Der Sektenvertreter vor deiner Haustür

Nina lebt in São Paolo, ist drogensüchtig, pleite, und so richtig unsympathisch – was Regisseur Heitor Dhalia nicht daran hindert, sie beständig als Opfer zu inszenieren. Da ist die – zugegeben: noch unsympathischere – Vermieterin, die Nina verbietet, sich am Kühlschrank zu bedienen und sie ständig auf ihren Mietrückstand hinweist. Da sind die Kunden in dem Schnellimbiss, wo Nina arbeitet, übermüdet, nach durchzechter Nacht: Sie bestehen auf ihrer Bestellung, wollen eben bedient werden und finden es nicht gut, wenn sie beleidigt werden. Und da ist die beste Freundin, die Nina Geld und einen Job anbietet, um ihr aus der Misere zu helfen – doch „Almosen“ lehnt die Protagonistin stolz ab.

„Womit habe ich das verdient?“, schluchzt sie einmal in die Kamera, und es fallen dem Zuschauer gleich mehrere Gründe ein: Einmal bestiehlt Nina einen Blinden beim One-Night-Stand, nachdem sie sich über ihn lustig gemacht hat, und bevor sie noch seine Wohnung verwüstet. Oder sie uriniert ihrer Vermieterin in den Tee und setzt ihre Katze irgendwo in São Paolo aus, alles aus Rache für, ja, durchaus berechtigte Forderungen.

„Nina“ wäre wohl nur ein gelungener Film, wenn er seinen Zuschauern ihre rechtskonservativen Ansichten vor Augen führen wollte: Generelle Antipathie gegenüber der Protagonistin, die doch so deutlich nur Opfer äußerer Umstände und der allgemeinen Grausamkeit der Welt ist, ist der einzige Affekt, den „Nina“ auslöst. Doch irgendwie kann man nicht einsehen, warum Mitleid mit der Protagonistin moralisch notwendig sein sollte: Die aufdringlich präsentierten Probleme sind selbstgemacht, oder stellen sich zumindest so dar, und selbst wenn Nina mal wieder Gelegenheit bekommt, ihr Leid zu lindern, so wählt sie stets den dümmstmöglichen Weg. Einziges human element: Sie zeichnet sich ihren Frust von der Seele, in düsteren Schwarzweiß-Comics voller Gewaltfantasien, mit Nina als Heldin und der Vermieterin als Antagonistin. Für eine Spiegelung oder tiefergehende Charakterisierung reicht dieses Stilmittel aber nicht aus, dafür ist es schlicht zu selten und zu einseitig eingesetzt.

Viel plausibler aber scheint es, den Rechtskonservativismus beim Film selbst zu suchen: Die Antipathie gegenüber dieser Protagonistin, die jedem Klischee einer gescheiterten Existenz entspricht und noch dazu jeden Grund für dieses Scheitern selbst zu verantworten hat, wurde bewusst bewirkt. Dann bleibt nämlich nur noch die höchst fragwürdige, pauschalisierte Erkenntnis, dass man solchen Leuten besser nicht hilft, weil sie ja schließlich selbst schuld seien. Damit ist „Nina“ ungefähr so angenehm wie der Sektenvertreter, der Sonntagmorgen um halb sieben an der Tür klingelt. Nur, dass man diesen meist in weniger als 85 Minuten wieder loswird.

Nina
Brasilien 2004
Regie: Heitor Dhalia, Buch: Heitor Dhalia, Marçal Aquino, Schnitt: Estevan Santos, Kamera: José Roberto Eliezer
Mit: Guta Stresser, Milhem Cortaz, Myrian Muniz, u.v.m.
85 Minuten, noch kein Verleih oder Starttermin

Matthias Huber

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