Der Samurai ohne Eigenschaften

Der unterrangige Samurai Seibei Iguchi verrichtet seinen Dienst im 19. Jahrhundert weder in kaiserlichen Palästen noch auf dem Schlachtfeld der Ehre: Er arbeitet für einen Hungerlohn in einem kleinen Amt in der Provinz. Wenn seine Kollegen nach Feierabend einen draufmachen, kehrt Seibei nach Hause zurück, um für seine beiden kleinen Töchter und seine demente Mutter zu sorgen. Dieses bäuerliche und beinahe asketische Leben bringt ihm den Spitznamen „Mann der Dämmerung“ ein und seinen Vorgesetzten ist Seibeis Lebenswandel durchaus ein Dorn im Auge. Als seine Jugendliebe Tomoe auftaucht, lebt der stille Seibei sichtlich auf. Eine Hochzeit mit der Frau seines Herzens kommt für ihn aber nicht in Frage: Zu klein sei sein Gehalt, als dass er Tomoe ein gutes Leben ermöglichen könnte. Doch da tritt man mit einem offiziellen Auftrag an ihn heran: Er soll einen abtrünnigen Samurai ermorden.

b000l42w8801_ss500_sclzzzzzzz_v34452702_.jpgDie Entwicklungen innerhalb des Jidai geki, des japanischen Samurai-Films, lassen sich gut mit denen des Westerns vergleichen. Den strahlenden, makellosen Helden der Anfangstage folgten bald schon zerrissene Charaktere, die kaum weniger schurkische Züge an den Tag legten als ihre Gegner. Ist vor allem der Spätwestern, man denke etwa an die Italowestern eines Sergio Leone oder Sergio Corbucci oder an die Filme von Sam Peckinpah, sowohl als kritische Demontage der blutigen Vergangenheit der USA als auch als existenzialistisches Drama über den Menschen im Spätkapitalismus zu lesen, so bezieht der jüngere Samurai-Film häufig Stellung zum äußerst rigiden und starren Regelkodex des feudalistischen Japan. Seine Helden sind entweder Samurai, die ebenso blutrünstig vorgehen wie ihre Gegenspieler oder aber edle Ritter, deren Ehrempfinden sie zu Außenseitern in einer zunehmend grausam gewordenen Welt macht. Mit Yojo Yamadas „Twilight Samurai – Samurai der Dämmerung“ betritt nun jedoch ein anderer Typus das Spielfeld des Jidai geki: der einfache Mann, für dessen Lebensentwurf es keinen Platz innerhalb eines erstarrten patriarchalischen Systems zu geben scheint. Seibei macht sich nichts aus den Machtspielen und aus dem Männlichkeitswahn seiner Zeit. Ein erfülltes Leben bedeutet für ihn, Zeit mit seinen Töchtern zu verbringen, Arbeit mit seinen Händen zu verrichten wie ein Bauer. Er sucht weder Ruhm noch Ehre, sondern einzig den Frieden und die Liebe, und steht damit auf verlorenem Posten in einer Gesellschaft, in der der Wert der Frau sich in der Breite ihres Beckens und ihrer damit verbundenen Eignung, ihrem Mann viele Erben zu gebähren, erschöpft, und der Wert des Mannes in der Größe des Geldbeutels und der Zahl der getöteten Feinde.

Yojo Yamadas „Twilight Samurai – Samurai der Dämmerung“ ist ein sehr ruhiger und introvertierter, zwar trauriger, aber niemals deprimierender, sondern im Gegenteil leichtfüßiger und hoffnungsfroher Film. Imposante Schlachtgemälde, den Sturm und Drang der Gefühle und wallendes Pathos sucht man vergebens. Der impressionistische Blick gilt hier dem Alltag, der ebenso mühsamen wie befriedigenden Land- und Hausarbeit, den Blicken seiner Figuren und ihren Gesprächen. Die kurzen und raren Ausbrüche der Gewalt sind ebenso wenig repräsentativ für den Film, wie für dessen Hauptfigur. Seibei ist kein tapferer Samurai und noch weniger ein Rebell, Revoluzzer oder Umstürzler, sondern ein Durchschnittsbürger, ein Zögerer, ein Dulder, der sich nichts mehr wünscht als seine Vorstellungen von einem guten Leben ohne Repressionen und Demütigungen zu verwirklichen. Dabei kommt ihm aber ein unmenschliches und längst zum Selbstzweck verkommenes Regelsystem in die Quere. Aus diesem Regelsystem gibt es in Yamadas Film keinen Ausweg und somit auch nur eine Annäherung an ein selig machendes Happy End. Seibei ergreift die einzige Chance, die er hat. Zwar verabscheut er den Kampf, doch er weiß, dass er sich mit der Ausführung des Befehls auch ein Stück der Freiheit erkaufen kann, die er sich wünscht. Yamada diffamiert diese Haltung weder als Opportunismus noch als Feigheit, vielmehr weckt er Verständnis und Sympathie für diesen Mann, der sich die Umstände, in die er hineingeboren wurde, nicht ausgesucht hat. Seibei ist ein Mann der Moderne, gefangen in einem Zeitalter, das ihn noch nicht versteht. Auch deshalb ist er ein „Mann der Dämmerung“ und ein Verwandter der Protagonisten unzähliger großer Gesellschaftsromane des vergangenen Jahrhunderts. Yoji Yamada ist ein ganz großer kleiner Film gelungen.

Twilight Samurai – Samurai der Dämmerung
(Tasogare Seibei, Jp 2002)
Regie: Yoji Yamada, Drehbuch: Yoji Yamada, Yoshitaka Asama, Kamera: Mutsuo Naganuma, Musik: Yousui Inoue, Isao Tomita, Schnitt: Iwao ishii
Darsteller: Hiroyuki Sanada, Rie Miyazawa, Nenji Kobayashi, Ren Osugi, Mitsuru Fukikoshi, Kanako Fukaura
Länge: 123 Minuten
Verleih: e – m – s



Zur DVD von e – m – s

Man muss sich bei e – m – s dafür bedanken, dass sie diesem wunderbaren Film, der u. a. für den Oscar als bester ausländischer Film 2004 nominiert war, eine DVD-Veröffentlichung spendieren. Leider wird ihm aber die Präsentation zu keiner Sekunde gerecht. Das Bild ist unscharf und vor allem in dunklen Szenen verrauscht und grünstichig, außerdem gibt es immer wieder üble Nachzieheffekte zu bewundern. Hier hätte man sich mehr Mühe bei der Codierung gewünscht. Loben hingegen muss man die Untertitel und Synchronisation, was bei asiatischen Filmen leider immer noch nicht selbstverständlich ist. Das Bonusmaterial ist nicht der Rede wert, spendiert dem Hauptdarsteller Hiroyuki Sanada und dem Regisseur Yoji Yamada aber immerhin eine recht umfangreiche Bio- und Filmografie.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,85:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0), Japanisch (Dolby Digital 5.1)
Länge: 123 Minuten
Extras: Trailer, Bio- und Filmografien zu Yoji Yamada und Hiroyuki Sanada
FSK: ab 16
Preis: 13,99 Euro

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