Zurückspulen oder Überspringen?

Zeitreisefilme gehören vielleicht zu den „selbstbewusstesten“ Filmen überhaupt, denn in ihnen wird nicht nur dem Unmöglichen ein Bild gegeben (und damit dem Spielfilm als Was-wäre-wenn-Medium vollständig entsprochen), sondern sie verhandeln auch stets das, was sie selbst sind: Produkte, die mit dem Fluss von Zeit operieren, verschiedene Zeitlichkeiten ins Bewusstsein rufen und miteinander in Konflikt führen. In eineinhalb Stunden können wir durch sie die Jahrtausende durchmessen oder einen einzigen Moment, eine Sekunde unendlich dehnen und damit in die Super- und Subbereiche der zeitlichen Wahrnehmung vordingen. Zeitreisefilme operieren auf der Demarkationslinie zwischen Alltagsphysik und Fantastik, wecken stets die intensivsten Spekulationen nicht nur über das „Was wäre wenn?“, sondern auch über das „Wie kann das sein?“. Und indem sie den Zuschauer beständig an die Aporien und Paradoxien seines eigenen Zeitbewusstseins erinnern, machen sie ihn manchmal sogar zu einem wichtigen „Handlungsträger“. Der ungemein intensive und erstaunlich spartanisch inszenierte Zeitreisefilm „Timecrimes“ des Spaniers Nacho Vigalondo ist gerade, was diesen letzten Punkt angeht, ein äußerst gerissener Vertreter seiner Art.

Darin beobachtet zu Beginn ein Mann, wie sich in einem Wald in der Nähe seines Hauses eine Frau entkleidet. Er geht zu ihr, sieht sie bewusstlos auf dem Boden liegen und wird von einem mit Mullbinden Vermummten attackiert. Panisch flieht er in ein nahe stehendes Gebäude und wird dort von einem Wissenschaftler aufgegriffen, der ihm anbietet, ihn in einem Tank vor seinem Verfolger zu verstecken. Kurz nachdem sich der Tankdeckel schließt, gibt es einen Blitz und der Verfolgte findet sich eineinhalb Stunden in die Vergangenheit zurück versetzt – der Tank war offenbar Bestandteil einer Zeitmaschine und er unfreiwillige Testperson des Wissenschaftlers. Er verlässt das Labor und sieht sein vergangenes Selbst durch ein Fernglas in seinem Garten sitzen. Weil er will, dass es ihn nur einmal gibt, zwingt er den Wissenschaftler, das Experiment zu wiederholen, gerät kur darauf in einen Autounfall, zieht sich eine Platzwunde am Kopf zu, umwickelt seinen Kopf mit Mullbinden und entführt eine junge Frau, die er zwingt, sich im Wäldchen in der Nähe seines Hauses zu entkleiden, um sein vergangenes Ich anzulocken … Wer den Autounfall verursacht hat, der zu der Kopfwunde geführt hat, ist da schon fast kein Geheimnis mehr.

„Time Crimes“ ist ein interessant konstruiertes Zeitreise-Experiment, das sich nicht nur der Frage der vermeintlichen „Logik“ von Zeitreisefilmen widmet, sondern gleichzeitig auch die hier in Konflikt mit einander tretenden Zeitphänomende des Films (Produktionszeit, gefilmte Zeit, Filmzeit bzw. Rezeptionszeit) in Augenschein nimmt. Der Mann wird zum Zuschauer seines eigenen Lebensfilms, den er, je öfter er ihn um anderthalb Stunden zurückspult und noch einmal ansieht, aus einer sich immer stärker distanzierenden und verstehenden Perspektive wahrnimmt. Sein Wunsch ist es, zum totalen Zuschauer zu werden, der (endlich) genauso viel weiß, wie der Erzähler. Doch dazu müsste ihm erst einmal erklärt werden, worin die Ursünde des Filmischen liegt: nämlich in der Montage. Am Anfang sehen wir ihn auf seinem Bett sitzen und nach ein paar seltsamen Jump-Cuts wieder aufstehen. Schon da ist er eigentlich das Opfer einer Zeitreise geworden.

Timecrimes
(Los cronocrímenes, Spanien 2007)
Regie & Buch: Nacho Vigalondo; Musik: Chucky Namanera; Kamera: Flavio Martínez Labiano; Schnitt: Jose Luis Romeu
Darsteller: Karra Elejalde, Candela Fernández, Bárbara Goenaga, Nacho Vigalondo, Juan Inciarte, Miguel Ángel Poo u. a.
Länge: 92 Minuten
Verleih: N. N.

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