Tobe Hooper und das Salz des Genrefilms

Meistens gibt es keinen Haken, zumindest nicht auf den ersten Blick: Das alte, große Haus, das die Familie des Protagonisten gerade zum Schnäppchenpreis erstanden hat, erscheint perfekt. Erst nach dem Einzug stellt sie fest, dass im Keller ein Indianerfriedhof liegt oder im vergangenen Jahrhundert Sklaven zu Tode gefoltert wurden. Und dann gibt es da noch stets das eine Familienmitglied, das von Anfang an ein ungutes Gefühl hat.

„Mortuary“ widersetzt sich diesem ungeschriebenen Gesetz des Haunted-House-Subgenres: Eine übergelaufene Klärgrube im Vorgarten und ein verlassener Friedhof hinter dem Haus sind für kein Mitglied der Familie Doyle ein Grund, dem neuen Heim mit Misstrauen zu begegnen. Auch, dass das Haus früher eine Leichenhalle war – und diese Funktion unter der unkundigen Führung Mutter Doyles in Kürze wieder erfüllen soll – erfüllt niemanden mit Unbehagen, ebenso wenig wie die Warnungen der Stadtbewohner vor dem gefährlichen Killer, der im Haus sein Unwesen treiben soll.

Originell muss er sein, und dennoch so wenig experimentell wie möglich: So präsentiert sich der Reißbrett-Horrorfilm, mit dem wenigstens ein bisschen Publikumsakzeptanz sicher ist. „Mortuary“ aber ignoriert dieses Schema und ist das Gegenteil: Ein Film, der keine einzige originelle Idee aufweist, stattdessen aber mit genau diesem Makel kokettiert.

Das Problem ist nicht einmal, dass Hoopers Konzept nicht aufginge: Wenn die Mutter ganz unvermittelt zum Zombie mutiert ist – wie auch der Sheriff und die Teenager des Ortes -, wenn irgendein dämonisches Wesen im Untergrund seine schwarz-glibberigen Fühler nach den Lebenden ausstreckt und wenn der missgestaltete Psychopath seine Vorliebe für Süßigkeiten entdeckt, dann funktioniert das kein bisschen.

Willkür und Klischees halten Hoopers Werk zusammen, oder auch willkürliche Klischees und klischeehafte Willkür. Vom naseweisen Kind über die absolut beliebige Verwundbarkeit der Monster (hier: Salz) bis hin zum obligatorischen und zum restlichen Plot vollkommen widersprüchlichen Abschlussgag, pickt sich „Mortuary“ all die Horror-Zutaten heraus, die hier möglichst wenig Sinn ergeben.

Vielleicht ist der Film eine Abrechnung mit Fans, die immer Altbekanntes sehen wollen. Oder er ist der Versuch eines Beweises, dass es keinen funktionierenden Reißbrett-Horror geben kann. Es ist nämlich schwer zu greifen, was Hoopers Film so schlecht macht, beziehungsweise so schlecht funktionieren lässt. Wir haben schon schlechtere Effekte, vorhersehbarere Wendungen und dümmere Horrorfilme gesehen, und uns trotzdem gegruselt. Der zusammenhanglose und konfuse Plot ist es nicht, der „Mortuary“ zum schlechten Film werden lässt, auch nicht eine nicht näher begründbare „schlechte Inszenierung“. Die handwerklichen Schwächen liegen jedes Mal so knapp neben der Perfektion, dass sie einzeln nicht mehr greifbar sind. Mit Blick auf Hoopers Gesamtwerk scheint solch Dilettantismus unvorstellbar; daher: Der Film sollte nie als Genrebeitrag funktionieren, und das ist dem Regisseur gelungen. „Mortuary“ ist ein Film, der die Funktionsmechanismen seines eigenen Genres in Frage stellt, indem er bewusst seine Zielgruppe vor den Kopf stößt. Nur: Wer soll sich den Film dann noch anschauen?

Mortuary
USA 2005
Regie: Tobe Hooper; Buch: Jace Anderson, Adam Gierasch; Kamera: Jaron Presant; Schnitt: Andrew Cohen; Musik: Joseph Conlan
Mit: Dan Bird, Stephanie Patton, Alexandra Adi, Denise Crosby, u.v.m.
Laufzeit: 90 Minuten
noch kein Verleih oder Starttermin

Matthias Huber

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.