Sartre trifft Peckinpah

Anfang der 80er Jahre erfuhr das Hongkongkino bedeutende Veränderungen durch einen Schwung neuer Jungregisseure, die sich vom Diktat der anachronistischen, demagogischen und oktroyierenden Produktionsfirmen, wie z.B. den Shaw Brothers, befreiten und beweisen wollten, dass diese Filmindustrie zu mehr in der Lage ist als Martial Arts Werken, im Westen auch manchmal etwas verächtlich „Eastern“ genannt.

Die Hongkong Filmindustrie hatte sich bis dahin im Grunde ihr eigenes Grab geschaufelt. Als sie Anfang der 70er, nicht zuletzt durch die phänomenalen Erfolge der Filme mit Bruce Lee in der Hauptrolle, erkannte, womit sie auch auf dem begehrten westlichen Markt Geld machen konnte, produzierte sie in derart inflationärer Form „Kung Fu- Filme“, dass dieses Genre bereits Mitte der 70er wieder tot war. Insbesondere der westliche Markt wurde mit so vielen „Eastern“ überschwemmt, dass Publikum und Kritiker mit Hongkong einzig und allein primitive „Klopperfilme“ assoziierten, die überdies in 70% der Fälle grauenhaft synchronisiert waren. Ein junger Mann wie Tsui Hark, den Kopf voller Ideen und sich keinem Studioboss unterordnen wollend, kam da gerade recht und bescherte dem Hongkongkino seine erste entscheidende Revolution, die in dieser Form nur von John Woo 5 Jahre später erneut erreicht wurde und sie sogar noch übertraf.

Der Mann auf dem Regiestuhl

Nach zwei äußerst düsteren Film, im zweiten Fall auch gespickt mit schwarzem Humor, die in ihrer Darstellung von Gewalt schockierend auf das Publikum wirkten, drehte er 1981 sein erstes großes Meisterwerk, das auch gleich den Höhepunkt seiner frühen Schaffensphase darstellt und ihn zudem von einer Seite zeigt, die er in seinen späteren Filmen in dieser Form nie wieder präsentieren sollte. Nachdem Tsui bis 1980 mit der Seasonal Films zusammengearbeitet hatte, diese ihn aber nach seinem zweiten Kinospielfilm, der abgedrehten Kung Fu Komödie We’re Going To Eat You / Diyu wu men (HK, 1980), feuerten, arbeitete er nun mit der Fotocine zusammen, die durch diesen Film jedoch nicht den erhofften Aufschwung erfahren sollte. Die Ausnahmestellung, die das Werk aufgrund seiner radikalen und düsteren Gesellschaftskritik im frühen, neuen Hongkongkino hat, rehabilitiert ihn heute jedoch vollkommen.

Die Handlung

Paul, Ah Go und Ah Loong, drei Jugendliche aus Hongkong, vertreiben sich ihre Zeit meistens mit Scherzen der etwas derberen Sorte. Ah Go und Ah Loong leben in den Slumvierteln; nur Paul lebt in einer wohlhabenden Familie, da der Vater gut verdient. Von eben diesem nehmen sie sich das Auto für eine unerlaubte, nächtliche Spritztour wobei es zu einem folgenschweren Unfall kommt. Ein Fußgänger wird von den dreien überfahren und stirbt auf der Stelle. Die drei geraten in Panik und begehen Fahrerflucht, doch sie wurden von der sadistisch veranlagten Pearl beobachtet, einem jungen Mädchen, das in der Eingangssequenz des Filmes eine Maus aus einem an Mäusen reichen Käfig nimmt und sie mit einer Nadel durch den Kopf aufspießt. Um ihre perversen Neigungen auszuspielen sieht sie in dem Wissen um den Unfall den idealen Schlüssel zur Manipulation der drei Freunde und somit der Macht über andere. Doch all dies ist nur der Beginn der Gewaltspirale, die weiter anzieht, als eine Gruppe von kriminellen Ex- G.I.’s sowie eine Triade in die ganze Angelegenheit verwickelt werden. Sämtliche Beteiligten drohen in den Ereignissen unterzugehen.

Interpretation

Was Tsui Hark uns hier präsentiert gehört nicht nur zum nihilistischstem, was das Hongkongkino zu bieten hat, sondern ist auch über sämtliche nationalen Film- und Genregrenzen hinaus eines der schonungslosesten Werke der Filmgeschichte. Er bedient sich derart geschickt bei den Mitteln des Realismuskinos und kontrastierend des stilistischen Gewaltkinos, dass Peckinpah seine helle Freude daran gehabt hätte. Interessant ist, dass es ihm gelingt, bereits hier seinen Inszenierungsstil von schnellen, nahezu atemberaubenden Schnitten und – typisch für das Hongkongkino, aber selten so ausgereift – forcierendem Tempo der Akteure und des Handlungsverlaufes anzubringen, dabei aber stetig einen Hang zum Naturalismus und der Glaubwürdigkeit zu wahren. Dies liegt nicht zuletzt am Lokalkolorit, mit dem uns Tsui Hark „sein“ Hongkong präsentiert, dass aus vielen Gittern, Wohnsilos, Ghettos, Schmutz, Krach und Gewalt besteht.

Das Herz Hongkongs wirkt fast wie eine Stadt kurz vor der Apokalypse. Menschen müssen in einem derartigem Labyrinth zwangsläufig über kurz oder lang Amok laufen. Eben dieses Labyrinth wird zu Beginn anhand eines Mäusekäfigs symbolisiert, in dem die Tierchen durcheinanderlaufen. Ähnlich geht es den Protagonisten im Film.

Die drei Jugendlichen stehen in der Hierarchie einer übersättigten Jugend noch am Anfang ihrer Karriere als „Unruhestifter“. Einer ihrer Scherze ist es Beutel mit blutroter Farbe auf Passanten zu werfen (in der ursprünglichen Fassung des Filmes sollten sie selbstgebastelte Bomben in vollbesetzte Kinos werfen, was von den Zensurbehörden untersagt wurde). Das Mädchen Pearl ist auf der Leiter des jugendlichen Soziopathenthumes bereits weiter vorangeschritten, foltert sie doch ihre Mäuse (hier wurde übrigens am Anfang des Filmes eine richtige, lebende Maus aufgespießt), tötet die Katze der Nachbarin und hat psychopathische Phantasien, in denen sie Menschen manipulieren und foltern möchte wie ihre Mäuse. Nach der Beobachtung des Unfalles kann sie genau dies tun. Sie erpresst die drei Freunde Paul, Ah Go und Ah Loong zu allerlei Taten bis hin zum bewaffneten Raubüberfall.
So werden aus Freizeitgaunern richtige Gangster, die aus einem Fehltritt heraus und der Angst vor dem Verrat an die Polizei immer größere Dummheiten begehen und somit immer tiefer in den Strudel der Gewalt geraten. Als würde all dies, nicht zuletzt durch die depressive und pessimistische Grundhaltung des Filmes, nicht genug sein, werden sie auch noch mit einer Gangsterbande konfrontiert, die auch vor Mord nicht zurückschreckt.

Doch der endgültige Abgrund lässt sich bei den amerikanischen Ex- Soldaten finden, die illegale Geschäfte im Vietnamkrieg durchgeführt haben und nun weiterhin ihre Kontakte im fernen Osten nutzen. Als die Jugendlichen in den Besitz einer Ware kommen, die den Amerikanern gehört, gehen diese mit unvorstellbarer Härte vor um diese zurückzubekommen. Man sieht also, dass es kein Entkommen gibt. Die bereits düstere und fast hoffnungslose Welt der Jugendlichen, die durchsetzt war von schockierender Gewalt, trifft nun auf eine noch heftigere Form der Gewalt. Diese Welt überschreitet den Horizont der Jugendlichen, ja sogar der sadistischen Pearl, die glaubte die Fäden in der Hand zu halten, sich aber nun mit einem Wahnsinn ganz anderer Art konfrontiert sieht.

Tsui packt seinen Film voll mit Kritik an einer vorgetäuschten Wohlstandsgesellschaft, in der eine Vielzahl von Menschen unglücklich sind, urbane Aggressionen das Innenleben der Bewohner solcher Trabantenstädte beherrschen und eine kranke, kaputte Umgebung auch kranke und kaputte Menschen hervorruft. Auch funktioniert der Film zunehmend über Symboliken, womit er den Boden des Realismus, der am Anfang bei der Schilderung der Ghettos sehr wichtig war, verlässt und stilisierender wird. Die Söldner, so nenne ich sie jetzt mal, weil der deutsche Verleih sie so nennt, kennen wirklich keine Gnade und werden zum Symbol für absolute Menschenverachtung, Skrupellosigkeit und Gewaltausübung. Eine Art Vorgeschmack auf die Hölle.

Interessant als Figur ist auch noch Pearls Bruder, ein Polizist, gespielt von Dauerbösewicht Lo Lieh gespielt. Er bietet noch die Identifikationsmöglichkeit der staatlichen Institution, die den Anschein geben soll, dass es doch eine Sicherheit gibt. Das solche grauenvollen Dinge wie sie im Film gezeigt werden von irgendeinem Organ zur Rechenschaft gezogen werden und das Struktur in das Chaos der Gewalt gebracht wird. Doch hier gibt es keine Struktur mehr, die Sinnlosigkeit ist überall. Die Gewalt existiert zum Ende hin nur noch aus sich selbst heraus. [ SPOILER ] Wunderbar dargestellt im einzigen Überlebenden des Schlussmassakers welches auf einem Friedhof stattfindet. Er verliert den Verstand, feuert wild um sich, obwohl alle tot sind und wird schließlich festgenommen. Der Film endet mit schwarz-weißen Zeitungsbildern, die in Kurzform zusammenfassen was passiert ist, unterlegt vom Schießen des MGs.[ SPOILER ENDE ]

Resümee

Die ursprüngliche Fassung des Filmes war noch drastischer, doch wurde sie von den Zensurbehörden nicht zugelassen. Weniger wegen der Gewalt(wie man weiß, hat man davon in Hongkong ein anderes Verständnis), sondern aus politischen Gründen. Man glaubte eine Verunglimpfung der Jugend Hongkongs zu erkennen, was vor allem für einen Export des Filmes ins Ausland schadhaft gewesen wäre. So wurde der Film überarbeitet, in diversen Szenen entschärft, ein Großteil des Anfanges neu gedreht(insbesondere Szenen, in denen deutlich wird, dass die drei Freunde nicht so harmlos sind, wie in der neuen Fassung vermutet) und trotzdem verboten. Auch bei Kritikern und Publikum kam das düstere Opus nicht an und somit landete Tsui Hark seinen dritten Flop in Folge. Kaum zu glauben, dass er doch noch zu Hongkongs erfolgreichstem Produzenten und Regisseur avancieren sollte, doch dies war nur mit einer absoluten Trendwende möglich.

Dieser, eigentlich depressive, frustrierte und von den Menschen enttäuschte Mann fing an Komödien und Hoffnung spendende Filme zu drehen, die er anfänglich nicht mal mochte. Mit MAD MISSION III- UNSER MANN VON BOND STREET sollte er einen der größten Hongkonger Box Office Hits inszenieren, obwohl er diese Art Film hasste. Somit ist er bei den Fantasy- und Swordsfilmen hängen geblieben, hat seinen handwerklichen Inszenierungsstil perfektioniert und hat nie wieder einen düsteren Film gedreht.

Schade, denn mit SÖLDNER KENNEN KEINE GNADE ist ihm etwas gelungen, was viele Regisseure gerne erreichen würden, aber nur den wenigsten gelingt: Ein Spagat zwischen intellektuellem Existentialismus und stilisiertem Trivialkino. Dass er die Musik vorrangig bei George A. Romeros. Dawn Of The Dead (USA, 1978) geklaut hat verzeihe ich ihm großzügigerweise mal. Die deutsche Fassung des Filmes ist um ca. 8 Minuten gekürzt, jedoch ausschließlich Dialoge. Selbst in dieser gekürzten und leider etwas unbeholfen synchronisierten Fassung kommt die Botschaft rüber.

Söldner kennen keine Gnade
(Dont‘ play with fire / Di yi lei xing wei xian)
HK, UK 1980
Regie: Tsui Hark
Drehbuch: Chuek-Hon Szeto, Tsui Hark
Kamera: Chung Chi-Man
Musik: Goblin, The Alan Parsons Project, Jean-Michel Jarre
Darsteller: Lo Lieh, Lim Ching-Chi, Richard Da Silva

Marcos Ewert

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