Du sollst (nicht) lügen

Mit „Alle Bilder lügen“ bringt der Konstanzer Universitätsverlag eine aktualisierte Druckfassung der 2001 gehaltenen Antrittsvorlesung Andreas Schreitmüllers heraus, die sich nur bedingt in den Kreislauf der akademischen Diskurse eingliedern lässt, stattdessen aber so manches unterhaltsame Detail aus der Welt der Massenmedien bereithält und den geneigten Leser am Ende sogar mit einem Drei-Punkte-Fälschungs-Schutz-Programm entlassen kann.

Dass der Text über Lügen, Irreführungen und Manipulationen in den Medien nach vier Jahren eine Aktualisierung nötig hatte, liegt auf der Hand, denn der Nachrichtenkonsument ist in der Zwischenzeit mit Beispielen auf diesem Gebiet geradezu überhäuft worden – die „nicht aufzufindbaren“ Massenvernichtungswaffen im Irak wären da wahrscheinlich an erster Stelle zu nennen. Doch solch spektakuläre Fälle, die offenbar von „ganz oben“ geplant und durchgeführt werden, stehen gar nicht im Mittelpunkt von Schreitmüllers Interesse. Vielmehr versucht er, Strukturen in den heutigen Massenmedien offenzulegen, die allein schon aufgrund ihrer Beschaffeinheit ständig kleine, nach ihrer Aufdeckung meistens sofort wieder in Vergessenheit geratene Alltags-Fälschungen produzieren.

Die mit vielen Illustrationen versehene Auseinandersetzung mit dem täglichen Pensum an Unwahrheit, das uns ständig in Form von vermeintlich „objektiven“ Bildern begegnet, erwähnt auf rund 45 Seiten so viele vergangene Fälschungen, dass der Leser nach diesem Text für einige Zeit gegen solche Art von Manipulation immun werden dürfte. Eine philosophische oder ideologiekritische Auseinandersetzung mit den Entstehungs- und Funktionsbedingungen der medialen Alltags-Lügen-Maschine strebt Schreitmüller dagegen offenbar nicht an. Jedoch ist der im Text geschilderte Zustand der Allgegenwärtigkeit und Allmacht von Desinformation nicht nur skurril und witzig, sondern auch alarmierend und bedrückend.

Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Schreitmüller die Bekämpfung von Unwahrheit trotzdem für möglich hält, und zwar auf eine Art, die der Bekämpfung der Krankheiten nicht unähnlich ist. Einerseits fordert er die Medien – etwas utopisch – zu mehr „Sauberkeit“ und Transparenz auf, was man mit einer Forderung nach mehr Hygiene vergleichen könnte. Andererseits schlägt er regelmäßige „Impfungen“ gegen allzu viel Vertrauen gegenüber den Medien allgemein und Bildern insbesondere vor, die, ähnlich wie der präparierte Krankheitserreger in einer medizinischer Impfung, mittels spezieller Fake-Fälschungen die Allgemeinheit immer wieder auf den Kampf um die Wahrheit einstellen sollen. Der voraussichtliche Erfolg von Schreitmüllers Anti-Lügen-Programm erscheint dennoch mehr als fraglich, denn er operiert im Gegensatz zum Bereich der medizinischen Vorbeugemaßnahmen mit keinerlei gesetzlichen Vorschriften, sondern lediglich mit moralischen Appellen an die Medienmacher. Ob denn etwa die Ausbreitung von Seuchen auf solche Art verhindert werden könnte, soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben.

Andreas Schreitmüller
Alle Bilder Lügen. Foto – Film – Fernsehen – Fälschung.
(Konstanzer Universitätsreden 217)
Universitätsverlag Konstanz 2005
61 Seiten (Taschenbuch)
9,90 Euro

Nikita Braguinski

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