Der Film zum Amoklauf

Anlässlich des Amoklaufs von Winnenden ist erneut die Debatte um „Killerspiele“ und „Gewaltfilme“ entbrannt. Handtellergroße FSK-Aufkleber auf DVDs und Spielen stellen einen ersten besonders reflexhaften und hilflos wirkenden Versuch dar, solchen Gewalttaten präventiv entgegenzuwirken. Weitere Verbote werden eifrig diskutiert, während das Versagen der kleinsten gesellschaftlichen Zelle, der Familie, bestenfalls zur Kenntnis genommen, nicht jedoch als eigentliche Wurzel des Problems angegangen wird. Menschliche Wärme, soziales Engagement und Kommunikation bleiben in der Leistungsgesellschaft auf der Strecke, weil mit ihnen kein Gewinn zu erwirtschaften ist. Man muss kein ausgesprochener Fatalist sein, um sich ausmalen zu können, wo das hinführen könnte. Und genau hier setzt auch Jonas Akerlunds „The Horsemen“ an – verschenkt aber leider die Chance, seinem brisanten Inhalt mit der angemessenen Form zur Durchschlagskraft zu verhelfen.

horsemenb[1]Aidan Breslin (Dennis Quaid) ist Witwer, alleinerziehender Vater zweier Söhne und Polizist und bekommt es mit einer besonders grausamen Mordserie zu tun. Die Inszenierung der blutigen Morde lehnt sich an das Buch der Offenbarung des Johannes an, die Täter – es sind derer vier – treten als die Reiter der Apokalypse auf, die mit ihren Taten den Boden für den ihnen folgenden Untergang bereiten. Der Dramaturgie der biblischen Vorlage zufolge steht also nichts weniger als das Ende der Welt zu befürchten, sollten die Mörder ihren teuflischen Plan zu einem Ende führen. Dies will Breslin um jeden Preis verhindern, doch er ahnt nicht, dass er dem Urheber des Verbrechens näher steht, als er dies für möglich hält …

Jonas Akerlund machte sich einen Namen als visionärer Videoclip-Regisseur – ein Ruf, der ihn fast zwangsläufig irgendwann nach Hollywood führen musste. Sein Spielfilmdebüt SPUN machte dann auch vor allem wegen seiner visuellen Gestaltung von sich reden, hinter der der spekulative und auf Provokation gebürstete Plot um Drogen, Sex und White Trash merklich zurückstand. Michael Bays Produktionsfirma Platinum Dunes, die den Teeniemarkt seit einigen Jahren mit qualitativ fragwürdigen, aber dafür stets auf Hochglanz polierten Remakes beliefert, hat den gebürtigen Schweden für „The Horsemen“ nun in ein enges Korsett geschlagen und ihm jegliches expressive Bedürfnis ausgetrieben. Die Wildheit von „Spun“ ist einem zwar edlen, aber auch sehr stromlinienförmigen Look gewichen, der seinem Inhalt alle Ehre macht: „The Horsemen“ hakt alle Klischees seines Genres nach Checkliste ab und macht recht schnell klar, dass sich keiner der Beteiligten wirklich für den Stoff interessiert hat. Die grotesken Morde sind reiner Selbstzweck und orientieren sich an den blutigen Errungenschaften der SAW-Reihe, ein mythologischer Überbau gehört seit Finchers „Se7en“ zum Genrestandard und wirkt hier besonders willkürlich ausgewählt, die Auflösung – einziger Spannungsmoment eines solchen Films – kündigt sich von langer Hand an und ist somit vollkommen verschenkt. Überhaupt drängt sich die Frage auf, ob die Macher solcher Genreware die mangelhafte Medienkompetenz ihres Publikums bei der Konzeptionierung schon mit einkalkulieren oder ob sie die Funktionsweisen ihres Medium selbst nicht mehr durchschauen: Dass sich der weibliche Star des Films nicht für eine nichtssagende Opferrolle hergibt, sollte eigentlich klar sein, trotzdem wird der Moment ihrer (überraschungsarmen) Enttarnung hier ähnlich emphatisch und bedeutungsschwanger inszeniert wie weiland das Auftauchen von Norman Bates’ mumifizierter Mutter. „Klappern gehört zum Handwerk“ heißt es, „The Horsemen“ suggeriert, dass sich das Handwerk darin erschöpft.

Eigentlich verbietet sich jede emotionale Aufwallung gegenüber diesem mit erschreckender Routine heruntergekurbelten Thriller; er bleibt immer schön lauwarm, ist zwar nie richtig gut, wird aber auch nie so richtig schlecht. Was ihn jedoch zum Ärgernis macht, das ist die Tatsache, dass hier ein wie oben erwähnt aktuelles und wichtiges Thema – die Morde sind Rache und Weckruf derer, die in der Leistungsgesellschaft immer zu kurz kommen: der Kinder – als bloß spekulativer Aufhänger für ein vollkommen belangloses, ohne jede Ambition gefertigtes Genrefilmchen herhalten muss. Das ist das Verwerfliche an „The Horsemen“: Hier wird ein Thema leichtfertig und verantwortungslos verheizt, das eine engagiertere Bearbeitung absolut verdient gehabt hätte. 

The Horsemen
(Kanada/USA 2008)
Regie: Jonas Akerlund; Drehbuch: Dave Callaham; Musik: Jan A. P. Kaczmarek; Kamera: Eric Broms; Schnitt: Jim May, Todd E. Miller
Darsteller: Dennis Quaid, Zhang Ziyi, Lou Taylor Pucci, Clifton Collins jr., Peter Stormare u. a.
Verleih: Platinum Dunes
Länge: 110 Minuten  

Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei: Splatting Image

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