„Nobody suffers like the poor“

Henry Chinaski (Mickey Rourke) ist ein Säufer. Tag für Tag lässt er sich in den miesen Pinten seines Viertels vollaufen, fängt jeden Abend im Vollrausch eine sinnlose Schlägerei mit dem Barkeeper Eddie (Frank Stallone) an, den er verachtet, bringt dann in den frühen Morgenstunden zurück in seinem versifften Appartement seine Gedanken zu Papier und wacht schließlich irgendwann zerschunden auf, nur um wieder von vorn zu beginnen. Als die Herausgeberin Tully (Alice Krige) eine von Henrys Kurzgeschichten veröffentlichen will und mit einem Scheck vor seiner Tür steht, scheint ein Ausstieg aus dem Trinkerleben möglich …

Nach einem Drehbuch des Gossenpoeten Charles Bukowski inszenierte der Schweizer Barbet Schroeder diesen Film, nachdem er zwei Jahre zuvor mit „The Charles Bukowski Tapes“ bereits eine Dokumentation über den Schriftsteller gedreht hatte. „Barfly“ verzichtet auf den bei Trinkerfilmen sonst üblichen warnenden Tonfall, mit dem dem Zuschauer die Gefahren des Alkoholkonsums bewusst gemacht werden sollen. Der langsame gesundheitliche Verfall eines einst produktiven Mitglieds der Gesellschaft, der Zusammenbruch aller zwischenmenschlichen Bindungen, die oft zu späte Einsicht in die eigenen Verfehlungen und der Versuch einer Therapie: Alle diese Plotstandards des Trinkerfilms fehlen in „Barfly“ vollkommen, wie der ganze Film eigentlich keine Handlung im konventionellen Sinne aufweist, sondern seine Hauptfigur über einen relativ willkürlich gewählten Zeitraum von wenigen mehr oder wenige ereignislosen Tagen begleitet. Schroeder erzählt nicht etwa die Geschichte eines Mannes, den ein Schicksalsschlag in die Alkoholabhängigkeit getrieben hat und der allein nicht aus ihr herausfindet, vielmehr porträtiert er einen Außenseiter, der sich aus freien Stücken für sein Leben entschieden hat, der die Konventionen des Alltags verachtet und die Überzeugung vertritt, dass jeder ein Nichttrinker sein könne, zum Trinker aber nur jemand tauge, der über besondere Ausdauer und Willenskraft verfügt.

Barbet Schroeder wird zum Verbündeten Henrys, zeigt dessen Leben so, wie dieser es wohl selbst sieht und bedient sich somit einer Strategie, die jener seiner Dokumentation „Général Idi Amin Dada: Autoprtrait“ von 1974 nicht unähnlich ist: In jener begnügte sich Schroeder mit der Rolle des Chronisten und überließ seinem größenwahnsinnigen Hauptdarsteller das Feld, wissend, dass die zwangsläufig folgende Selbstdemontage eine stärkere Wirkung entfalten würde als jede vom Regisseur gesteuerte Inszenierung. „Barfly“ ist demzufolge pure Romantik: Die schmuddeligen Kneipen verströmen mit ihrem melancholischen Bar-Blues, dem schummrigen Neonlicht (wunderbar eingefangen von Robby Müller) und den abgerissenen Gestalten am Tresen den muffigen Geruch eines wirklich gelebten Lebens, Tage und Nächte fließen im Zigaretten- und Whiskeydunst untrennbar und ohne echte Konsequenz ineinander, die Fantasie treibt im benebelten Zustand ihre schönsten Blüten, die Eiswürfel klimpern dazu im stets gut gefüllten Glas.

Und Henry selbst? Mit seinen schmierigen Haaren, dem unrasierten Gesicht, dem fleckigen T-Shirt, den aufgeplatzten Handknöcheln und den löchrigen Socken sieht er zwar wie ein Penner aus, doch die Art, wie er seine hochtrabenden Worte im trunkenen Singsang in den Raum aufsteigen lässt, dabei ein unverschämt selbstsicheres Grinsen zur Schau trägt und sich geradezu aufreizend langsam bewegt, lässt ihn tatsächlich wie einen Adligen erscheinen, wie ihm seine Trinkergeliebte Wanda (Faye Dunaway) gesteht. Aber auch, dass „Barfly“ eben keine plumpe Glorifizierung betreibt, liegt in seiner Hauptfigur begründet: Denn Henry beschönigt nichts, will doch im Gegenteil gerade nicht die Betäubung, sondern die volle Dosis Dreck und Schmerz, die mehr als nur die unliebsamen Nebenwirkungen des Rauschs sind. Als Tully ihm das Gästehaus ihrer teuren Villa als Bleibe anbietet, weil er dort „in Frieden“ schreiben könne, winkt Harry ab. Im Frieden kann er nicht leben und schon gar nicht schreiben.

„Barfly“ ist kein Plädoyer für den Suff, aber eines für die Freiheit des Menschen, sein Leben nach seinem eigenen Entwurf zu leben, auch wenn dieser nicht kompatibel mit gängigen Vorstellungen ist. Als Porträt eines alternativen und – es mag paradox klingen – bewusst und mit allen Konsequenzen am Mainstream vorbei geführten Lebens ist „Barfly“ heute, wo Kinder schon im Vorschulalter auf die spätere Verwertung durch die Wirtschaft gedrillt werden, wo persönliche Neigungen immer mehr gegenüber ausgefeilten Karriereplänen in den Hintergrund treten, wo jedes Hobby mit Rücksicht auf den Lebenslauf gewählt werden muss, vielleicht wichtiger denn je. Man sollte sich diesen Henry vielleicht nicht gerade zum Vorbild nehmen, aber die Konsequenz, mit der er sein Leben lebt, die darf man durchaus bewundern; ebenso wie Mickey Rourke, der hier die mit Abstand beste Leistung seiner Karriere abliefert.

Darüber hinaus ist „Barfly“ auch filmhistorisch nicht uninteressant: Er ist einer jener ambitionierten Filme, mit denen die Cannon, die Produktionsfirma der beiden Israelis Menahem Golan und Yoram Globus, ihr durch zahlreiche preisgünstig produzierte Actionfilme und eine ebenso aggressive wie streitbare Finanzpolitik ramponiertes Image aufpeppeln und ihren Anspruch, als erste unabhängige Firma in die Phalanx der etablierten Studios einzudringen, untermauern wollten. Neben Barbet Schroeder inszenierten in jenen Jahren in der zweiten Hälfte der Achtziger unter anderem also Künstler wie Jean-Luc Godard und John Cassavetes für die Cannon, die in den Jahren zuvor vor allem mit Filmen wie „Missing in Action“, „American Fighter“ oder „Over the Top“ bekannt geworden war. „Barfly“ darf als einer ihrer besten und schönsten Filme gelten: ein echter Außenseiter eben.

Barfly
(USA 1987)
Regie: Barbet Schroeder; Drehbuch: Charles Bukowski; Kamera: Robby Müller; Musik: Jack Baran; Schnitt: Éva Gardos
Darsteller: Mickey Rourke, Faye Dunaway, Alice Krige, Frank Stallone, Jack Nance
Länge: ca. 95 Minuten
Verleih: Koch Media

Zur DVD von Koch Media

Koch Media veröffentlicht „Barfly“ in ansprechender, wenn auch nicht perfekter Bild- und Tonqualität und in zwei verschiedenen Fassungen: Die Single-Disc-Variante enthält außer Trailern und einer Bildergalerie keinerlei Extras, die Doppel-DVD hingegen bietet auf einer zweiten Scheibe Barbet Schroeders Bukowski-Doku „The Charles Bukowski Tapes“ an. Der Rezension liegt die Single-Disc-Variante zugrunde.

Bild: 1,85:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Surround)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Bildergalerie
FSK: Ab 16
Preis: 9,95 Euro

Diese DVD bei Amazon kaufen

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.