Das Medien suchende Wesen

Sean Veil wäre der ideale Bürger im Orwell’schen Überwachungsstaat. Seitdem er vor zehn Jahren wegen mehrfachen Mordes angeklagt wurde, filmt Veil jede Sekunde seines Lebens mit Dutzenden Kameras und archiviert die Bänder akribisch in seinem unterirdischen Tresor. Als dann plötzlich wieder die Polizei vor seiner Tür steht und ihn mit einem neuen Mordvorwurf konfrontiert, fehlen genau die Videos der Tatzeit.

Laut Aristoteles ist der Mensch ein von Natur aus Staaten bildendes Wesen. Laut John Simpson, dem Regisseur von „Freeze Frame“, ist es die Sucht nach medialer Präsenz, die in der Natur des Menschen liegt. „Jetzt muss ich auf einmal alle Kameras meiden, dabei liegt es doch in meiner DNS, gerade das Gegenteil zu tun“, meint Sean, als er auf der Flucht versucht, Alibi-Videos zu fälschen. Der Wunsch nach dem Videobild ist dabei vor allem Wunsch nach Selbstdefinition. Einmal steht Sean vor einem Schaufenster, in dem mehrere Fernseher zu sehen sind, und eine Kamera, die den Passanten filmt und sein Bild auf die Monitore überträgt. „Wenn ich könnte, würde ich für immer hier bleiben!“

„Freeze Frame“ geht mit seinem Motiv, der unanfechtbaren Authentizität von Videobildern, keineswegs unkritisch um: Die von Sean gefälschten Bänder werden von der Polizei schnell als Fakes entlarvt und der Versuch einer Fälschung wird ihm obendrein noch zum Verhängnis: Während er mit dem Fälschen beschäftigt ist, geschieht ein weiterer Mord, und wieder ist Sean der Hauptverdächtige. Beweise für seine Unschuld hat er dieses Mal keine, und er resigniert auch auf der Stelle, will seinen Anwalt anrufen.

Die eben beschriebene ist nur die erste Wendung, deren Vielzahl dem Film schließlich zum Verhängnis wird. Anstatt sich auf seinen Mediendiskurs zu konzentrieren, will Regisseur John Simpson offenbar gleichzeitig einen Krimi inszenieren und stellt nach und nach die Auflösung des verzwickten Plots dem eigentlichen Film voran. Der Effekt: „Freeze Frame“ beginnt als Medien- und Paranoia-Thriller, und wandelt sich am Schluss zum waschechten und enttäuschend flachen Mörder-Ratespiel.

Auch ästhetisch muss man „Freeze Frame“ eine gewisse Inkonsequenz vorwerfen. Zwar ist das beinahe monochrome Setting durchaus stimmig, und auch die Videobilder, durch Auflösung und eingeblendetem Timecode als solche entlarvt, sind sinnvoll eingesetzt. Gerade die Montage macht es sich oft zu Nutze, zwischen Film- und Videoaufnahmen wechseln zu können: Durch wechselnde Perspektiven und Schnitte zwischen den beiden Medien objektivieren sich einzelne Szenen. Der Zuschauer sieht das Geschehen in den Film-Szenen, und bekommt gleich noch den „Beweis“ für die Authentizität des Gesehenen nachgeliefert, in Form einer Videoaufnahme. Schade ist dabei aber, dass John Simpson seinen Film komplett in Cinemascope gedreht hat. Dabei spielt er zwar einerseits mit der Erwartung des Zuschauers, für den das Breitbild inzwischen das gewöhnlichste Bildformat darstellt. Andererseits versäumt er aber auch die Möglichkeit, durch Wechsel des Bildformats bei den Schnitten von Film- auf Videoszenen gerade diese Glaubwürdigkeit durch Gewöhnung zu unterminieren. Am Ende bleibt somit von der cleveren Plot-Idee ein enttäuschend konventioneller Krimi übrig, der sein subversives Potential zugunsten gefälliger Ästhetik leichtfertig verspielt.

Freeze Frame
Großbritannien / Irland 2004
Buch und Regie: John Simpson, Kamera: Mark Garret, Schnitt: Simon Thorne, Musik: Debbie Wiseman
Mit: Lee Evans, Sean McGinley, Ian McNeice, Colin Salmon, u.v.m.
Laufzeit: 99 Minuten
Verleih: Koch Media
noch kein Kinostart

Matthias Huber

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