»I would give my love to thee«

„Wir gehörten nicht zu diesen Menschen, diesen glücklosen Menschen, denen grundlos schreckliche Dinge passieren.“ – Diese Worte aus dem Mund der 14-jährigen Susan Salmon muten seltsam an, da es die Worte eines toten, eines ermordeten Mädchens sind. Im Laufe des Filmgeschehens beginnt man jedoch zu begreifen, warum ihre Einschätzung gilt, trotz dieses schrecklichen Ereignisses, das die Familie zu zerreißen droht.
Susan, genannt Susie, lebt mit ihren Eltern und ihren beiden jüngeren Geschwistern in einer Kleinstadt. Sie ist 14 Jahre alt und gerade das erste Mal in ihrem Leben unglaublich verliebt – in Ray, einen Jungen aus der Oberstufe. Sie ist so sehr mit ihren Gefühlen für Ray beschäftigt, dass sie nicht merkt, wie ihr Leben sich von außen verdunkelt, sie von ihrem Mörder beobachtet wird … Die Folgenschwere ihrer Neugier und Hilfsbereitschaft wird ihr unerbittlich bewusst, als sie am 06. Dezember 1973 ihrem Mörder begegnet, doch da ist es schon zu spät, kein Ausweg, keine Rettung mehr möglich. Der Film begleitet den Trauer- und Verarbeitungsprozess von Susies Familie. Ihr Vater jedoch kann und will nicht eher ruhen, bis der Mörder seiner ältesten Tochter gefunden und für seine Tat bestraft worden ist.

Was bleibt nach dem Tod eines Menschen, sind die Erinnerungen an ihn; einzelne Momente, festgehalten wie auf einem Foto, bevor sie vorübergehen. In „In meinem Himmel“ werden diese Erinnerungsstücke aus der Welt der Lebenden phantasievoll übernommen und angereichert/erweitert in Susies „Zwischenwelt“. Hierin finden viele Dinge aus ihrem früheren Leben Platz, reihen sich harmonisch, wenn auch in neuem Gewand, in diese mystische Welt ein, ergeben einen neuen surrealen Sinn. „Erinnerungen sind etwas Seltsames“, dieser melancholische Gedanke Susies bildet das Zentrum des Films – um Erinnerungen dreht sich fast alles: So scheint etwa Susies frühe Kindheitserinnerung an einen einzelnen Pinguin in einer Schneekugel ihr eigenes Schicksal auf unheilvolle Weise bereits vorwegzunehmen. Auch wenn der Vater seine kleine Tochter zunächst beruhigt – da er ihre Sorge um den einsamen Pinguin spürt – und ihr versichert, er lebe in einer perfekten Welt. Doch Susie ist in ihrer Zwischenwelt nicht ganz allein: Sie trifft Holly, ein Mädchen in ihrem Alter, die ihr hilft, sich zurechtzufinden und zu lernen, ihr altes Leben loszulassen, auch wenn das zunächst unendlich schwer erscheint. Nicht nur Holly, auch ihr Vater ist Susie über ihren Tod hinaus nah. Er spürt ihre Gegenwart und wiederum durch Erinnerungen, bei denen Susie ihn aus ihrer Welt unterstützt, kommt er schließlich dahinter, wer der Mörder seiner Tochter ist, kann dies jedoch nicht beweisen. Und auch gefasst ist er dadurch nicht.

Auffällig ausgespart wird jedoch eine zentrale Erinnerung – die Erinnerung an den Mord selbst; er ist eine Tatsache, die Peter Jackson eindringlich in den Film einschreibt, ohne den eigentlichen Tathergang in Bildern zu berühren. Trotz seines zentralen Mordfokus‘ spendet der Film auch in mehrfacher Hinsicht Trost: So ist Susie etwa jener letzte gemeinsame Moment mit einem geliebten Menschen vergönnt, welchen sie sich sehnlicher als alles andere wünscht, genauso sehr wie derjenige, der auf der Welt nach ihrem Verlust unvermutet allein zurückbleibt.

Einfühlsam und emotional gelingt es Peter Jackson darüber hinaus eine undenkbare Verbindung im Film zu inszenieren: Die Verbindung zwischen den Opfern desselben Mörders. Es sind acht Mädchen und eine Frau, eine Verbindung die – mit irdischen Maßstäben gemessen – so erschreckend und unfassbar wie gleichsam untrennbar stark und tröstlich erscheint. Das Aufeinandertreffen dieser Schicksalsgemeinschaft hat etwas Überwältigendes – ahnt man doch, dass es keinen größeren Trost, keine innigere Verbundenheit, kein wortloseres absolutes Verständnis füreinander angesichts des Unfassbaren geben kann.

Rays Gedanke, es könne besser sein, die Erinnerung an Susie ruhen zu lassen, weicht einer Zuversicht, die der Regisseur uns gibt: Susie nimmt aus ihrem Himmel Anteil am Weiterleben ihrer Familie und beeinflusst auch das spätere Schicksal ihres Mörders. Die Beziehungen, die sich ihretwegen gebildet und verändert haben, sind zart, doch sie hinterlässt eindeutig eine Spur auf Erden.

Susie versteht irgendwann, dass sie es ist, die loslassen muss, damit ihre Familie weiterleben kann. Sie selbst wird zu einer Erinnerung, einer unauslöschbaren, die dem Lauf des Geschehens einige Details hinzugefügt und auf ihre eigene, manchmal nicht gleich offensichtliche Weise, die Dinge beeinflusst hat. So vermag ihr Tod in „In meinem Himmel“ mehr miteinander zu verbinden, als dass er Trennung bedeutet. Da es insgesamt ein Film ist, der trotz der enthaltenen Monstrosität des Täters, der Unfassbarkeit des seriellen Kindermordes einfühlsam Trost zu spenden vermag für die Hinterbliebenen und auch in einer Sphäre, von der man während des Films einmal mehr inniglich hofft, sie möge existieren …

Die Intensität des Erzählens manifestiert sich in der Ästhetik des Films, der auf einer Romanvorlage von Alice Sebold basiert: Hier werden innere, seelische Prozesse geformt zu äußeren Bildern. Die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod ist kindgerecht und dabei überbordend in einem positiven, phantasievollen Sinn – es ist eben der Zwischenhimmel, und zwar Susies ganz eigener, persönlicher, angereichert mit Gegenständen aus ihrem früheren Leben und ihren Träumen und Wünschen – alles ist dort möglich. Und doch hat auch dieser Zwischenhimmel eine dunkle und traurige Seite der Unumkehrbarkeit: Bilder des Schreckens und Erkennens der nicht erinnerbaren vergangenen Geschehnisse offenbaren sich Susie hier. Dieser Ort bietet Susie keinen Weg zurück in ihr irdisches Leben. Ein kleines Stück der Rätselhaftigkeit und Magie ihres Himmels rettet Susie jedoch in manchem Moment in die verbliebene Welt ihrer Familie, ihrer Freunde und ihres Mörders hinüber.

Peter Jackson denkt sich für diesen Zwischenhimmel eine fantastische Landschaft aus, die an die „Hirngespinste“ seiner Protagonistinnen in „Heavenly Creatures“ erinnern: bunt und lebendig – das krasse Gegenteil zum irdischen Bild der Trauer oder der Gewalt. Jackson versucht auf diese Weise den Grundtenor des Films, dass selbst das schrecklichste Geschehen zwei Seiten besitzt, zu illustrieren: So, wie der Mord an Susie die Familie nach einer Zeit enger zusammenschweißt, findet Susie in „ihrem Himmel“ schließlich auch den Frieden, den sie gesucht hat.

In meinem Himmel
(The Lovely Bones, USA/UK/Nz 2009)
Regie: Peter Jackson; Buch: Fran Walsh, Philippa Boyens, Peter Jackson; Musik: Leo Abrahams, Brian Eno; Kamera: Andrew Lesnie; Schnitt: Jabez Olssen
Darsteller: Mark Wahlberg, Rachel Weisz, Susan Sarandon, Stanley Tucci, Michael Imperioli, Saoirse Ronan, Rose McIver u.a.
Länge: 136 Minuten
Verleih: Paramount

Die DVD von Paramount

Bild: 2.35:1 (16:9)
Ton: Deutsch (DD 5.1), Englisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: keine
FSK: ab 12 Jahre
Preis: 14,99 Euro

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Miriam-M. Höltgen

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