaben entsprechen denen von Amazon und beziehen sich auf das 3er-Set. Sie werden hier ohne Gewähr aufgelistet.

Technische Details:

* Sprachen: Deutsch (Dolby Digital 5.1, DTS 5.1) Englisch (Dolby Digital 5.1)
* Bildformat: 1.85:1
* DVD Erscheinungstermin: 27. November 2003
* Produktion: 2003

DVD Features:

* Audio-Kommentar von Regisseur Ang Lee
* ‚HULK Cam‘: Im Zentrum der Wut – sofortiger Zugang ‚hinter die Kulissen‘ während des gesamten Films
* Making Of ‚HULK‘
* Die Enthüllung des Superhelden: Die Anatomie des HULK (Interaktiv) – Verändere und zerlege ein 3D-HULK-Modell und erforsche seine außergewöhnlichen Fähigkeiten
* Geschnittene Szenen
* ‚Hulkification‘ – Darstellung der Szene ‚You’re Making Me Angry‘ durch berühmte, internationale Comic-Illustratoren (Manga-, Europäischer- und Marvel Comic-Stil)
* Die Evolution des HULK – Ein Einblick in die Produktion und Technik, die Marvels stärksten Superhelden zum Leben erweckten
* Der unglaubliche Ang Lee – Ein Tribut an Ang Lees außergewöhnliche Regie-Arbeit und seine Hingabe an den HULK
* Die Hundekampf-Szene – Vom Storyboard zum Film
* Der einzigartige Filmschnitt des Hulk
* DVD-Rom Feature
* HULK: Die ganze Wahrheit – Ein exklusiver Bericht über die Dreharbeiten mit Kommentaren von Sam Elliott
* Neuauflage des ersten ‚Hulk‘ Comics von Marvel
* 10 Drucke der Storyboard-Artworks
* Erinnerungs-Booklet von ‚Don’t Make Me Angry‘
* Produktionsnotizen

Benjamin Kunz

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