Gleich zwei der bedeutenderen archäologischen Funde wurden in Lydda, eine kleine Ortschaft unweit von Tel Aviv, binnen kürzerer Zeit gemacht, die die knapp 5000jährige Geschichte der Stadt einmal mehr unter Beweis stellen. Doch fehlen die finanziellen Mittel, um die Ausgrabungen durchzuführen, die Erkenntnisse der Geschichte zu bergen und auszuwerten – beide Orte verkommen schließlich zur Müllhalde. Dieses trostlose Bild stellt Tsipi Reibenbach ihrem Dokumentarfilm „A City With No Pity“ vorne an und es funktioniert vortrefflich als Parabel für das folgende: So stöbert sie gewissermaßen selbst als Archäologin in den Überresten dieser im Verfall begriffenen Stadt nach Spuren ihrer eigenen Kindheit und frühen Jugend, die sie, Tochter von Überlebenden der Shoah, in Lydda verbracht hatte. Und muss resignierend feststellen, dass der Ort ihrer Kindheit, ihrer ersten Erinnerungen, nicht mehr existiert, begraben liegt unter einem Moloch aus Armut, Verwahrlosung und ethnischer Anfeindungen. Es scheint als würden sich an diesem geschichtsträchtigen Ort nicht wenige Tragödien der Historie kreuzen, um dort allerdings gefährlich zu stagnieren.
So wirkt Lydda wie eingeschlossen unter einer Käseglocke aus gegenseitigem Misstrauen, vor allem zwischen den communities der jüdischen und arabischen Israelis, Furcht, vor allem vor den mafiös organisierten und agierenden Drogenbanden (Lydda gilt in Israel als Drogenumschlagsplatz Nummer 1), und Rezession – mit einem Wort: bedrückend. Die massive Landflucht, die fehlenden finanziellen Mittel, die Armut der eher vegetierenden denn lebenden Menschen tun ihr übriges, um diesen Zustand zu zementieren. Lydda scheint abgeschrieben, sowohl von den Bewohnern (auch jenen, die nicht wegziehen) als auch von den Behörden. Mehr als nur einmal wird das zutiefst beängstigende Klima dieser Stadt in Bilder gegossen, vor allem dann etwa, wenn Reibenbach und ihr kleines Team immer wieder von Bewohnern beschimpft und zum Abbruch der Dreharbeiten genötigt wird. Notfalls auch mit Gewalt: der erste Kameramann wurde krankenhausreif geschlagen und sah sich gezwungen, das Projekt an einen anderen weiter zu reichen. Höhepunkt in der Skizzierung der geisterhaften Atmosphäre, die über der Stadt ruht, ist eines der zahlreichen Gespräche mit den Bewohnern, die aus Angst um ihr eigenes Leben kein Wort über die kriminelle Szene, die Lydda zu kontrollieren scheint, verlieren wollen, vielmehr hektisch gestikulierend rekapitulieren, was anderen, die im Grunde nur vergleichsweise harmloses an Worten über jenes Milieu verloren haben, widerfahren ist, um das Team dergestalt zu zwingen, die Dreharbeiten, zumindest aber dieses Interview, zu beenden.
Allein, die Dokumentation gefällt sich etwas zu sehr darin, das Brachliegen des Ortes der eigenen, frühsten und mitunter schönsten Erinnerungen zu beweinen, und hält sich streng an den vorgegebenen Faden der eigenen Biographie. Eine Verlagerung des Focus auf die sozialen, kulturellen und historischen Ursachen dieser ungeheuren und alle Bereiche des Lebens umfassenden Rezession auf engstem Raume wäre vermutlich nicht nur noch interessanter, sondern vor allem auch angemessener gewesen. So bleibt die rein oberflächliche Beobachtung einer bedrückenden Stadtentwicklung im Spiegel der eigenen Biografie, die naturgemäß lediglich Symptome, nicht aber Ursachen (und damit zumindest den Hauch einer Ahnung von Lösungsansätzen), dokumentiert. Vielleicht aber wäre aber auch gerade das der Situation unangemessen gewesen, denn wie so oft, wenn der Blick auf den Nahen Osten fällt, bleibt am Ende auch hier nur ein äußerst mulmiges Gefühl: Resignation.
Thomas Groh