THE HOURS

Über die Jahrzehnte und Kontinente hinweg erzählt THE HOURS seine Geschichte: Die Schriftstellerin Virginia Woolf (Nicole Kidman, überzeugend wie selten zuvor!) schreibt im England der 1920er Jahre in steter Auseinandersetzung mit ihren Neurosen, ihren Suizidgedanken und ihrer latenten Schizophrenie die Geschichte von Mrs. Dalloway. 30 Jahre später liest Linda Brown (Julianne Moore), an ihren Lebensverhältnissen als Hausfrau und unter einem so harmoniesüchtigen wie unsensiblen Gatten leidend, in Los Angeles diesen Roman, erkennt sich selbst in diesem romantischen, todessehnsüchtigen Werk wieder und fasst einen folgenschweren Entschluss. Weitere 50 Jahre später lebt Clarissa Vaughan (Merryl Streep) im New York der Jahrtausendwende und plant eine Party für einen AIDS-kranken Freund, einen Schriftsteller, der für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden soll. Seit Studententagen nennt er sie liebevoll immer nur Mrs. Dalloway …

Nicht nur die elliptische Musik von Philip Glass stellt diese drei parallel erzählten Geschichten zueinander in Bezug. Auch auffällig häufige Parallelmontagen, die uns von ähnlichen Lebensumständen, der stets präsenten Auseinandersetzung mit der eigenen Homosexualität, bis hin von gleichen Tagesabläufen der Frauen erzählen, vereinen die historisch wie geographisch losgelösten Schicksale zu einer dramatischen Fuge, evozieren also einen universellen Stoff: Einen Tag im Leben einer Frau möchte Virginia Woolf in ihrem Roman verarbeiten, einen Tag, der jedoch das gesamte Leben beinhaltet, an dessen Ende ein Tod steht. Dreimal scheint sich der Roman zu wiederholen, doch bleibt bis zuletzt im Unklaren, wer der drei Frauen denn nun die Mrs. Dalloway aus dem Buch ist, wer sich am Ende umbringen wird, wen – so darf man es ruhig schreiben – am Ende die Vorgaben des Buches in den Tod treiben werden. Denn dass am Ende ein Tod stehen muss, dass steht für Virginia ausser Frage. Es ist dieser Kontrast, den die Geschichte verlangt, der den anderen, den Überlebenden, den Mut zum Weiterleben gibt, ihnen zeigt, was es ist, was man – bei allem Weltschmerz – zu verlieren gedenkt.

THE HOURS ist, kurz zusammengefasst, grosses Kino, das seine ungemein spannende wie intelligent inszenierte Geschichte geschickt zu entfalten versteht und die zunächst atomisierten, wenn auch scheinbar mythisch miteinander verbunden wirkenden Einzelschicksale durch immer detailliertere, erhellendere narrative Elipsen zu einem großen Panorama über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg zu verschmelzen weiß. Genau wie das im übrigen auch die herausragenden Darbietungen der Schauspielerinnen, des Regisseurs, des Cutters und – nicht zuletzt – des Komponisten tun: mit Leichtigkeit verbindet sich alles mit allem zu einem großen, geschlossenen Ganzen, das weit mehr ist als bloß die Summe der einzelnen Teile. Eleganz pur, mit filmischen Mitteln umgesetzt.

Ein erster richtig großer Favorit für den goldenen Bären also, vom Oscar mal ganz zu schweigen? In jedem Falle aber ein herausragendes und ohne Abstriche begeisterndes Stück Filmkunst.

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