„Das Kino ist eine dramatische Kunst; die Welt organisiert sich hier Kräften gemäß, die in Konfrontation stehen; alles hier ist Duell und Konflikt; aber ohne jeden Zweifel findet es seine Erfüllung in seiner eigenen Negation: in der Kontemplation“, schreibt Jacques Rivette, und das nach schier endloser Zeit der Irrelevanz seit einigen Jahren wieder quicklebendige amerikanische B-Movie funktioniert vielleicht vor allem deshalb so hervorragend, weil seine alternden Heroen erkannt haben, dass in den Genres der cineastischen Bewegungspoesie mehr Bewegung nicht zwangsläufig auch mehr Poesie bedeutet.
Denn das aktuelle DTV-Actionkino ist kein Kino der virilen Hardbodies, es ist ein Kino der alternden Männer. Seine Protagonisten, die Van Dammes, Seagals, Lundgrens und Snipes, sind Ende 40 bis Ende 50 und haben den Frühling ihrer Karriere längst hinter sich, sind zwischenzeitlich durch tiefe Täler geschritten, um nun in der Demontage ihrer eigenen Leinwandpersonae neue Tiefenschichten in ihrem Schauspiel aufzutun. Ein Actiondarsteller schließlich ist ja niemals nur ein Schauspieler, sondern stets auch Ikone, die in jedem neuen Film ihre gesamte Rollengeschichte mit sich herum trägt. Nur deshalb etwa ist das Bild des um Atem ringenden Jean-Claude Van Damme am Anfang von Mabrouk El Mechris „JCVD“ so übervoll an Poesie, weil es sich über all die Bilder des jungen, virilen Karateka in unseren Köpfen legt. Bilder aus „No Retreat, No Surrender“, aus „Kickboxer“, aus „Universal Soldier“ vielleicht noch. Der scheinbar unbesiegbare Actionheld gerät an seine körperlichen Grenzen und wird mit jeder weiteren Furche im verlebten Gesicht ein Stück mehr zur tragischen Figur.
Für Steven Seagal gilt diese Tendenz in besonderem Maße. Der einstmals so elegante Aikido-Meister musste manche Demütigung hinnehmen: Die Budgets seiner DTV-Filme wurden immer kleiner, die Drehorte immer osteuropäischer, und die Kohärenz der Drehbücher verhielt sich umgekehrt proportional zur wachsenden Körpermasse des ehemaligen Athleten. Selbstporträt des Helden als dicker Narziss. Einen letzten Versuch, einen großen Kinofilm mit Seagal zu machen, unternahm Produzent Joel Silver 2001 mit „Exit Wounds“, doch schien dieser im Zentrum eines stromlinienförmigen, an der Mode der Zeit ausgerichteten Buddy-Actioners derart fehl am Platz, dass aus dem angepeilten Comeback eher ein würdeloses Dokument eines endgültigen Abschieds wurde. Eine Kinoleinwand würde auf absehbare Zeit kein Seagalfilm mehr zu Gesicht bekommen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Doch seit einiger Zeit wirken sich die tektonischen Verschiebungen im Actiongenre auch auf das zuletzt (etwa von „Half Past Dead“ bis „Flight of Fury“) eher hermetisch erscheinende Subgenre des Seagalfilms aus. Die großen Altersrollen von Van Damme (etwa seit „In Hell“) und Dolph Lundgren (seit „The Mechanik“) scheinen auch den bald 60-jährigen Seagal dazu inspiriert zu haben, offener mit seinem eigenen physischen Verfall umzugehen – und auch den weit in die unfreiwillige Komik hineinreichenden verschwurbelten Esoterismus seiner Rollenpersona zugunsten gebrochenerer, zwielichtigerer Charaktere fallen zu lassen. Das bisherige Meisterwerk dieser Schaffensphase, der eine Film, der alles veränderte, war zweifelsohne Don E. FauntLeRoys dunkler, grimmiger, melancholischer „Urban Justice“, der wie später auch Jeff Kings „Driven to Kill“ eindeutig einen Anschluss an das geradlinige Frühwerk Seagals zu knüpfen suchte. Filme, die ihre Schönheit auch aus einem leicht altmodisch-nostalgischen Touch beziehen.
Keoni Waxman setzt nun mit „The Keeper“ freilich noch einmal einen anderen Akzent in Seagals Spätwerk: Am Puls der Zeit und am Puls der Stadt, so scheint Waxmans Montage zu dekretieren, ist der Ort des Actionhelden. Dieser Held unterscheidet sich hier zudem entschieden von den selbstverliebten Schießbudenfiguren, die Seagal mitunter auch durchaus schon gegeben hat. Sein Roland Sallinger hingegen ist ein eher zurückgenommener, auf große Gesten verzichtender und, wo nötig, mit tödlicher Präzision handelnder Professional. Überhaupt lässt Waxman die großen Aktionssequenzen von „The Keeper“ oft aus alltäglichen Bewegungen heraus entstehen, was dem Film einen sehr fluiden Charakterzug gibt – und zudem der filmischen Form die Möglichkeit, jene Bewegungen, die Seagal per Alter und Körpermasse nicht mehr im benötigten Tempo vollführen kann, auf anderem Wege ins Bild zu injizieren. Montage und Lichtsetzung beschleunigen einen Film maßgeblich, den Seagal nicht mehr atemlos und allein voran peitschen muss, sondern der sich mehr um ihn als in sich ruhendes Zentrum herum schmiegt.
Vielleicht bekommt so auch alles rückwirkend einen Sinn: vielleicht musste Seagal einfach durch jene endlose Phase der Demütigungen hindurch. Musste ein langwieriges Projekt der Dekomposition seiner Rollenpersona und des Bewegungskinos an sich durchstehen, um in den freieren Organisationsmodellen all jener offenkundig in keiner Hinsicht noch um Kohärenz bemühten Lowest-Budget-Streifen unbeschwert mit Momenten von Entschleunigung und Stillstand experimentieren zu können? Vielleicht gar, um, in einer Art Selbstexorzismus, so radikal und nachhaltig die Würde seiner Protagonisten – und damit einhergehend: ihren Narzissmus – zu zerschlagen, dass sich ihre Traurigkeit tief in ihre Aura einschreibt. Vielleicht, ja vielleicht – musste all dies geschehen, damit Roland Sallinger am Ende von „The Keeper“ diesen einen, großen Ethan-Edwards-Moment der Weltabgewandtheit bekommen darf.
The Keeper
(USA 2009)
Regie: Keoni Waxman; Drehbuch: Paul A. Birkett; Musik: Philip White; Kamera: Nathan Wilson; Schnitt: Michael J. Duthie
Darsteller: Steven Seagal, Liezl Carstens, Arron Shivers, Steph DuVall, Luce Rains
Länge: 91 Minuten
Verleih: Kinowelt
Zur DVD von Kinowelt
Die DVD ist qualitativ tadellos, ungekürzt und verfügt vom Trailer abgesehen über keinerlei Bonusmaterial.
Bild: 1,85:1 (16:9/anamorph)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Stereo), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Wendecover
FSK: Keine Jugendfreigabe
Preis: 17,99 Euro
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