Die Fluchtlinien des Textes und die Grenzen des Films

Das Misstrauen der Philosophie gegenüber der medialen Vermittlung philosophischen Wissens ist wohl ebenso alt, wie die Philosophie selbst. Und die Liste der Vorwürfe, die gegen die „Träger des Gedankens“ vorgebracht worden sind, ist bekanntlich lang: Die Rhetorik trügt und blendet, die Metapher verführt, die Schrift macht vergessen und nicht zuletzt das Bild ist ein minderwertiges Erkenntnismedium, dem nicht zu trauen – vor allem – nichts zuzutrauen ist.

Die vor kurzem im Passagen Verlag erschienene DVD-Reihe „Philosophie im Bild“ lässt viele dieser Vorurteile und Bedenken wach werden – und das in mindestens zweierlei Hinsicht: Zum einen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von „Philosophie“ und „Bild“, der natürlich auch die Befürchtung zu Grunde liegt, dass – wie leider häufig – bei einer solchen Zusammenführung weniger eine Liebesbeziehung als vielmehr eine Zwangsheirat zustande kommt. Zum anderen weckt ein derartiges Vorhaben natürlich auch Neugierde – und nicht zuletzt Hoffnung, der Drahtseilakt zwischen ‚Sinn’ und Sinnlichkeit möge gelingen, ohne dass eines davon auf der Strecke bleibt.

Die Grundlagen der Serie „Philosophie im Bild“ gehen auf Wiener Kulturwerkstätte GRENZ-film zurück, die seit 1997 Möglichkeiten der experimentellen Auseinandersetzung der Philosophie mit den Künsten auszuloten sucht. Die 4 Filme sind im Zuge von Lecture-Performances (Philosophy On Stage) entstanden, die GRENZ-film in den USA, Frankreich und im deutschsprachigen Raum realisiert hat. Verantwortlich für Konzeption und Umsetzung sind der Philosoph und Filmemacher Arno Boehler und die Schauspielerin Susanne Granzer, die nach eigenen Angaben ihr Vorhaben als eine Art Versuchsanordnung verstanden wissen wollen: Tonalität, Körperlichkeit und figurativer Charakter philosophischer Texte sollen im Vollzug einer visuell-musikalischen „Aufführung“ wahrnehmbar gemacht werden.

Das Ergebnis dieser Bemühungen sind vier jeweils etwa halbstündige Filme, die – zumindest was ihre Grundparameter betrifft – den gleichen Inszenierungsgesetzen folgen: Sequenzen aus einem Interview werden eingebunden in verschiedene Formen der filmischen Erzählung und musikalischen Rhythmisierung. Ein philosophischer ‚Text’ wird also mit verschiedenen Formen der medialen Inszenierung konfrontiert und damit in gewisser Weise diskutiert.

Trotz dieser Ähnlichkeiten im formalen Aufbau erweist es sich als ebenso schwer wie unangebracht, ein vereinheitlichendes Urteil über die vier „WissenschaftsClips“ zu wagen. Denn wie sich bald zeigt, wird die hier arrangierte Begegnung von „Philosophie“ und „Bild“ nicht ergebnisorientiert durchexerziert, sondern tatsächlich als eine Versuchanordnung realisiert. Und dabei – das gehört wohl zum Wesen experimenteller Praxis – ist der Ausgang nicht gesichert, kann am Ende sowohl Gelingen als auch Scheitern stehen. Beides zu- und gelten zu lassen spricht für den Mut der Autoren.

Gleich der erste Film führt vor, in welcher Weise sich ein Thema – oder genauer: eine bestimmte Sprechweise – den Möglichkeiten bildhafter Sprache und erzählerischer Inszenierung entziehen kann. Das dem Clip „The Call“ zu Grunde gelegte Interview mit der New Yorker Philosophin Avital Ronell, das sich mit der Frage existentieller Gerufenheit befasst, wird mit einer grellen und schnellen Bildsprache konfrontiert, die es äußerst schwer macht, den eher stillen, kreisenden Denkfiguren der Befragten zu folgen. Die Formel „Philosophie im Bild“ scheint hier nicht aufzugehen. Ein Ineinandertreten im Sinne gleichberechtigter Kommunikation stellt sich nicht ein. Vielmehr wird man das Gefühl nicht los, dass hier lautstark aneinander vorbei geredet wird, wobei die Stimme der Philosophin immer unterzugehen droht.

Eine ähnliche Konstellation ergibt sich bei „In.Time“ (Clip Nr. 3) – wobei hier die Kommunikation zwischen ‚Text’ und ‚Bild’ in anderer Weise als problematisch erscheint. Hier ist es gerade die sehr deutliche, konsistente Sprechweise des charismatischen Kulturanthropologen Robin Kelley, welche die Visualisierungsversuche häufig wenig originell, bisweilen fast beliebig erscheinen lässt.

Sehr viel behutsamer und vor allem geduldiger scheint die Annäherung von Text und Bild in „Archivare des Sterbens“. Die Ausführungen des Philosoph Hans-Dieter Bahr, der sich mit der Frage nach dem ‚Nichts’ – also der vielleicht ‚radikalsten’ Form von Bildlosigkeit – auseinandersetzt, treffen in 6 Kapiteln auf die Geschichten von Menschen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der Bedrohtheit von Leben, Angst und Verdacht, aber auch mit plötzlicher Verliebtheit und Begierde auseinander zu setzen haben. Und was zunächst wie eine etwas statische Collage beginnt, entwickelt bald einen faszinierend-dynamischen Charakter. Mit den filmischen Erzählungen legen die Autoren nicht eine Lesart der im Interview formulierten Thesen vor. Vielmehr entsteht durch das Neben-einander-setzen philosophischer Reflektion und lebensweltlicher Erfahrung ein Verhältnis der wechselseitigen Affizierung: Die Gespräch-Sequenzen bleiben als unhörbare Tonspur in den Erzählungen vernehmbar, ebenso, wie der Nachklang der „Geschichten“ die Ausführungen Hans-Dieter Bahrs in jeweils anderen Kontexten zum klingen bringt. Was sich hier in der philosophischen Rede abzuzeichnen beginnt, lässt sich vielleicht mit Gilles Deleuze als die „Fluchtlinien“, die „Bewegungen“ und „Geschwindigkeiten“ eines Textes bezeichnen. In diesem Sinne scheint das Kalkül der Autoren/Filmer hier tatsächlich aufzugehen: Die visuell-klangliche „Performance“ des Textes überführt Bestandteile der Rede in einen Modus der flüchtigen Sichtbarkeit und Tonalität, der bei einer stummern Lektüre leicht ‚übersehen’ wird.

In welcher Weise die ‚Aufführung’ Verschiebungen in der Wirkungsweise eines Textes verursacht, tritt vielleicht am deutlichsten im Wissenschaftsclip 2 zu Tage. Das Interview mit der Bildhauerin und Philosophin Elisabeth von Samsonow, die sich in ihren Ausführungen mit Phänomenen der Fremdheit auseinandersetzt, wird immer wieder an verschiedenen Schauplätzen ‚inszeniert’. Der Versuch der Philosophin, ‚Fremde’ als Ort der Selbsterfahrung in einer gewissen Nähe zu Halluzination und Traum zu denken, wird filmisch als Begegnung mit dem kulturell Fremden thematisiert. Der Umstand, dass dabei die Wahl auf das „Orientalische“ als Metapher für das Unverständliche, Mystische und Unbegreifbare fällt, erscheint zwar zunächst eher konventionell. Bald schon wird jedoch deutlich, dass solche ‚Signale’ nicht unreflektiert eingesetzt werden. Vielmehr wird der Versuch, das Fremde im Klischee zu bannen, zu einem Bestandteil des filmischen Diskurses selbst.

Und vielleicht sind es eben solche eher schlichten Figuren perspektivischer Verschiebung, die den eigentlichen ‚Mehrwert’ der philosophischen Clips gegenüber einer reinen Textfassung bilden: In der Möglichkeit, sowohl die philosophischen Reflektion mit Szenen der Lebenswelt zu konfrontieren, als auch die eigene Bildsprache (als etwas kulturell Kodiertes) zur Diskussion zu stellen. Das Medium Film, das wird auf eindrucksvolle Weise vorgeführt, ist in diesem Sinne weitaus mehr als ein Mittel zur Illustration philosophischer Rede. Es ist ein Ort des philosophischen Denkens selbst.

Wollte man abschließend noch einmal nach den Bedenken und Ängsten fragen, von denen zu Beginn die Rede gewesen ist, müsste man wohl eingestehen: Nicht wenige bestehen zu Recht. Hier wird getrügt, geblendet und verführt. Und dass den Bildern nicht zu trauen ist, kann man nach der Begegnung mit dem Projekt Grenz-film nur unterstreichen. Die Annahme jedoch, dass ihnen nichts zuzutrauen ist, erweist sich als eine bedauernswerte Form der Kurzsichtigkeit. Wer sich auf die hier arrangierte Begegnung von „Philosophie“ und „Film“ einlässt, tut gut daran, aufmerksam – vielleicht auch misstrauisch zu schauen. Aber, und das sei mit Nachdruck gesagt: Es lohnt sich in jeder Hinsicht, zu schauen.

Die Serie „Philosophie im Bild“ ist im Passagen Verlag/ Wien erschienen. Die WissenschaftsClips sind einzeln beziehbar, der Stückpreis beträgt € 19,90 (sfr 31,80). Die DVDs enthalten neben dem jeweiligen Film ein umfangreiches Textmaterial (PDF).

GRENZ-film, granzer & boehler:
DVD-Bücher Philosophie im Bild:
– The Call
– Das Fremde
– In.Time
– Archivare des Sterbens

Jan Valk

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