Berlinale 2011 – Teacher in the Twilight

Das Vampirfilm-Genre ist seit dem Erfolg einer christlich-konservativen Filmreihe in den Augen von Cineasten ziemlich diskreditiert worden. Viel mehr kann man der Figur des immer schon erotisch konnotierten Vampirs nicht schaden, als wenn sie man als trojanisches Pferd für eine sexualfeindliche Askese-Ideologie instrumentalisiert. Shunji Iwais poetisches Drama „Vampire“ trägt zur Rehabilitation der auf Zelluloid gebannten Blutsauger bei, hat aber an sich wenig mit dem Horrorgenre und noch viel weniger mit Vampirmythologie gemeinsam. Stattdessen rückt Iwai („All about Lily Chou-Chou“, „Swallowtail Butterfly“) den Vampir aus der Sphäre des Übernatürlichen heraus und erdet ihn – wie George Romeros „Martin“ oder Claire Denis‘ „Trouble every day“ – durch Vermenschlichung.

Simon (Kevin Zegers) ist zwar ein leicht soziophober Außenseiter mit begrenzter emotionaler Intelligenz, aber ansonsten scheint er ein braves bürgerliches Leben zu führen. Er arbeitet als Biologielehrer an einer Highschool in Seattle und verbringt den Rest seiner Zeit damit, seine demenzkranke Mutter zu pflegen. Was niemand weiß: Er ist „der Vampir“ – ein Internetkrimineller, der online suizidale Chat-Userinnen kontaktiert, sich mit ihnen trifft und den Frauen beim Selbstmord assistiert, um schließlich ihr Blut trinken zu können. Letzteres fängt Regisseur/Drehbuchautor/Kameramann/Komponist/Produzent Shunji Iwai in wundervoll komponierten, eleganten Aufnahmen ein. Auch sonst glänzt der Film mit zahlreichen visuellen Einfällen. Neben den Landschaftsbildern der nordamerikanischen Pazifikküste und recht unkonventionellen Kameraeinstellungen, mit denen Iwai die verzerrte Weltsicht verzweifelter Menschen symbolisch abbildet, betrifft das vor allem die Methode, mit der Simon seine geistig verwirrte Mutter am Verlassen der Wohnung hindert: Er bindet ihr einen an riesigen, weißen Ballons befestigten Gürtel um, sodass sie durch keinen Türrahmen passt. Das ist effektiv und – außer für die Mutter – ein ästhetischer Genuss.

Simon mag unübliche, ja verstörende Obsessionen haben – sein moralischer Kompass scheint jedoch noch weitgehend zu funktionieren. Mit parodistischen Seitenhieben auf Vampirfans aus der Gothic-Szene zeigt Iwai, dass Simon Gewalt ablehnt – er will nur den Lebenssaft von Menschen , die freiwillig sterben und das Blut daher „nicht mehr brauchen“. Sanft hilft er ihnen über die Schwelle des frei gewählten Todes – erst danach nutzt er ihre Körper zu seinen eigenen Zwecken.
Problematisch wird Simons vampirisches Verlangen erst, als die besitzergreifende Laura (Rachael Leigh Cook), die Schwester eines Polizisten, beginnt, sich für ihn zu interessieren und daher sein Leben und seine Schränke zu durchforschen.

„Vampire“ ist vor allem ein ruhiges, einfühlsames Portrait lebensmüder junger Menschen. Fast nie versucht der Film, deren Selbstmordabsichten zu erklären – schließlich kann man es Außenstehenden ohnehin nicht begreifbar machen, warum jemand an seiner Existenz so sehr leidet, dass er lieber gar nicht mehr sein will. Schön ist, wie sich Iwai trotz der überwiegenden Ernsthaftigkeit des Films immer wieder traut, auflockernden Humor in seine Adern zu injizieren. Sei es, dass der „Vampir“ Simon größere Probleme mit dem Anblick von Nadeln und seinem eigenen Blut hat oder dass im Wald lebende Blutegel in einer fast Slapstick-artigen Sequenz seine Identität enthüllen. Auch eine gutherzige, aber etwas unterbelichtete Blondine sorgt mehrfach für Lacher. Dass „Vampire“ ein paar logische Schlaglöcher durchfährt, kann man bei all diesen Qualitäten insgesamt gut verkraften. Shunji Iwais Werk pumpt frisches Blut in das Vampirfilm-Genre und lässt diesen Totgeglaubten langsam wieder auferstehen.

Vampire
(USA, JAP 2010)
Regie: Shunji Iwai; Drehbuch: Shunji Iwai; Kamera: Shunji Iwai; Schnitt: Shunji Iwai; Musik: Shunji Iwai; Darsteller: Kevin Zegers, Amanda Plummer, Rachael Leigh Cook, Keisha Castle-Hughes, Adelaide Clemens;
Länge: 120 Min.
Verleih: Fortissimo

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