The Heart of the Warrior

Dass das spanische Unterhaltungskino blüht und gedeiht, davon konnte man sich in den letzten Jahren anhand der Filme von Jaume Balaguero, Javier Fesser, Santiago Segura oder Alex de la Iglesia immer wieder überzeugen. Mit großem Selbstbewusstsein, handwerklichem Geschick, Witz und neuen Ideen entstanden Filme, die sich nicht darin erschöpften, große Vorbilder aus Übersee zu kopieren oder sich mit künstlerischer Verweigerungshaltung des potenziellen Publikums zu berauben. Ein gutes Beispiel für dieses neue spanische Kino ist Daniel Monzóns 2000 entstandener „The Heart of the Warrior“.

Der junge Ramón Beldar ist ein typischer pubertierender Junge, ohne Freundin, ohne Erfolg. Abwechslung vom tristen Alltag holt er sich in Rollenspielen, in denen er zum tapferen Krieger Beldar wird, die dralle Amazone Sonia an seiner Seite. Immer mehr ergreift diese andere Identität Besitz von ihm, erst in seinen nächtlichen Träumen und schließlich auch am helllichten Tag. Als ihm das Ebenbild seiner Sonia – eine Prostituierte – in Madrid über den Weg läuft, verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie für ihn völlig. Als ihm in seiner Rollenspielwelt ein Fluch auferlegt wird, ist er davon überzeugt, dass dieser auch sein wahres Ich beeinträchtigt. Um ihn wieder loszuwerden, muss er – so der Spielleiter – einen bösen Magier bezwingen. Und dieser Magier ist für Ramón der aufstrebende Politiker einer Partei, die die Jugend zu ihrer Zielgruppe auserkoren hat.

Einen guten Unterhaltungsfilm erkennt man meist daran, dass er auf mehreren Ebenen funktioniert. „The Heart of the Warrior“ verbindet gekonnt Fantasy- und Komödienelemente und weiß darüber hinaus das interessante Phänomen von Rollenspielen Gewinn bringend zu nutzen. Doch unter der Oberfläche verbirgt sich weitaus mehr als nur eine Teeniekomödie. Was zunächst wie das normale Nerdtum eines Rollenspieler erscheint, weitet sich nämlich mehr und mehr zu einer handfesten Schizophrenie und Paranoia aus. Nachdem Ramón einmal von der Realität seiner Zweitexistenz überzeugt ist, versteht er es perfekt, das von ihm aufgebaute paranoide System immer wieder zu bestätigen und somit zu erhalten. Dass seine Lesart immer schlüssig bleibt, darin besteht die Spannung des Films – und die aller gut konstruierten Paranoia-Thriller: Hat er mit seinen Folgerungen vielleicht doch Recht? Sind wir, die „Normalen“ blind? Der Film beantwortet diese Fragen am Ende eindeutig, zeigt aber auch, dass es oft nur Details sind, die den Unterschied ausmachen. Hinter der Partei der „Jungen Demokratie“ stecken tatsächlich machtbesessene Bauernfänger, die den Trubel um den vermeintlichen jugendlichen Attentäter zu nutzen wissen, um einen unliebsamen, wankelmütigen Mitstreiter zu eliminieren. Monzón nimmt sich eines Themas an, dass im Mainstream-Kino vor allem mit dem Erfolg der Matrix-Reihe verstärkt Einzug gehalten hat. Wo die Filme der Wachowskis jedoch unter dem Ballast unzähliger popkultureller Referenzen zusammenbrachen und die Versprechen ihres ehrgeizigen philosophischen Konzepts niemals eingelöst werden konnten, begnügt sich „The Heart of the Warrior“ einfach damit, eine spannende Geschichte zu erzählen. Und mit dieser Beschränkung gewinnt der Film.

Auch formal wird das Thema der Schizophrenie überzeugend umgesetzt: „The Heart of the Warrior“ beginnt zunächst wie ein Fantasy-Film, mit allem, was dazugehört: einem muskulösen Helden, Breitschwertern, Schätzen, einstürzenden Höhlen und Lavaströmen. Nur einige moderne umgangssprachliche Bemerkungen fallen aus dem Rahmen und verwirren zunächst. Ein harter Schnitt versetzt den Zuschauer überraschend in die Realität, in ein ganz normales Jugendzimmer. Im Bett liegt jedoch kein Jugendlicher, sondern jener muskelbepackter Krieger, der von einer energischen Mutter als Ramón angesprochen und äußerst unsanft geweckt wird. Erst vor dem Badezimmerspiegel, nach ein paar Tropfen kalten Wassers, vollzieht sich die Transformation: Beldar verwandelt sich in Ramón, der seine Träume nun endgültig abgeschüttelt hat und verdutzt in sein „wahres“ Gesicht blickt. Die lästige Realität hat ihn wieder. Immer wieder lässt Monzón so die beiden Welten ineinander verschwimmen, die Fantasiewelt der Rollenspiele in die Realität einbrechen und umgekehrt. Und aus der Zweitidentität Ramóns wird immer mehr eine echte Persönlichkeit, die sich nicht mehr mit einem Dasein auf dem Würfelbrett begnügt.

Was „The Heart of the Warrior“ zu einem so sympathischen und liebenswerten Film macht, ist, dass er seinen schizophrenen Helden nicht verkauft. Man kennt diesen Jungen, versteht seine Sehnsucht nach Abenteuer und Heldendasein. Die Flucht via Rollenspiel erscheint ein legitimes und produktives Mittel, um diese Träume ein Stück zu verwirklichen. Wie in vielen spanischen Filmen äußert sich auch hier wieder einmal die Empathie für den Außenseiter. Es sind die Freaks, die Verrückten, die, die aus dem Mittelmaß ausbrechen, die Monzón zu seinen Helden macht. In einer Welt voller machtbesessener Realisten und Zyniker stellt das Dasein des Schizophrenen einen willkommenen Gegenentwurf dar.

Trotz allen Humors verliert Monzón aber nie die Tragik seiner Erzählung aus dem Auge. Dass sein Film kein uneingeschränkt gutes Ende nehmen kann, ist spätestens klar, wenn Ramón mit einem Messer bewaffnet und mit Perücke und Kleid vermummt zum Attentat auf den „bösen Magier“ schreitet und dabei eindeutig an den archetypischen Schizophrenen des Kinos erinnert, an Norman Bates. So landet Ramón dann am Ende auch in der Nervenheilanstalt, nachdem er seine verrückten Theorien über Paralleluniversen, Flüche und Magier im Gerichtssaal ausgebreitet hat. Das letzte Bild – wie am Ende von „Conan, der Barbar“ thront Ramón auf einem Stuhl im Garten der Anstalt, eine Laubharke wird ihm zum Breitschwert – scheint ein Sequel anzudeuten. Möglicherweise wird es aber auch nur in Ramóns Kopf gedreht.

The Heart of the Warrior
(El Corazón del Guerrero, Spanien 2000)
Regie: Daniel Monzón, Drehbuch: Daniel Monzón, Kamera: Carles Gusi, Musik: Roque Banos, Schnitt: Iván Aledo,
Darsteller: Fernando Ramallo (Ramón), Neus Asensi (Sonia/Sonja), Joel Joan (Beldar), Javier Aller (El Alcólito), Santiago Segura (Netheril/Carlos José)
Verleih: E-M-S
Länge: 110 Minuten

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