Built to last

Der etwas tumbe, aber gutmütige und liebenswerte Boxchampion Rocky Balboa ist eine der berühmtesten Figuren der jüngeren Kinogeschichte. Und gemeinsam mit dem eher mittelmäßigen Boxer, den ein riesiges Kämpferherz zum Champion macht, ist auch sein Darsteller Sylvester Stallone zur Legende geworden.rocky.jpg In „Rocky“, der Geschichte des underdogs, der seine einzige Chance ergreift und in einem Akt übermenschlicher Willenskraft das Wunder schafft, steckt so viel von seinem Hauptdarsteller und Drehbuchautor, dass beide kaum voneinander zu trennen sind. Das wird auch in den bisherigen vier Sequels deutlich, die die Karriere Stallones mit allen Höhen und Tiefen widerspiegeln und die man retrospektiv fast gar nicht anders als biografisch lesen kann: In „Rocky 2“ muss der über Nacht berühmt gewordene Boxer den neu erworbenen Ruhm erst einmal verdauen, sich in einer Welt neu orientieren, in der jeder eine Scheibe von ihm abhaben will. „Rocky 3 – Das Auge des Tigers“ zeigt den vom Erfolg müde gewordenen Weltmeister, hinter dem eine gigantische Marketingmaschinerie steht, der aber über seine Selbstzweifel den Siegeswillen verloren hat. „Rocky IV – Der Kampf des Jahrhunderts“ schließlich lässt den zum Helden der griechischen Tragödie stilisierten Rocky in einem Kampf der Systeme (und der Titanen) gegen die russische Kampfmaschine Ivan Drago antreten und ihn den eisernen Vorhang im Alleingang niederreißen. Der dritte und vierte Teil der Reihe sind aber nicht nur Zeugnisse des Werdegangs ihres Stars, sondern auch des spirits der Achtziger: Der einstige Loser aus den Arbeitervierteln Philadelphias ist in der Welt der Megabucks angekommen, hat auf dem Weg dorthin aber auch einen Teil seiner Seele verloren. Für seine Rehabilitation in „Rocky V“, der den Boxer am Boden der Realität angekommen zeigt, gesundheitlich schwer angeschlagen und finanziell ruiniert, war die Zeit 1989 noch nicht reif. Der Film ist auch Beleg für den Niedergang des klassischen Actionhelden, der das Kinojahrzehnt davor noch buchstäblich im Alleingang regiert hatte.

Runde anderthalb Dekaden nach dem letzten Teil der Rocky-Saga schickt sich Stallone nun mit „Rocky Balboa“ an, sein alter ego noch einmal zu beleben. Ein Vorhaben, dass zunächst zum Scheitern verurteilt scheint, schließlich hat Stallone mittlerweile die 60 erreicht und mit ihm auch der Boxer Balboa. Einen Rentner im Ring: Wer will das schon sehen? Dass „Rocky Balboa“ dennoch eine mittelschweres Kinowunder geworden ist, liegt zum einen am cleveren Drehbuch, das die Klippen unfreiwilliger Komik gekonnt umschifft, indem es gerade diesen Unglauben des Publikums über ein mögliches Comeback Stallones/Rockys als (Film)Boxer thematisiert. Rocky ist zwar immer noch der Champion der Herzen, erzählt den Gästen seines kleinen italienischen Restaurants jeden Abend von seinen großen Kämpfen, doch innerlich ist er ein gebrochener Mann: Seine Frau Adrian ist tot, sein Sohn meidet den Kontakt und generell hat der Italian Stallion schwer daran zu knabbern, dass es keine Herausforderungen mehr für ihn zu geben scheint. Wie auch sein Schwager Paulie, der immer noch im selben Fleischereibetrieb arbeitet wie im ersten Teil, ist Rocky ein Dinosaurier, ein Übriggebliebener in einer ihm fremd gewordenen Welt. Und tatsächlich bietet sich für ihn noch einmal die Chance auf einen letzten Fight: Der aktuelle Champion Mason „The Line“ Dixon, der in dem Ruf steht, ein Boxer ohne Herz zu sein, wird in einer Nachrichtensendung öffentlich gedemütigt als man ihn in einem virtuellen Computerkampf gegen Rocky Balboa antreten und verlieren lässt. Seine Manager wittern die Gelegenheit mit einem einmaligen Showkampf eine Menge Geld zu verdienen, die erlittene Scharte auszuwetzen und gleichzeitig zu beweisen, dass ein echter Kämpfer in ihrem Champ steckt. Und welche Gefahr soll schon von einem alten Mann ausgehen?

173023__rocky_balboa_l.jpg „Rocky Balboa“ ist im vollen Bewusstsein seiner gewaltigen Erblast inszeniert worden. Sowohl inszenatorisch wie auch inhaltlich bildet er den gekonnten Brückenschlag zum Original von 1976. Kein Glamour, kein Glitter, keine sprechenden Spielzeugroboter wie in „Rocky IV“, kein überkandidelter Eighties-Soundtrack, kein „Eye of the Tiger“. „Rocky Balboa“ bringt den Mythos zurück in die Realität, gibt der Geschichte um den Kämpfer mit dem großen Herz die Seele zurück. Und er besucht noch einmal die Schauplätze seiner Vergangenheit, die sich auch in das Gedächtnis seines Publikums unauslöschlich eingebrannt haben: sein altes Wohnhaus, die mittlerweile abgerissene Eishalle, in die er seine Frau zum ersten Rendezvous ausführte, Mickey’s Gym. Die Welt des Rocky Balboa, sie ist immer noch da, aber man muss etwas archäologisches Geschick an den Tag legen, um ihre Überreste zu bergen. „Rocky Balboa“ ist auch ein Film über das Altern und über den langsamen, schmerzhaften Tod der Träume. Aber natürlich auch darüber, dass man sich von vielen dieser Träume schneller verabschiedet als es eigentlich nötig ist: Es reicht immer noch für einen letzten, großen Kampf.

Betrachtet man Stallones Film als Kapitel seiner Biografie, wird deutlich, wie schwer es für eine ehemalige Actionikone sein muss, die Jüngeren an sich vorbeiziehen zu sehen. Da möchte jemand nicht in der Gegenwart ankommen, will weiterträumen von den goldenen Zeiten. In seinem weinroten Jackett, das er abends in seinem Restaurant überstreift, wirkt Rocky ebenso deplaziert wie sein Hauptdarsteller im Gegenwartskino. Deshalb hat er einen Film gedreht, der tief in den Siebzigern verwurzelt ist, in der Malocherromantik des Original-Rockys, einen Film, in dem die wenigen inszenatorischen Zugeständnisse an die Moderne dem weinroten Jackett ihrer Hauptfigur gleichen: Sie passen nicht so recht. Film, Figur und Schauspieler/Regisseur sind hier nicht mehr voneinander zu trennen. Insofern ist „Rocky Balboa“ natürlich auch ein Abschiedsfilm. Stallone/Rocky hat es noch einmal allen gezeigt, jetzt kann er sich zur wohlverdienten Ruhe setzen. Sein Rocky wird immer da sein. Mach’s gut, Champ!

Rocky Balboa
(Rocky Balboa, USA 2006)
Regie: Sylvester Stallone, Drehbuch: Sylvester Stallone, Kamera: J. Clark Mathis, Musik: Bill Conti, Schnitt: Sean Albertson
Darsteller: Sylvester Stallone, Burt Young, Antonio Tarver, Milo Ventimiglia, Geraldine Hughes, Tony Burton
Länge: 102 Minuten
Verleih: MGM

Eine Antwort auf „Built to last“

  1. Sehr schöne Kritik. Ich hab den Film gesehen und kann sagen, dass der Inhalt gut gelesen wurde.

    Rocky wird immer im Herzen seiner Fans bleiben.
    Und mit ihm auch Sylvester Stallone.

    Jetzt warten wir noch auf Rambo IV und dann darf Stallone wirklich in die Rente gehen.

    Mach’s gut Champ!

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