Vielleicht wird beim nächsten Mal alles anders

Da ist dieser Kameraschwenk am Schluss, den man so von Jim Jarmusch einfach nicht kennt: Bill Murray steht auf einer Straßenkreuzung und blickt dem panisch flüchtenden jungen Mann hinterher, den er für seinen Sohn gehalten hat. Und dann fährt ein Auto vorbei, ein anderer junger Mann schaut aus dem Fenster, auch er könnte der unbekannte Sohn sein. Die Kamera hält jetzt nicht mehr still, sie hat Murray im Blick und rotiert um ihn, zeigt ihn ganz allein auf der Straße. Man merkt schon, dass nicht mehr Robby Müller für Jarmusch hinter der Kamera steht, sondern Frederick Elmes, der bereits bei „Night on Earth“ dabei war.

Bill Murray spielt Don Johnston, und natürlich mal wieder seine Paraderolle: Den zynischen Melancholiker, zwar stets charmant-ironisch, aber doch auch resigniert. Eben der Bill Murray aus „Lost in Translation“ oder „The Life Aquatic with Steve Zissou“. Außerdem ist Don Johnston ein ewiger Junggeselle, der sich sogar wie James Bond vorstellt: „Johnston, Don Johnston, mit einem t.“ Zu Beginn des Films wird er von seiner jungen Freundin Sherry (Julie Delpy) verlassen, und ein rosaroter Brief flattert durch den Briefschlitz: Er habe einen Sohn, schreibt die anonyme Verfasserin, und dieser Sohn, 19 Jahre alt, sei gerade auf der Suche nach seinem Vater.

Die Suche nach der unbekannten Mutter führt Don nun also zu vier Frauen und zum Grab einer fünften. Da ist Laura (Sharon Stone) mit ihrer Teenager-Tochter Lolita, die sich dem männlichen Besucher prompt nackt präsentiert, der aber lieber mit der Mutter noch mal alte Zeiten aufleben lässt. Dann gibt es Carmen (Jessica Lange), ehemalige Anwältin und inzwischen „animal communicator“: Bewacht von einem eifersüchtigen lesbischen Vorzimmer-Drachen gibt Carmen den Dr. Doolittle der Psychoanalyse. Und da ist noch Penny (Tilda Swinton), eine White Trash-Braut, rauchend, auf irgendeiner Farm im mittleren Westen. Mit der Frage nach einem Sohn konfrontiert, bricht sie in Tränen aus und ruft ihren Mann, der Don prompt ein blaues Auge verpasst – doch eine Antwort findet er auch hier nicht.

Es geht in „Broken Flowers“ weniger um den Plot, um das Finden der Mutter von Dons Sohn. Stattdessen macht Jarmusch irgendwie das, was er schon immer konnte: Er beobachtet zwischenmenschliche Begegnungen, immer leicht absurd überzeichnet, und doch stets nachvollziehbar. Wo sich in „Down by Law“ das ungleiche Trio Jack, Zack und Bob anfreundet und es dafür kein Schlüsselereignis sondern lediglich langsame Gewöhnung aneinander braucht, so sind es in „Broken Flowers“ die Wieder-Begegnungen: Die zweite Station seiner Reise führt Don zu Dora (Frances Conroy), die mit ihrem Mann Ron in einer spießigen Vorort-Siedlung lebt und Fertighäuser verkauft. Das Abendessen mit dem kinderlosen Ehepaar – er hat blaue Visitenkarten, ihre sind rosa – gerät für Don zur Tortur: Während Ron sein Unbehagen mit ständigem Gerede zu verbergen sucht, flüchten sich Don und Dora in peinliches Schweigen. Sie war früher einmal ganz anders, denken sich wohl beide, und mit der Erkenntnis beginnt auch Don an sich zu zweifeln, wie sehr er selbst wohl noch der Alte sei. Wie zum Fleiß zeigt Ron auch noch stolz ein Jugendfoto seiner Frau herum, Dora im Hippie-Outfit, mitsamt Blume im Haar. „Das Foto habe ich gemacht!“, sagt Don.

Die Veränderung, die in Don Johnston am Ende des Films vorgegangen ist, ist nur minimal. Jarmusch zeigt keinen Frauenheld, der plötzlich eine Familie gründen will. Er zeigt nur jemanden, der sich jetzt plötzlich mal wenigstens den Gedanken daran erlaubt, mehr nicht. „Ich weiß nur, dass ich am Ende eines Films keine Vorhänge zuziehen und alles auflösen möchte. Hoffentlich lebt Don in den Köpfen der Zuschauer weiter, wenn der Abspann läuft“, sagt Jim Jarmusch in einem Interview. Vielleicht ruft Don ja Sherry an, die ihm in seiner Abwesenheit einen Brief geschrieben hat, dass sie ihn immer noch liebe. Vielleicht wird ja dieses Mal alles anders, es wird für ihn mehr als nur ein Spiel sein, ihm wirklich etwas bedeuten. Vielleicht hält es dieses Mal länger. Die Blumen, die vor seiner Reise noch in voller Pracht in einer Vase blühten, sind inzwischen verwelkt. Zeit, sie auszuwechseln. (mh)

Broken Flowers
USA 2005
Buch & Regie: Jim Jarmusch, Kamera: Frederick Elmes, Musik: Mulatu Astatke, Schnitt: Jay Rabinowitz
Darsteller: Bill Murray, Sharon Stone, Jessica Lange, Tilda Swinton, Jeffrey Wright, Julie Delpy, u.v.m.
Laufzeit: 105 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 8. September 2005

Matthias Huber

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