THE LIFE OF DAVID GALE

Die lange Reihe des “Kinos der Emotionen”, für das Alan Parker steht, ist um einen Beitrag länger geworden, die lange Reihe des politisch ambitionierten Kinos hingegen leider nicht. Dafür wurde einfach zuviel zu falsch gemacht. Die Geschichte an sich ist reizvoll, ohne Wenn und Aber, geradezu prädestiniert für packendes Kino mit sozialem Sprengstoff: Ex-Philosophieprofessor David Gale (Kevin Spacey), der prominenteste Aktivist im Kampf gegen die Todesstrafe in Texas, landet selbst als schuldig gesprochener Mörder seiner Mitstreiterin Constanze Hallaway (Laura Linney) in der „Death row“, unschuldig wie er beteuert. Kurz vor Vollstreckung des Urteils wendet er sich an die Journalistin Bitsey Bloom für ein exklusives Interview: An den drei Tagen vor seiner Hinrichtung gewährt er ihr jeweils ein zwei-stündiges Gespräch. Nicht etwa, weil er auf späte Gnade hoffe, sondern weil sein Sohn ihn nicht als Mörder in Erinnerung behalten solle.

Er habe vorrangig einen Thriller gedreht, so Alan Parker in den Produktionsnotizen zum Film und auf der Berlinalepressekonferenz bekräftigte er dies noch einmal. Ein Genre-Werk also, nun gut, aber dennoch eines, das eben mit sozialen Ambitionen zumindest hausieren geht. Beides ist nicht sonderlich gelungen und so bleibt THE LIFE OF DAVID GALE einer jener unzähligen Filme, bei denen man sich alles irgendwie ein bisschen anders gewünscht hätte. Als Thriller ist der Film schlichtweg zu durchschaubar, auch und gerade was die Pointen gegen Ende anbelangt – wer nicht gerade im ersten Thriller seines Lebens sitzt und sich nicht von jeder routinierten Inszenierung einlullen lässt, sollte eigentlich keine größeren Probleme damit haben, hinter das Geheimnis des Filmes zu kommen. Und ist dieses erst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erahnt, so weiß man ebenso wie der Film enden wird und auch warum. Narrativen wie formalen Hokuspokus veranstaltet der Film zwar viel und auch durchaus versiert, wirkliche kinemathographische Magie indes zaubert THE LIFE OF DAVID GALE, trotz aller Beteuerungen, dennoch nicht auf die Leinwand.

Einen mittelmäßigen Thriller könnte man noch wegstecken – derer gibt es viele -, ärgerlich ist’s aber, wenn sich auch die hochgesteckten Ziele, der kritische Kommentar, das ambitionierte Projekt, selbst Schachmatt setzen. Schon noch nicht mal mehr nur ärgerlich wird’s indes, wenn der Film darüber hinaus auch noch die Schwächen jeder moralischen Argumentation kennt, sie sogar beim Namen nennt, aber dennoch nicht in der Lage zu sein scheint, sie zu vermeiden: „Sei rational“, rät Constanze David vor einem TV-Duell mit dem Gouverneur von Texas, „Sei rational und bedien nicht bloß dein Ego!“ Selbstverständlich bleibt David vor laufender Kamera nicht rational, natürlich erwacht der Narziß in ihm, natürlich redet er sich in Rage und selbstverständlich weiß der stockkonservative Gouverneur auch genau dies im eigenen Sinne auszunutzen. Dabei dokumentiert der Film, vermutlich ohne es zu wissen, sein eigenes Scheitern: Anstatt Argumente sprechen zu lassen – die gibt es reichlich -, versucht er Emotionen in Wallung zu bringen. Eine schlechte Strategie, da sich deren inszenatorischer Charakter immer mit leichter Hand demaskieren lässt. Anstatt Tacheles zu reden, versteckt er sich hinter seidenem Thriller-Gewand, verkurbelt sich dabei glatt in den Genre-Konventionen, ist dabei vor allem in sich selbst verliebt und spielt den Befürwortern staatlich legitimierten Mordes somit perfekt in die Hand. Die reichlich abstruse Geschichte mit allerlei Plot-Twists rund um ein gefälschtes Beweisvideo schießt sich dann eher ins eigene Tor und diskreditiert die Bürgerrechtsbewegung obendrein, stellt sie gefährlich in eine Ecke mit religiösen Fundamentalisten. Und wenn der Gouverneur von Texas am Ende schließlich hastig in die TV-Kamera einer Nachrichtensendung spricht, dass das eigentlich funktionierende System nicht für Taten von Wahnsinnigen haftbar gemacht werden könne, dann legt Parker den Befürwortern der Todesstrafe bereits den ersten Satz der dem Film vermutlich folgenden Debatte in den Mund.

Der Verdacht liegt nahe, dass hier jemand mit kontroversem Stoff ein provokantes Werk vorlegen wollte, das vor allem die eigene Genialität und das vermeintlich hehre moralische Anliegen unterstreichen soll. Das riecht dann schon fast gefährlich streng nach „Exploitation“, mit dem Unterschied aber, dass sich klassisches „Exploitation-Kino“ auch nur als solches zu erkennen gibt, gar nichts anderes sein will und demnach von vorneherein schon außerhalb entsprechender, sozialmoralischer Diskurse zu verorten ist. Bei THE LIFE OF DAVID GALE liegt da jedoch mehr im Argen!

Thomas Groh

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