Laura, Dorothy, Reneé und Jiney

Mit „The Eye“ war den Pang-Brothers 2002 ein beachtlicher internationaler Erfolg beschieden. Dafür dürfte nicht zuletzt die internationale Koproduktion (Hong Kong, Singapur, Groß Britannien), die unterschiedlichen Drehorte in Thailand und China sowie schließlich der Mixup aus mehreren ost-asiatischen Geisterfilm-Elementen verantwortlich gewesen sein. Hatte „The Eye“ und dessen Sequel noch auf übernatürlichen Horror zurückgegriffen, so versuchen die Zwillingsbrüder Oxide und Danny Pang in ihrem nun bei KOCHMedia erschienenen Film „Ab-Normal Beauty“ auf solche Elemente ganz zu verzichten. Die dadurch entstehende „Lücke“ vermag der Film allerdings leider nur durch Integration eines zweiten Films zu schließen.

Die Freundinnen Jiney (Rosanne Wong) und Jas (Rosannes Schwester Race Wong) sind enger miteinander befreundet, als es beiden gut zu tun scheint. Ihrem Hobby, der Fotografie, frönen beide gemeisam, sie verbringen jede freie Minute miteinander und zumindest Jas reagiert äußerst eifersüchtig, wenn sich der attraktiven Jiney jemand anderes, besonders ein Mann, nähert. Nun hat es aber Jineys Mitstudent Anson (Anson Leung) auf sie abgesehen: Er versucht über ihre Kunst Kontakt mit ihr aufzunehmen, filmt sie gar heimlich, um ihr als Liebesbeweis ein selbstgedrehtes Musikvideo zu schenken. Jiney indes entdeckt, dass sie in den gemeinsamen Fotografier-Ausflügen mit Jas nicht mehr die richtigen Motive findet. Als sie zufällig einem Autounfall beiwohnt und den sterbenden Fahrer des Wagens ablichtet, entdeckt sie eine völlig neue Leidenschaft in sich. Fortan verfolgt sie Motive des Sterbens und Todes immer exzessiver, dokumentiert gar einen Selbstmord mit ihrer Kamera. Dabei drängen sich ihr immer wieder Bilder ihrer Kindheit ins Gedächtnis: Sie wurde von ihrem Cousin und dessen Freunden Missbraucht, ihre Mutter schenkte ihr jedoch keinen Glauben. Erst als Jiney mit ihrer morbiden Faszination über die Stränge schlägt und Jas von ihrem Trauma berichtet, schafft sie es, daraus ausuzbrechen.

Bis hierhin nimmt sich die Erzählung von „Ab-Normal Beauty“ schlüssig aus. Psychologisch etwas platte, aber für die Metaphorik des asiatischen Horrorkinos gängige autobiografische Klischees verdichten sich zu einer Horror-Erzählung. Nur, dass „Ab-Normal Beauty“ die Geister der Vergangenheit eben nicht „wie üblich“ als solche wiederkehren lässt, sondern – das wäre eine eher westliche Transformation des Genres – via Konversion in das morbide Kunsthandwerk der Protagonistin überführt. Dass der Film sich mit dieser Transformation ziemlich konservativ gibt, ist ärgerlich, aber vielleicht noch kein Kritikpunkt, wenn man die gesellschaftlichen Konventionen seines Enstehungslandes berücksichtigt. Erst als Jiney ihr Trauma künstlerisch zu sublimieren beginnt, entfernt sie sich von der monotonen Stillleben- und Architekturfotografie und ihre Arbeit gewinnt an Originalität und Individualität. Dass sie, nachdem ihr Trauma im Gespräch mit Jas „therapiert“ ist, ihre Arbeiten zerstört und in den Schoß der Normalität zurückkehrt, ist traurig. Aber es ist ja nur ein Film.

Und da muss die eigentliche Kritik an „Ab-Normal Beauty“ einsetzen, denn er ist nicht einfach „nur ein Film“, sondern er ist zwei Filme. Nach der oben beschriebenen Austreibung der Dämonen der Vergangenheit ist nämlich erst eine Stunde vergangen. Das Drehbuch offenbart dem etwas verblüfften Zuschauer nun folgenden Fortgang der Handlung: Jiney findet vor ihrer Wohungstür eine Videokassette. Darauf ist ein Film aufgenommen, der zeigt, wie eine junge Frau gefoltert und brutal erschlagen wird. Sie zeigt Jas das Video und beide verdächtigen Anson Urheber der grausigen Werks zu sein. Dieser weiß jedoch nichts von einem Horrorfilm – ein Videoclip will er Jiney gewidmet haben. Kurz darauf verschwindet auch Jas und ein zweites Video taucht auf: dieses Mal mit Jas als Opfer. Ehe sich Jiney versieht, wird sie überfallen und findet sich ebenfalls in der Folterkammer wieder.

Nicht nur wirkt diese zweite Erzählung, dadurch, dass sie nur äußerst lustlos an die erste angeknüpft ist und deren leidlich interessante psychologische Erzählung desavouiert, wie künstlich aufgepfropft, auch ist die Auflösung, das „whodunnit“ völlig aus der Luft gegriffen. Anstelle dieses zweiten Films im Film hätten die ideologischen und ästhetischen Prämissen der ersten Erzählung besser ausgebaut werden können (dass sich zum Thema Fotografie ein hochinteressanter Horrorfilm drehen lässt, hat jüngst „Shutter“ gezeigt). So gefällt sich „Ab-Normal Beauty“ jedoch in einer Aneinanderreihung von Zitaten und Klischees des westlichen Kinos, die von Erfolgsproduktionen wie „Saw“ (von dem die Folterfilmerzählung beeinflusst zu sein scheint) bis hin zu einer ganzen Reihe aufdringlicher Lynch-Allusionen reicht: Der Leidensweg Jineys passiert überdeutlich die Passagen „Laura Palmer – Dorothy Vallens – Reneé Madison“ und kopiert Standardsituationen und -motive aus „Blue Velvet“, „Twin Peaks – Fire walk with me“ und „Lost Highway“. Das alles hinterlässt den Eindruck eines oberflächlichen, rein auf Publikumserfolg hin produzierten Gruselfilms, der versucht, sich mit einem Blick westwärts Abseits seiner eigenen Tradition zu positionieren. Die oberflächliche Kolportage mag vielleicht eine Fingerübung für das nächste Werk der Pang-Brüder gewesen sein: Der für 2007 angekündigte „The Messengers“ wird produziert und ist angesiedelt in North Dakota … ganz in der Nähe von „Twin Peaks“.

Ab-Normal Beauty
(Sei mong se jun, HK 2004)
Regie: Oxide Pang Chun, Buch: Oxide Pang & Pak Sing Pang, Kamera: Decha Srimantra, Musik: Paymont Permsith, Schnitt: Curran Pang
Darsteller: Race Wong, Rosanne Wong, Anson Leung u.a.
Länge: ca. 94 Minuten / 88 Minuten
Verleih: KOCHMedia

Die DVD von KOCHMedia

„Ab-Normal Beauty“ erscheint in zwei Fassungen: einer FSK-geprüften „KJ“- und einer SPIO/JK-geprüften, sechs Minuten längeren uncut-Version. Letzere unterscheidet sich von ersterer hauptsächlich durch eine umfangreiche Kürzung in der Mitte des Films, in der Jiney Jas kurz nach einem Suizid-Versuch ihr Kindheitsrauma berichtet (das muss der Zuschauer in der gekürzten Verison erraten) und durch Schnitte einiger „Gewaltspitzen“ bei den Foltersequenzen gegen Ende des Films. Die Aufmachung der beiden Fassungen unterscheidet sich ansonsten nicht.

Die Ausstattung der DVDs im Einzelnen:

Bild: 16:9 (1:1,78 anamorph)
Ton: Deutsch (DTS, DD 5.1), Kantonesisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch (optional)
Extras: Trailer, Making of, Deleted Scenes (mit Audiokommentar), Trailershow
Länge: 94 Minuten (JK/SPIO), 88 Minuten (kJ)

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.