Kurzrezensionen Mai 2006

  • Andreas Ziemann (Hrsg.): Medien der Gesellschaft – Gesellschaft der Medien. Konstanz: UVK 2006
  • H. Püstow/T. Schachner: Jack the Ripper. Anatomie einer Legende. Leipzig: Militzke 2006
  • Roland Barthes: Das Rauschen der Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006
  • Christian Georg Salis: Das Böse steht noch einmal auf. Marburg: Schüren 2006
  • Ernst Freud/Lucie Freud/Ilse Grubrich-Simitis (Hrsgg.): Sigmund Freud – Sein Leben in Bilder und Texten. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006
  • Stefan Keppler/Michael Will (Hrsg.): Der Vampirfilm. Klassiker des Genres in Einzelinterpretationen. Würzburg: K&N 2006
  • Petra Löffler: Affekbilder. Eine Mediengeschichte der Mimik. Bielefeld: transcript 2004

Mit Inkongruenz und Widersprüchen ist zu rechnen!

Am 22. und 23. Juli 2005 fand an der Bauhaus-Universität in Weimar die Tagung „Medien der Gesellschaft – Gesellschaft der Medien“ statt. Unter dem selben Titel ist nun beim Konstanzer UVK-Verlag ein Sammelband mit den Beiträgen der Tagung erschienen. Herausgeber Andreas Ziemann weist gleich im Vorwort darauf hin, mit welchen Schwierigkeiten eine soziologische Annäherung an die Medien zu kämpfen hat, will sie nicht die wenig aussagekräftigen und dennoch ausgetretenen Pfade betreten, die etwa die Parallelität von Medienausbreitung und Komplexitätszuwachs gesellschaftlichen Strukturen, Medienumbrüche als gesellschaftliche Paradigmenwechsel oder Vergleiche von Gesellschaften mit unterschiedliche medialen Komplexitätsniveaus beschreiben. Vielmehr untersuchen die dreizehn Autoren des Bandes in ihren Texten zumeist unter einem systemtheoretischen Paradigma dezidiert soziologische Theoriekomplexe in Hinblick auf die Medien. Die Spannweite in den drei Themengebieten „Medientheorie“, „Gesellschaftstheorie“ und „Kulturtheorie“ reicht dabei von Gegenüberstellungen der Medien-Theorien Habermas‘, Parsons‘ und Luhmanns (Joachim Renn) über die Frage nach einer „Digitalen Elite“ als Motor des sozialen Wandels (Lutz Ellrich) bis hin zur Rolle des Fernsehens als Medium zur Modellierung von Gesellschaftsbildern (Lorenz Engell). Dass die verschiedenen Ansätze der einzelnen Beiträge nicht immer miteinander in Einklang zu bringen sind, ist dabei eine Stärke des Konzeptes, zeigt es doch einerseits die Diversifizität der Medienwissenschaften, andererseits das hohe Diskussionspotenzial einer sich an diese anschließenden Soziologie.

Andreas Ziemann (Hrsg.): Medien der Gesellschaft – Gesellschaft der Medien. Konstanz: UVK 2006, 290 Seiten (Paperback), 29,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

Londoner Saisonmode

Wer bei der neuesten deutschsprachigen Publikaton über Jack the Ripper ein weiteres Werk, das nur darauf aus ist, die Taten einem Verdächtigen zuzuordnen, erwartet, liegt bei „Jack the Ripper – Anatomie einer Legende“ falsch. Vielmehr haben Hendrick Püstow und Thomas Schachner eine auf Quellenmaterial basierende Falldarstellung erarbeitet – und zwar die erste aus Deutschland überhaupt (sieht man von einem Propagandabuch während der Nazizeit einmal ab). Nachdem die Autoren in die Politik und Sozialgeschichte des viktorianischen Englands eingeführt haben, listen sie die kanonischen Ripper-Fälle (und einen weiteren, den sie begründeterweise dazurechnen) auf, klären die Tat-Hintergründe und Biografien der Opfer und liefern vor allem aus deutschen zeitgenössischen Medien stammende Zitate und Quellen. Damit gelingt ihnen über die reine Falldarstellung hinaus eine Rezeptionsstudie des Ripper-Falles, die die spezifisch deutsche Reaktion auf den ersten Serienmordfall der Mediengeschichte aufbereitet. Allein dies macht das Buch für mit dem Sujet beschäftigte Kriminalhistoriker und Kulturwissenschaftler schon unentbehrlich. In einem über 80 Seiten langen „Epilog“ bewerten die Autoren zudem die populärsten Verdächtigungen, was die Täterschaft angelangt – wiederum, indem sie den biografischen Hintergrund beleuchten und alle bekannten Fakten auf Stichhaltigkeit prüfen. Die durchgehende (aber nicht überproportionierte) Illustration und die sachliche Herangehensweise der Autoren runden den durchweg guten Eindruck des Bandes ab.

H. Püstow/T. Schachner: Jack the Ripper. Anatomie einer Legende. Leipzig: Militzke 2006. 272 Seiten (Hardcover), 18,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

»Das Leben immitiert immer nur das Buch.«

Der Suhrkamp-Verlag übt sich mit schöner Regelmäßigkeit darin, vergriffene oder noch nicht ins Deutsche übersetzte Werke des wohl maßgeblichsten Strukturalisten überhaupt, Roland Barthes, im Taschenbuchformat zu publizieren. Nachdem vor Kurzem dessen wichtige Vorlesungsschrift „Das Neutrum“ erschienen war und demnächst sogar eine Wiederveröffentlichung der lange Zeit nur noch antiquarisch erhältlich gewesenen „Am Nullpunkt der Literatur / Literatur oder Geschichte / Kritik und Wahrheit“ kommen wird, ist nun zunächst unter dem Titel „Das Rauschen der Sprache“ eine Aufsatzsammlung erschienen. Der in der französischen Werkausgabe als „Essais Critiques IV“ publizierte Band enthält medienwissenschaftlich so wichtige Beiträge wie „Der Tod des Autors“, „Der Wirklichkeitseffekt“ oder „Beim Verlassen des Kinos“ – allesamt in erster oder in Neuübersetzung.

Roland Barthes: Das Rauschen der Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006. 405 Seiten (Paperback), 16,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

»Psychiater haben selbst große Probleme.«

Eine beliebte Rationalisierungsstrategie bei der Rezeption von Horrorfilmen ist es, die Plausibilität von Darstellungen zu hinterfragen – quasi die Deckungsgleichheit von Filmwelt und Alltagsverständnis zu überprüfen. In den seltensten Fällen kann der Film einer solchen Prüfung standhalten: Es ist eben nur ein Film. Daher ist der Sinn einer Publikation wie „Der Böse steht noch einmal auf“ aus dem Schüren-Verlag auch nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Natürlich gibt es Standardsituationen im Kino, die klischeeartig immer und immer wiederholt werden. Nur auf diese Weise konnte und kann sich ein Genrebewusstsein im Zuschauer manifestieren. Nur so kann er Filme überhaupt je „verstehen“ lernen – weil er ihren Bauplan kennen lernt. Dass die Standardsituationen heutzutage oft komisch wirken, ist eine andere Sache, nämlich die eines durch und durch postmodernisierten Bewusstseins, das mehr auf Wiedererkennen als auf Versinken programmiert ist. Insofern ist die Sammlung an Wiedererkanntem, die C. G. Salis hier aufgestellt hat, auch schon wieder interessant als Beleg einer geekhaften Form von Filmbewunderung. Wer sich darauf nicht einlassen mag, kann den Klischeeerkenner übrigens auch selbst zu einem Rezeptionsklischee ernennen und dies auf den letzten beiden Seiten, die „für Notizen“ freigehalten sind, vermerken.

Christian Georg Salis: Der Böse steht noch einmal auf … und andere Klischees in Hollywood-Filmen. Marburg: Schüren 2006. 112 Seiten (Paperback), 9,90 Euro. Bei Amazon kaufen.

Zusammenfassung

Die größte Freude im Freudjahr dürfte für den psychoanalytisch Interessierten die Materialflut sein, die den Medienmarkt zum 150. Geburtstag des Wiener Psychologen überrollt hat. Etliche Bücher, Filmreihen im Kino und Fernsehen, Ausstellungen in Museen – Freud hat Konjunktur und wird mit allem und jedem in Verbindung gebracht und ausgewertet. Anlässlich dessen hat auch der Suhrkamp-Verlag sein bereits 1976 erschienenes „Sigmund Freud – Sein leben in Bildern und Texten“ noch einmal überarbeitet und in der fünften Auflage herausgebracht. Im neuen Verlagsdesign, großformatig und überaus reich bebildert steht damit eine der komplexesten Materialsammlungen zu Freud überhaupt zur Verfügung. Anhand von Fotografien, Buch- und Textfaksimiles und etlichen kurzen wie langen Beiträgen kann man die Geschichte der Psychoanalyse und seines Erfinders nachvollziehen. Die heterogene Gestaltung des Bandes, die unterschiedlichen Schriftgrößen und die langen Textauszuüge halten dabei von einer allzu linearen Vorgehensweise ab, laden immer wieder zum Blättern und kursorischen Lesen ein. Der Band ist ein idealer Begleiter durch das Freudjahr, hat er doch zu den zahlreichen andernorts veröffentlichten Exponaten immer auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Ernst Freud/Lucie Freud/Ilse Grubrich-Simitis (Hrsgg.): Sigmund Freud – Sein Leben in Bilder und Texten. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, 352 Seiten (Paperback), 12,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

»Von denen Schmetzen in den Gräbern«

Der mittlerweile 14. Band der Reihe „Film – Medium – Diskurs“ im Verlag Königshausen und Neumann widmet sich wieder einmal einem fantastischen Filmmotic: In „Der Vampirfilm“ versammeln die Herausgeber Stefan Keppler und Michael Will neun Aufsätze, die sich mit einzelnen Vampirfilmen beschäftigen. Dabei werden ausschließlich kanonische Beiträge des Genres analysiert und auf zentrale, mit dem Vampirmotiv verbundene Diskurse hin untersucht. So fragt sich etwa Elisabeth Bronfen angesichts Tod Brownings „Dracula“, wie eng das Kino selbst mit dem „Vamprischen“ verbunden ist, angesichts der Tatsache, dass Filme des Genres immer wieder technische Neuerungen eingeläutet haben, Peter Cersowsky untersucht Formen und Funktionen des Spiegels anhand von Polanskis „Tanz der Vampire“ und Uli Jung sieht in Terence Fishers „Dracula“-Adaption den Vampir dem Bürgertum entgegen gestellt. Kaum neue Perspektiven, mag man sich denken und so erfüllt die Textsammlung auch zuvorderst die Funktion, den Leser auf den aktuellen Stand der Debatte über Vampirismus und Medien zu bringen. Erwähnenswert ist der einleitende Beitrag von Stefan Keppler, der das dem Motiv genuin Selbstreflexive herausarbeitet und der Schlussbeitrag von Michael Will, in dem qunatitativ wie qualitativ belegt zu werden versucht, dass das kontemporäre Kinozeitalter eines der Vampire sei. Wünschenswert wären all die Untersuchungen zu weniger einschlägigen Filmen gewesen.

Stefan Keppler/Michael Will (Hrsg.): Der Vampirfilm. Klassiker des Genres in Einzelinterpretationen. Würzburg: K&N 2006. 206 Seiten (Paperback), 19,80 Euro. Bei Amazon kaufen.

Mimik in der facialen Gesellschaft

Bilder produzieren nicht nur Affekte, sie speichern sie auch – am deutlichsten in der Mimik der Darsteller, die dann wiederum zu einem Affektauslöser (Mitlachen, Mitleiden) werden kann. Petra Löffler untersucht in ihrer beim Bielefelder transcript-Verlag erschienenen Dissertation die Visualisierungsverfahren mimischer Expressivität, versucht in einem Grenzgang zwischen Anthropopogie und Semiotik darstellerisches Ausdrucksvermögen zu kategorisieren. Sie beschränkt sich dabei auf die Bildproduktion zwischen 1833 und 1933 und liefert in sieben Kapiteln eine eindrucksvolle Analyse des medial (re)produzierten Ausdrucks bei Theater- und Filmschauspielern. Ihre Dissertation ist mittlerweile um einen Sammelband zu „Gesichtern des Films„, erschienen im selben Verlag unter der Koherausgeberschaft Löfflers, ergänzt worden.

Petra Löffler: Affekbilder. Eine Mediengeschichte der Mimik. Bielefeld: transcript 2004. 292 Seiten (Paperback), 29,90 Euro. Bei Amazon kaufen.

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