Fantasy Filmfest Nights 2011 – Gallo on the Run

Ob „Essential Killing“ den Genre-Fans der Fantasy Filmfest Nights gefallen wird, ist mehr als fraglich. Der neue Film der polnischen Regie-Legende Jerzy Skolimowski ist gerade deshalb so stark, weil er sich nicht um Genre-Konventionen und -Grenzen schert, sondern den Inhalt eines Action-Thrillers mit der Form eines Kunstfilms kurzschließt. Darin gestaltet sich die interkontinentale Verfolgungsjagd auf einen Terror-Verdächtigen wenig spektakulär und bedarf großer Freiheiten im Drehbuch, um nicht verfrüht beendet zu werden.

Ein namenloser Moslem (Vincent Gallo) flüchtet irgendwo in der arabischen Welt durch die tiefen Schluchten einer Gesteinswüste, erschießt drei Amerikaner, wird von den militärischen Bündniskräften angeschossen und anschließend inhaftiert. In einen der aus Guantanamo Bay bekannten orangen Overalls gehüllt, wird er gedemütigt, gefoltert und – als er sich hartnäckig weigert zu sprechen – in ein Geheimgefängnis in Osteuropa transferiert. Nach einem Unfall kann er von dort fliehen, wird aber vom technisch und numerisch hoch überlegenen Feind wie Vieh gejagt und muss sich in den eiskalten, menschenleeren Weiten der Region allein und zunächst nur spärlich bekleidet durchkämpfen. Als Nahrung dienen ihm Ameisen und Baumrinde – auch findet er überraschende Wege, um Milch zu beschaffen. In diesem ungleichen Kampf eines Einzelnen gegen eine militärische Übermacht und gegen die erbarmungslose Natur geht es ums nackte Überleben.

Das hört sich spannend an, ist es auch durchaus – nur scheint dieser eigenwillige Film seinen visuellen Qualitäten weitaus mehr Bedeutung zuzumessen als seinem Plot. Wir erfahren nichts über den Mann – ob er tatsächlich Terrorist ist oder willkürlich wegen seiner Physiognomie aufgegriffen wurde, aus welchem Land er stammt, in welches er gebracht wird oder warum man ihm dort hilft. Auch von ihm selbst erfahren wir nichts, denn Vincent Gallo überzeugt mit einer sprachlosen, rein auf seine Körperlichkeit reduzierten Performance, die seine künstlich mystifizierte Persona nur noch weiter verrätselt. Und glaubt man am Anfang noch, Skolimowski wolle mit seinem Film einen Kommentar zur amerikanischen Außenpolitik abgeben, so löst sich auch diese vermeintliche Ambition rasch in Luft auf. Das von schwarzen Beuteln – wie sie Terror-Verdächtigen über gezogen werden – eingeengte Blickfeld des Protagonisten und das Pfeifen, das er nach einer überlebten Explosion hört, dienen rein als Stilexperimente und nicht etwa als Verurteilung der extralegalen und oft menschenrechtswidrigen Methoden des US-Militärs im Kampf gegen den Terror.

„Essential Killing“ ist ein Bilderfilm – ein Film, der auf Informationen und Statements verzichtet, um seine grandiose Optik für sich sprechen zu lassen. Das beginnt mit den eindrucksvollen (in Israel gefilmten) Wüstencanyons, die Kameramann Adam Sikora erst aus der Helikopter-Aufsicht und dann aus der panisch verwackelten Subjektiv-Perspektive zeigt. Wesentlich mehr Raum nehmen allerdings die osteuropäischen Wälder und Schneelandschaften ein, die real in Norwegen gefunden wurden. Hier nimmt sich der Film immer wieder geduldige Momente heraus, in denen er ausschließlich Collagen voller glitzernder Schneekristalle und von zarten Eisschichten überdeckter Bäche in atemberaubenden Nahaufnahmen zeigt.

Auch mit dem Einsatz kräftiger Farben innerhalb nahezu monochromatischer Winterwelten beweist Skolimowski sein Gespür für malerische Szenen: Einmal, als der Flüchtende unwissentlich giftige Beeren zu sich genommen hat und zu halluzinieren beginnt, gleitet das blaue Tuch einer Burka durch das gräulich-transparente Wasser. Später sehen wir den mittlerweile schwerverletzten Mann Blut auf die weiße Haut eines Schimmels husten, was einen wunderbaren Kontrast ergibt. Mehrere mit extremer Unschärfe gedrehte Bilder verfremden die dargestellten Objekte bis zur Unkenntlichkeit. Auch die Träume und Vorstellungen des Protagonisten erfahren eine solche Verfremdung, wenn der Film sie in fast schon kitschigen Weichzeichner-Aufnahmen wiedergibt. Angesichts eines solchen stilistischen Esprits ist es fast ein wenig schade, als der Film nach nur 80 Minuten mit einem abrupten Ende schließt, das ebenso antiklimaktisch ist wie fast der gesamte Plot dieses ruhigen, aber visuell berauschenden Werks.

Essential Killing
(Polen/Norwegen/Irland/Ungarn 2010)
Regie: Jerzy Skolimowski; Drehbuch: Jerzy Skolimowski, Ewa Piaskowska; Kamera: Adam Sikora; Schnitt: Réka Lemhényi; Musik: Pawel Mykietyn; Darsteller: Vincent Gallo, Emmanuelle Seigner;
Länge: 83 Min.
Verleih: Ascot Elite

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