Währenddessen in Währenddessen …

London: Milo (Sam Riley), ein junger Mann, der von seiner Partnerin und zukünftigen Ehefrau verlassen worden ist und nun mit sich und dem Schicksal hadert; die junge Künstlerin Emilia (Eva Green), deren ambitioniertes Studienprojekt – die künstlerische Inszenierung ihrer Selbstmorde – längst außer Kontrolle geraten ist; David Esser (Bernard Hill), ein Vater, der verzweifelt seinen aus einer Heilanstalt entflohenen, gewalttätigen Sohn sucht. Und gleichzeitig in „Meanwhile City“, einem neogothisch verzerrten Zwilling der englischen Hauptstadt: ein Auftragskiller namens Preest (Ryan Phillippe) mit der Mission, „The Individual“ zu töten, den mysteriösen Strippenzieher im Hintergrund, das verbrecherische Mastermind.

franklyn-dvdcover[1]So wie diese einzelnen Figuren schon in der Beschreibung nur bedingt zusammenzupassen scheinen, so muss sich auch der Zuschauer von „Franklyn“, dem Debüt des Briten Gerald McMorrow, lange gedulden, bis sich die einzelnen Puzzleteile zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen. Die erste halbe Stunde ist mit geradezu aufreizender Geduld inszeniert, so, als habe der Regisseur noch nie davon gehört, dass es um die Konzentrationsfähigkeit des Publikums schlecht bestellt ist, als sei die Tatsache einer beharrlich schwindenden Aufmerksamkeit in unserer gern als „schnelllebig“ bezeichneten Welt nur ein hartnäckiges Gerücht. Oder, wenn man es positiv wenden möchte: McMorrow inszeniert mit vollem Vertrauen in seinen Stoff, mit einer Begeisterung, die man zunächst nur schwer teilen kann, die dann aber doch ansteckend und sympathisch wirkt. Anstatt bloß Plotpoints abzuhaken, nach Lehrbuch gesetzte dramaturgische Wendepunkte anzusteuern und vielfach erprobte Klischees für sich zu nutzen, erzählt McMorrow seine Geschichte tatsächlich so, als sei sie völlig neu. Das kann man ihm kaum hoch genug anrechnen, denn der Trick funktioniert.

Aber wie so oft bei diesen Filmen, deren Reiz vor allem daraus erwächst, dass die Auflösung immer knapp außerhalb der eigenen Reichweite baumelt, sodass sich immer nur ihre Umrisse, nicht aber ihre ganze Gestalt abzeichnen, kann der finale Clou die Versprechungen des Aufbaus kaum einlösen. Die Wege der Protagonisten, so viel erahnt man bald, werden sich kreuzen, ihre Begegnung dem Leben jedes einzelnen eine entscheidende Wendung geben. Und so kommt es dann auch. Wie M. Night Shyamalan so malt auch McMorrow das Bild einer Welt, in der nichts Zufall, alles Bedeutung und Vorhersehung ist. Man darf es McMorrows Zurückhaltung zuschreiben, dass dieser religiös verbrämte Kitsch auch für den Vernunftmenschen goutierbar bleibt – aber auch der Tatsache, dass seine romantische Weltanschauung innerhalb der Konzeptionierung des Films zum rein ästhetischen Prinzip gerinnt.

Dies führt dann auch zum eigentlichen Problem und zur Kehrseite der Medaille: Mit seiner pompös inszenierten Parallelwelt „Meanwhile City“, die sowohl Vergleiche mit Tim Burtons „Batman“, Alex Proyas’ „Dark City“ oder auch McTeigues „V For Vendetta“ aufdrängt, wirkt „Franklyn“ unangemessen überproduziert, weckt den Eindruck, als wollten die Produzenten auf Gedeih und Verderb einen Kurzfilmstoff mithilfe eines Millionenbudgets zum Mysterythriller und Eventmovie aufblasen. Der Handlungsstrang um die Parallelwelt ist kaum mehr als ein Gimmick, schmückendes Beiwerk, das sich gut im Trailer macht und die Zuschauer ins Kino locken soll, wo sie dann einen ganz anderen Film zu sehen bekommen; einen, der ohne diesen Schnickschnack deutlich runder und auch überzeugender gewesen wäre. Schlimmer als dieser Etikettenschwindel ist jedoch, dass durch diesen Schachzug auch McMorrows sonst jederzeit spürbare Aufrichtigkeit in Mitleidenschaft gezogen wird. „Franklyn“ ist somit das Musterbeispiel eines zwiespältigen Films: Seine beiden Hälften neutralisieren sich nicht bloß, sie stehen in offenem Widerspruch zueinander.

Franklyn – Die Wahrheit trägt viele Masken
(Franklyn)
Frankreich/Großbritannien 2008)
Regie: Gerald McMorrow; Buch: Gerald McMorrow; Musik: Joby Talbot; Kamera: Ben Davis; Schnitt: Peter Christelis
Darsteller: Eva Green, Ryan Phillippe, Sam Riley, Bernard Hill, Susannah York u. a.
Verleih: Ascot Elite
Freigabe: FSK 16
Länge: 94 Minuten

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: Splatting Image

Unsere DVD-Kritik zum Film

2 Antworten auf „Währenddessen in Währenddessen …“

  1. Oliver, anfänglich eine feine Beschreibung, aber warum so unwirsch zum Ende hin? Weshalb so bittere Worte wie Etikettenschwindel für die Struktur des Filmes? Vielleicht schlägt noch die Enttäuschung über die konstruiert reibungslose Aufmerksamkeit durch, die mich auch mit einem schalen Gefühl der verpaßten Chancen zurückgelassen hat?

    Finde jedenfalls immer noch, daß die beiden Teile von *Franklyn* auch bei einer Zweitsichtung sich gut ineinander fügen, eben weil sie als Kontrast gedacht sind. Die megalomanische Schönheit von Meanwhilecity ist nur wirksam im Vergleich zur tristen Verlorenheit Londons. Bei der Erstsichtung ist das Konzept eh stimmig, weil man nicht weiß, wer wessen Imagination ist. Bei mir hat sich jedenfalls die Unsicherheit durch die Existenz einer Parallelwelt auf alle Figuren übertragen.

  2. Hi Critic,

    ja, vielleicht ist der Schluss tatsächlich etwas „unwirsch“ geraten, weil mir FRANKLYN unmittelbar nach dem Verlassen des Kinos eigentlich ganz gut gefallen hat. In der Nachbetrachtung verstärkte sich jedoch der Eindruck, dass hier mit dem Fantasy-Korsett eine Geschichte vor allem optisch aufgepeppt werden sollte, die dies nicht unbedingt nötig gehabt hätte. Gemessen an dem Aufwand, den McMorrow für den Meanwhile-City-Subplot betreibt, bringt dieser für den kompletten Film erstaunlich wenig, meine ich. Ich könnte das jetzt noch weiter ausführen, aber eigentlich trifft das, was ich in meinem Text geschrieben habe, schon ganz gut, wie dieser Teil des Films auf mich wirkt. Eine zweite Chance würde ich ihm aber durchaus einräumen, vielleicht geht es mir dann wie dir.

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