Der Letzte macht das Licht aus

In seinem Sportwagen rast Robert Neville (Will Smith) durch die menschenleeren Straßen des zerstörten Manhattans, seinen treuen Freund, den Schäferhund Sam, auf dem Beifahrersitz. Die Straßen gehören Robert ganz allein, keine lästigen Ampeln, die ihn aufhalten, keine anderen Fahrzeuge, die ihm Platz wegnehmen. Doch plötzlich erregt etwas die Aufmerksamkeit des Hundes: ein Rudel Rehe prescht durch die Häuserschluchten, schlägt Haken zwischen stehengebliebenen Autos, verschwindet hinter der nächsten Ecke. Neville tritt die Bremsen, reißt das Steuer herum: Die Erkundungsfahrt wird zur Jagd, der sprichwörtliche Großstadtdschungel ist ein echter geworden.
i_am_legend_poster2.jpgEs ist nicht zuletzt das Bild der leeren Großstadt, das Richard Mathesons Roman „Ich bin Legende“ – die Geschichte des letzten Überlebenden einer Seuche, die alle Menschen entweder getötet oder in blutgierige Vampire verwandelt hat – für eine Verfilmung prädestiniert. Mutet die erste Adaption von 1964, „The last Man on Earth“, noch wie ein Kammerspiel an (wohl auch weil die Macher erkannt hatten, dass der Drehort Rom nur ein unzureichender New-York-Ersatz war), schwelgte „Der Omega-Mann“ 1971 umso ausgiebiger in Bildern urbaner Tristesse, diesmal in Los Angeles. „I am Legend“ kann mit Unterstützung moderner Technologie nun aus dem Vollen schöpfen und verwandelt Manhattan in einen gewaltigen Friedhof, der seinem letzten Bewohner eine schier unerschöpfliche Fülle an Möglichkeiten offenbart, die Zeit totzuschlagen. Der letzte Mensch der Welt ist kein Geringerer als Will Smith, der die Rolle von Vincent Price und Charlton Heston übernimmt. Keine kleine Aufgabe: Der Superstar muss den Film über weite Strecken ganz allein tragen und sich gegen die imposante Kulisse eines ausgestorbenen und von der Natur reokkupierten Manhattans behaupten, die ihn förmlich aufzusaugen und ihm die Show zu stehlen droht. „I am Legend“: Dass ausgerechnet diese Adaption sich zum ersten Mal des Originaltitels von Mathesons Roman bedient, scheint fast programmatisch. Will Smith, die ultimative Entertainment-Waffe und – glaubt man dem Film – ideeller Nachfolger sowohl Eddie Murphys als auch Bob Marleys, braucht keine Nebendarsteller und spielt selbst die Skyscraper New Yorks an die Wand. Vielleicht ist das auch der Grund, warum man sich entschieden hat, die Vampire im Rechner zu erstellen: Da sie niemals die Materialität eines echten Schauspielers erreichen, wirkt Smith zwischen ihnen noch lebendiger. Doch so sehr alles an „I am Legend“ auch auf seinen Hauptdarsteller als Hauptattraktion gerichtet zu sein scheint, so sehr er diesen zum Popmessias stilisiert, es muss als Smith‘ größter Verdienst angesehen werden, dass er sich in den Film integriert, anstatt ihn zu beherrschen. Sein Robert Neville ist weder der verbitterte Killer aus „The last Man on Earth“, noch der zynische Herrenmensch, als den Heston ihn in „Der Omega-Mann“ interpretierte, sondern ein sehr verwundbarer und ängstlicher, gleichzeitig aber immer rational handelnder Charakter, der seinen Status als letzter Mensch vor allem als Verantwortung begreift. So wird auch der Titel von Mathesons Roman einer radikalen Neuinterpretation unterzogen: Die „Legende“ besingt Neville nicht etwa als grausamen Vampirschlächter, sondern als Retter der Menschheit. Die Hoffnung auf die Wiedergeburt ist – ein kaum zu übersehender Trend im US-Kino – natürlich wieder einmal christlich fundiert und außerdem als endgültige Überwindung von 9/11 zu verstehen. Dass „I am Legend“ in New York spielt, auf das Smith als Neville einmal als „mein Ground Zero“ referiert, spricht eine überdeutliche Sprache.

Trotz dieses Makels ist „I am Legend“ ein überaus sehenswerte Neuverfilmung eines Romans geworden, der seine Relevanz ganz offensichtlich immer noch nicht verloren hat. In seiner Darstellung von Einsamkeit und Isolation – also den zentralen Elementen des Stoffs – ist „I am Legend“ die visuell stärkste der drei Adaptionen, was nicht zuletzt der Effekttechnologie geschuldet ist: Das menschenleere Manhattan möchte man am liebsten auch abseits der Kamera erkunden. Nach dem zwar unterhaltsamen, aber ungemein albernen „Constantine“ hat Regisseur Francis Lawrence eine sehr ausgewogene und vor allem ernste Arbeit vorgelegt, die die meisten Fettnäpfchen des gängigen Blockbusters geschickt vermeidet und als positive Überraschung verbucht werden muss. Ob Will Smith die prämortale Ernennung zur Legende rechtfertigt, wird die Zukunft erweisen: In „I am Legend“ beweist er erneut, dass er das Zeug dazu hat.

I am Legend
(I am Legend, USA 2006)
Regie: Francis Lawrence, Drehbuch: Mark Protosevich, Akiva Goldsman, Kamera: Andrew Lesnie, Musik: James Newton Howard, Schnitt: Wayne Wahrman
Darsteller: Will Smith, Alice Braga, Dash Milhok, Charlie Tahan, Salli Richardson
Länge: 100 Minuten
Verleih: Warner Bros.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.