Tod als Skandal

Amityville Horror, USA 2005, Andrew Douglas

Alle Körper sind entweder tot oder sie werden tot sein. Dafür braucht man nicht mal einen grausamen Mörder: Die Natur wird es mit Sicherheit irgendwann für uns erledigen. Aber sind denn nicht all die angsteinflößenden Mörder der (Horror-)Filmgeschichte vielleicht nur Personifikationen dieser Unabwendbarkeit des natürlichen Todes? Das Offenlegen der verborgenen Zeichen des Todes, die sich hinter dem Lebendigen (manchmal sogar sehr Lebendigen!) aufspüren lassen, ist jedenfalls eines der häufigen Motive des Horrorfilms, das sich sowohl auf visueller als auch auf Handlungsebene entfaltet. Die Grenze zwischen Totem und Lebendigem ist fließend, und der Täter ist derjenige, der dazwischen vermittelt.

Aber trotz der Evidenz der Vergänglichkeit alles Seienden ist der gewaltsame Tod immer ein Skandal, der für die Hinterbliebenen umso schwerer zu bewältigen ist, wenn die Opfer die liebenswertesten und harmlosesten Geschöpfe sind, die man sich nur vorstellen kann, und zwar: Kinder. Sigmund Freud in seinem berühmten Aufsatz „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ (1915) betont die ursprüngliche Zwiespältigkeit unseres Verhältnisses zum Tode: Während der Tod eines Fremden oder Feindes (was zu Urzeiten dasselbe gewesen sein dürfte) im Allgemeinen akzeptiert oder sogar begrüßt werden kann, empfindet man beim Tod einer geliebten Person immer eine Entrüstung, die teilweise aus eigenen Schulgefühlen gegenüber dem Verstorbenen (oder Ermordeten) resultiert, denn Liebe ist nach Freud nur in Kombination mit Hass möglich und so soll jeder schon im Unbewussten seinen Lieben den Tod gewünscht haben.

Gerade dieser furchtbare Wunsch geht in der Anfangssequenz von „Amityville Horror“, die einem authentischen Kriminalfall aus dem Jahr 1974 nachempfunden wird, in Erfüllung: Ronald DeFeo, Jr. erschießt seine Eltern und vier Geschwister (teilweise im Schlaf) in ihrem gemeinsamen Haus in Amityville. Dass dem wahren Fall eindeutige Motive zugrunde liegen, will der Film, genauso wie sein Vorgänger aus dem Jahr 1979, der auf derselben Vorlage beruht, nicht wahrhaben: Der Mörder, von böswilligen Stimmen angetrieben, vollzieht seine Tat – und sei es auch auf Kosten der Authentizität – wie im Wahn, was der psychoanalytischen Interpretation alle Türen öffnet. Er liebt und tötet gleichzeitig, was die Tränen, die er am Tatort vergießt, bevor das Gewehr auf die kleinste Schwester abgefeuert wird, unmissverständlich andeuten.

Wie zersplittert das Verhältnis des Täters zu seinen Opfern im Film inszeniert wird, so ambivalent verhalten sich auch die Opfer zu ihrer Umwelt, wenn sie Gelegenheit dazu bekommen, aus ihren Gräbern aufzusteigen. Und diese Gelegenheit wird – nach den Konventionen des Genres und auch in Einklang mit Freud’schen Theorie – ganz besonders den unschuldigsten und deshalb skandalösesten Toten geboten. Sie sind im Grunde nicht böse, aber tragischerweise dazu verdammt, den Schrecken zu verbreiten und die (Über-)Lebenden zu quälen. Eine grausame Tat schreit nach Gerechtigkeit und provoziert hiermit weitere Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten, wobei der Anfang dieser Kette der ungeheuren Gewalttaten vielleicht gar nicht mehr genau auszumachen ist und sich viel weiter in der Geschichte verliert, als der Film uns blicken lässt.

Im Mittelpunkt von „Amityville Horror“ steht jedenfalls die Geschichte der Familie, die nach dem vergangenen Blutbad als nächste die romantische Villa bezieht, die samt ihrer Umgebung von den Bildern Edward Hoppers stammen konnte, der übrigens viele Kulissenideen für die amerikanische Horrorfilmindustrie beisteuerte, indem er sich für seine Gemälde eigentlich direkt von der amerikanischen Alltagsrealität inspirieren ließ. Der Horror des Alltäglichen konnte auch das Thema dieses Filmes sein, wenn nur die „Alltäglichkeit“ hier nicht schon durch die Hollywood-Brille präsentiert würde. So müssen George (Ryan Reynolds) und Kathy (Melissa George) in bezug auf den Zuschauer gleich zwei Aufgaben erfüllen: als junges Paar den visuellen Bilderbuchanforderungen genügen und als von Geistern Getriebene Schrecken vermitteln, was zusehends schwer fällt.

Das Äußere der Hauptfiguren (der durchtrainierte Oberkörper von George inklusive) ist zu angepasst an die konventionellen Schönheitsstandards, um an einem Schreckensspektakel ernsthaft teilnehmen zu können. Um diese Körper für Horrorzwecke einzusetzen, müsste man sie innerhalb des Films schon keiner geringeren Verwandlung unterziehen, als die, die beispielsweise einem Gregor Samsa in Kafkas Erzählung zustößt. Aber so weit geht die Regie nicht, und somit ist fast der einzige Körper, der im Film für Schrecken sorgt, der tote Körper des kleinen Mädchens, das am Anfang grausam umgebracht wurde. Dabei wird ihr durch das Haus schleichender Leichnam keinesfalls naturalistisch, sondern höchst ästhetisch in Szene gesetzt – das ist gerade diejenige Art Inszenierung, die der konventionellen Hochglanzfamilie vorenthalten bleibt. Der Konflikt zwischen Dies- und Jenseits ist hier also auch ein stilistischer: Der Tod ist für Hollywood-Helden oft die einzige Möglichkeit, den Normativen der idealen Körperrepräsentation zu entkommen, was die Toten auf der Leinwand häufig viel lebendiger und dynamischer erscheinen lässt, als die (noch) Lebenden.

Amityville Horror
(USA 2005)
Regie: Andrew Douglas; Buch: Jay Anson u.a.; Kamera: Peter Lyons Collister; Musik: Clay Duncan & Steve Jablonsky
Darsteller: Ryan Reynolds, Melissa George, Jesse James, Jimmy Bennett, Chloe Moretz u.a.
Länge: 90 Minuten
Verleih: 20th Century Fox

Ekaterina Vassilieva

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