Als die Frauen noch Flügel hatten

Ralph Bakshi gehört zu den ungewöhnlichsten Zeichentrickfilm-Regisseuren; insbesondere seine Filme für Erwachsene, „Fritz the Cat“ oder „Heavy Traffic“ haben ihm einen festen Platz im Pantheon der US-amerikanischen Popkultur gesichert. Mit seinen Fantasy-Stoffen „Lord of the Rings“ und „Fire and Ice“ setzte er tricktechnisch neue Maßstäbe und profilierte sich insbesondere gegen den Zeichentrick-Einheitsbrei aus den Disney-Studios. Sein postapokalyptischer Zeichentrickfilm „Wizards“ ist diesbezüglich ein „typischer Bakshi“, in dem sich viele Motive und Techniken der frühen und der späteren Arbeiten des Regisseurs finden. Jetzt ist der Film aus seiner relativen Vergessenheit herausgeholt und auf DVD und Blu-ray-Disc veröffentlicht worden.

„Die Welt in 10 Millionen Jahren“ ist „Wizards“ in der deutschen Fassung betitelt worden und man sollte lieber nicht versuchen, diese Jahreszahl zu verifizieren, weil im Film selbst verschiedene Zeitangaben gemacht werden. Sicher ist, dass eine Welt beschrieben wird, die lange nach dem Untergang der Menschheit durch einen Atomkrieg wieder zu neuem Leben erwacht ist. Neben Mutanten in den immer noch verstrahlten Gebieten, haben sich die alten Kulturen der Zwerge, Elfen und Feen wieder auf die Erdoberfläche gewagt und verschiedene Regionen der Erde besiedelt. Die beiden Zauberer Avatar und Blackwolf sind die Söhne einer Elfenprinzessin – zwei Brüder, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Avatar ein gutmütiger Zauberer, der stets für seine Mutter und nach ihrem Tod auch für ihr Volk da ist; Blackwolf ein finsterer Geselle, den das Schicksal seiner Familie wenig, dafür deren Königreich umso mehr interessiert. Als sich beide nach dem Tod der Mutter in einem Zweikampf begegnen, verschont Avatar Blackwolf, welcher zwar fortzieht, jedoch seine Rückkehr androht

Und genau von dieser Rückkehr Blackwolfs handelt „Wizards“: Blackwolf hat die alte Kriegstechnologie der Menschen ausgegraben und mit einem Heer von Mutanten eine neue Armee aufgestellt. Seine ultimative Waffe ist jedoch ein Filmprojektor und Filmmaterial über Hitlers Blitzkrieg. So macht er sich die Ideologie und die Symbolik der Nazis zu eigen, um die Welt mit einer neuen Terrorherrschaft zu überziehen. Einzig sein Bruder Avatar, zwei seiner Freunde sowie der Roboter Frieden, der zunächst als Kundschafter Blackwolfs ausgeschickt, dann von Avatar jedoch umprogrammiert wurde, stellen sich ihm in einem finalen Kampf entgegen. Der Rest der Weltbevölkerung ist entweder auf Blackwolfs Seite oder verhält sich neutral und abwartend – bis es zur großen Schlacht kommt.

Die Fantasy-Anteile in der Erzählung von „Wizards“ überwiegen den Science-Fiction-Anteil der Story von Beginn an und Bakshis Film wirkt nicht nur dadurch wie eine Vorstudie zum ein Jahr später produzierten „Herr der Ringe“-Film. Neben den Fabelwesen ist es vor allem der Konflikt der Zauberer, der aus dem Tolkien-Stoff übernommen und in eine ferne Zukunft transportiert wurde. Dennoch sollten die dystopischen, postapokalyptischen Motive nicht unbeachtet bleiben. Hierzu zählen neben der Kriegstechnologie insbesondere die Artefakte der Nazi-Diktatur, die Bakshi nicht nur sinnbildlich an den Horizont der Geschichte projiziert. Der Blitzkrieg Blackwolfs gegen den Rest der Welt ist ein Medienkrieg, denn für die Überraschung beim Angriff sorgen nicht etwa tödliche Waffen, sondern Filmprojektionen an den Himmel. Während die Armeen der guten Seite vor den Bildern erstarren, rücken Panzer, Reiter und bewaffnete Mutanten immer weiter vor. Bakshi nährt mit dieser Symbiose aus Medien und Waffen einen Diskurs, der ab den späten 1970er-Jahren durch Autoren wie Jean Baudrillard und Paul Virilio auch Einzug in die Geistes- und Kulturwissenschaften gehalten hat.

Die Technik, mit denen Bakshi seinen fantastisch-futuristischen Krieg inszeniert, ist hybrid angelegt zwischen konventionellem Zeichentrick, schwarz-weißen Radierungen, pastellfarbenen Aquarell-Hintergründen und Rotoskopie-Animationen, für die er eigens Print-Outs von Kriegsfilmen bei IBM hat anfertigen lassen, um diese dann nachcoloriert in seinen Film als Vorder- und Hintergrundbilder einzumontieren. Das Ergebnis zeigt einen extrem variantenreichen und durch den Einsatz verfremdeten Echtfilms auch unheimlich authentischen Film. Der Krieg in „Wizards“ ist gleichzeitig real und virtuell, dokumentarisch (Soldaten, Panzer, Kanonen in Rotoskopie-Bildern) wie fiktiv. Eine der Grundeigenschaften von Fantasy, die Projektion von Diskursen aus dem Hier und Jetzt in ein utopisches „Anderswo“ und „Anderswann“ erhält bei Bakshi nicht nur im Plot, sondern auch auf der Bildebene eine zusätzliche Betonung.

1977, als „Wizards“ erschien, war dem Film nur wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden, was nicht etwa an der ungewohnten Inszenierung lag, sondern an zwei mächtigen Konkurrenten. Zum einen war dies Disney, die gegen „Wizards“ ihren zu der Zeit fast 40 Jahre alten „Fantasia“ noch einmal in die Kinos brachten, weil sie, laut Bakshi, Angst hatten, ihr ureigenes Metier des fantastischen Zeichentricks für Kinder an einen Neuling abtreten zu müssen – die Zuschauer waren angesichts der gleichzeitig laufenden, ähnlichen Filme verwirrt und die Strategie Disneys ging damit auf. Der andere Konkurrent war George Lucas‘ „Star Wars“. Bakshi pflegte guten Kontakt zu Lucas, trat ihm gar das „War“ aus seinem ehemaligen Filmtitel „War Wizards“ ab, damit keine Verwechslungen entstünden. Und Mark Hamil (der Luke Skywalker aus „Star Wars“) hat eine zentrale Sprechrolle in „Wizards“. Beide Filme liefen in den USA mit 3000 Kopien an, der erfolgreichere, zwei Wochen nach „Wizards“ gestartete Lucas-Film brachte viele Kinobesitzer jedoch dazu, Bakshis Film nicht ein drittes mal zu programmieren, sondern anstelle dessen dem Weltraum-Abenteuer den Vorzug zu geben. Umso erfreulicher ist es nun, dass mit „Wizards“ ein Wiedersehen möglich wird und der Film nun noch einmal auf DVD und Blu-ray-Disc zu sehen ist.

Die Welt in 10 Millionen Jahren
(Wizards, USA 1977)
Regie & Buch: Ralph Bakshi; Musik: Andrew Belling; Schnitt: Donald W. Ernst
Sprecher: Bob Holt, Jesse Welles, Richard Romanus, Mark Hamill, David Proval, Ralph Bakshi u. a.
Länge: 82 Minuten
Verleih: KOCH Media

Die Blu-ray-Disc von KOCH Media

„Wizards“ erscheint in Deutschland zeitgleich auf DVD und Blu-ray-Disc. Die beiden Editionen unterscheiden sich eigentlich kaum voneinander, denn das Bild des Films besitzt bereits von der Produktionsintention her ein körniges, farbvariantes und augenscheinlich manchmal „schlechtes“ Bild, das sich durch die Blu-ray-Bearbeitung nicht verbessern lässt. Der etwas „schmutzige“ Stil ist allerdings eines der Markenzeichen des Films und der Arbeiten Ralph Bakshis. Auch in der Ausstattung unterscheiden sich beide Editionen nicht voneinander. Hervorhebenswert ist eines der seltenen Interviews mit Bakshi: Er hat eigenes für die Wiederveröffentlichung von „Wizards“ dessen Produktionshintergrund noch einmal rekapituliert.

Die Ausstattung der Disc im Einzelnen:

Bild: 1,77:1 (16:9)
Ton: Deutsch (DTS-HD 2.0), Englisch (DTS-HD 2.0)
Untertitel: Deutsch
Extras: 24-seitiges Booklet, Diverse Trailer, Audiokommentar von Regisseur Ralph Bakshi, Featurette: „Ralph Bakshi: The Wizard of Animation“ (ca. 32 Min.), Bildergalerie mit Originalzeichnungen und seltenem Werbematerial
FSK: ab 12 Jahren
Preis: 16,99 Euro

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