Bibelschwarze Flamboyanz

Wenn sich Welt und Scheinwelt nur noch von den nervösen Zeigefingern der Pathologie auseinanderhalten lassen, trifft das meist diejenigen am härtesten, die den Unterschied selbst nicht zu sehen in der Lage sind. In seinem 2008 erschienenen Debütwerk „Franklyn“, für das der Brite Gerald McMorrow auch das Drehbuch schrieb, werden die Geschichten von vier Menschen erzählt, für die diese Grenze auf die eine oder andere Art zu verschwimmen droht. Angesiedelt zwischen der heutigen Metropole London und der düsteren Parallelwelt Meanwhile City machen sich die vier auf, um ihrem Dasein die entscheidende Wendung hin zum Sinnhaften zu geben.

FRANKLYNDas Episodenballett hebt an mit dem jungen Milo (Sam Riley), der von seiner Verlobten sitzengelassen wird und nun glaubt, seine alte Jugendliebe wiederentdeckt zu haben. Diese ist jedoch angeblich schon seit Jahren tot und Milo beginnt sich einzugestehen, dass seine Zusammenkünfte mit der schönen Frau auf einem Hirngespinst basieren. Nichtsdestotrotz bleibt er dieser Inkarnation scheinbar unverdorbener Liebe treu. Die Kunststudentin Emilia (Eva Green), die mit der Lieblosigkeit ihrer Mutter und dem Tod ihres Vaters nicht zurecht kommt, nimmt derweil ihre ungestellten Selbstmordversuche auf Video auf, um sie in einem Filmprojekt zu verarbeiten, während Peter Esser (Bernhard Hill) sich nach London aufmacht, um seinen verschwundenen Sohn in der Parallelgesellschaft der Obdachlosen zu suchen. Der Sohn, ein traumatisierter Heimkehrer aus dem Irakkrieg, soll nach vierjähriger Internierung in einer Psychiatrie den Ausbruch gewagt haben. Auf dieser Folie verschieben sich im Laufe der Erzählung die Einzelschicksale immer mehr auf ein Ende hin, das die vermeintlich unterschiedlichen Charaktere zusammenführt.

Obwohl die Episoden zu einem großen Teil im modernen London spielen, ist der Film dort am überzeugendsten, wo er die Grenze zwischen den Welten hinter sich lässt und in einem Taumel bibelschwarzer Flamboyanz den Betrachter ins ewig nächtliche Meanwhile City führt. Hier herrscht allgemeiner Glaubenszwang, der von den eifersüchtigen Blicken einer Kaste religiöser Ordensführer überwacht wird. Die Art des Glaubens ist dabei nicht von Belang, solange man nur glaubt. Gleichzeitig bewegen sich die Bewohner in einem quirligen Durcheinander einer düster-kanevalesken Rauschhaftigkeit, die von der Präsenz der zur Alltäglichkeit avancierten Verkleidung nicht ohne den Reiz des Geheimnisvollen auskommt. Einzig der maskierte Vigilant Jonathan Preest (Ryan Philippe, „L.A. Crash“) ist Atheist, deshalb ein von den Klerikern Gejagter, Erlöserfigur und ein Rächer Rorschach’scher Färbung. Seine revolutionäre Gesinnung richtet sich jedoch nicht in erster Linie gegen den Klerus – dieser ist nur ein notwendiges Übel – sondern treibt den Jäger in seinem Hass gegen einen viel schlimmeren Feind, der sich “The Individual“ nennt. Dieser stets abwesende Anführer einer geheimnisvollen Sekte soll für den Tod eines Mädchens verantwortlich sein, für dessen Schutz Preest seinerzeit die Verantwortung innehatte.

franklyn_jonathan_preestEs war wohl auch die Aussicht auf die bildgewaltige Komposition von Meanwhile City, die dem Film seine Vorschusslorbeeren eingebracht hatte, konnte sich doch das im Trailer gezeigte ohne Scheu mit der monströsen Architektur in Ridley Scotts „Blade Runner“ oder den abgründigen Labyrinthen in „Dark City“ von Alex Proyas vergleichen lassen. Selbes gilt für den maskierten Helden Jonathan Preest, für den die Comicverfilmungen “Watchmen“ oder “V For Vendetta“ Pate gestanden haben dürften. Die Kinoeinführung in UK floppte jedoch, sodass der Film den Weg in die USA gar nicht erst antrat und hierzulande nur auf DVD erscheint. Zu Recht möchte man sagen, denn obwohl sich McMorrow immer wieder die Zeit nimmt, seine einzelnen Episoden bis ins Detail mit Wendungen und Rätsels zu verzieren, ist es gerade dieser Hang zur Arabeske, die den Film über weite Strecken hoffnungslos austrocknet.

Dies schlägt sich auch in den Leistungen der – zugegebenermaßen hochkarätigen – Schauspieler nieder. Dem zartbesaiteten, spleenigen Milo möchte man im Laufe der Geschichte zwar noch den ein oder anderen Sympathiepunkt zusprechen, bei der Figur der Emilia gelingt dies jedoch nur noch mäßig. Eva Green gibt sich kaum Mühe, die Oberflächlichkeit des todessehnsüchtigen Salon-Goths zu verhehlen, sodass sie eher wirkt wie eine verkitschte Kopie von Marla Singer (Helena Bonham Carters Charakter aus „Fight Club“) denn als zutiefst zerrüttete Frau auf der Schwelle zum Suizid. Selbes gilt leider auch für die Darbietung Ryan Phillippes, dessen Figur zwar den Vorteil einer atemberaubenden Kulisse genießt, der aber mit der Ausbuchstabierung des getriebenen Helden schon recht bald an seine Außengrenze stößt.

franklyn_1Retten will McMorrow den narrativ überfrachteten “Franklyn“ mit einem unterm Strich recht blass anmutenden Metatext, den er dem Zuschauer fast schon penetrant aufzudrücken versucht. Letztlich soll alles wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt werden, was freilich nicht ohne die Intervention der Pathologie vonstatten geht. Der traumatisierte Irakveteran, der einmal schon an der Schwelle zum Tod stand und wohl im Krieg einen herben Verlust erlitten hat, empfindet in seiner wahnhaften Auseinandersetzung mit der westlichen Welt alles als – im wahrsten Sinne des Wortes – Glaubenskrieg, der seine Haltlosigkeit im Dickicht der Maskierung zu verbergen versucht. Meanwhile City ist – und diese Erkenntnis stellt sich bereits nach den ersten Minuten des Films überdeutlich ein – nur ein Gedankengebäude, “The Individual“ ist in Wahrheit der Vater, den es in Freud’scher Einsicht unbewusst zu töten gilt und die eingebildete Liebe weicht in der Karthasis eines beinahe tödlichen Ereignisses einer höchst realen Person. McMorrow inszeniert sein opulentes Werk als Spurensuche im Reich des Unbewussten, wo Symbole gelesen, Rätsel gelöst und Deckerinnerungen aufgedeckt werden müssen, nur um festzustellen, dass sich der Regisseur in dem Wust von Hinweisen und Parallelhandlungen immer wieder zu verlieren droht. Am Ende fällt die Geschichte wieder in die Linearität konventionellen Erzählens zurück, wo sie auch, wenn man ehrlich ist, schon von Beginn an hätte bleiben sollen.

Franklyn
(UK 2008)
Regie und Buch:
Gerald McMorrow; Kamera: Ben Davis; Musik: Joby Talbot
Darsteller:
Eva Green; Ryan Phillippe; Sam Riley; Bernhard Hill
Länge:
98 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Zur DVD von Ascot-Elite

Bild: 2,35:1 / 16:9
Ton:
Deutsch (DTS 5.1 / Dolby Digital 5.1); Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel:
Deutsch
Extras:
Originaltrailer, Trailershow
FSK:
16
Preis:
14,95 Euro

Diese DVD bei Amazon kaufen.

Unsere Kinofilm-Kritik zum Film

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.