Kino-Blockbuster sind ein Segen für Filmbuchpublizisten und -verlage gleichermaßen. Will man die eigene Bibliografie (oder das Verlagssortiment) um einen Bestseller bereichern, muss man lediglich den jeweiligen Blockbuster thematisieren. Im Falle von Guido Schwarz‘ „Jungfrauen im Nachthemd – Blonde Krieger aus dem Westen“ ist Peter Jacksons Lord of the Rings willkommener Anlass gewesen.
Schwarz nimmt sich viel vor: „Eine motivpsychologisch-kritische Analyse von J.R.R. Tolkiens Mythologie und Weltbild“ – so der Untertitel seiner eigentlich ideologikritischen Analyse zum Herrn der Ringe. Sein Ansinnen ist dabei aufklärerischer Natur: „Ich glaube, dass viele, sehr viele Tolkien-Leser (und nicht nur sie) von Faschismus-Theorien nicht viel wissen, möglicherweise nicht mehr als eine Ahnung haben und somit in einem Buch versteckten Faschismus schlicht und einfach nicht erkennen können“ (S. 7), unterstellt er vorsorglich in der Einleitung. Überhaupt ist diese Einleitung mit der interessanteste Teil des Buches, denn hier erfährt man etwas über den Autor und sein Denken. Hier begründet Schwarz einerseits seine Publikation, andererseits liefert er Entschuldigungen für die vielen unentschuldbaren Fehler und Irrtümer, die auf den folgenden 190 Seiten folgen.
Nachdem er festgestellt hat, dass kaum einer den Faschismus in ein griffiges Ideologie-Raster bringen könne, liefert er auf gut einer Seite (!) eine Zusammenfassung von 60 Jahren Faschismus-Theorie, die dem Leser fortan als Sieb zur Kunstrezeption genügen kann: Literatur, Film und andere Artefakte müssen nur oben eingefüllt werden und was darin hängen bleibt ist faschistisch. Dieser Methodik unterzieht der Autor Tolkiens Roman „Der Herr der Ringe“ und ergänzt unschuldig: „Sie sollten den Herrn der Ringe gelesen haben oder zumindest den Film gesehen haben.“ (S. 10) Es ist also egal, auf welche Weise man sich dem Stoff nähert, denn dessen faschistischer Unterbau ist vom Autoren unabhängig (oder bei Tolkien und Jackson gleichermaßen vorhanden). Schwarz geht es nicht um ein vertiefendes Verständnis von faschistisscher Ästhetik, sondern um Inhaltsanalyse – das Aufspüren vermeintlich faschistischer Motive. Dieses Vorgehen versucht er im Vorfeld gegen alle Vorwürfe zu panzern: „Das Buch ist voll mit Aussagen, die wie Übertreibungen klingen und manchmal sind es auch welche.“ (S. 11) Oder: „Ich pflege in diesem Buch etwas, das meine Kritiker bisher immer einen (zu) ‚lockeren‘ Stil zu nennen pflegen. (…) Wo steht geschrieben, dass Wissenschaft trocken und pfad sein muss?“ (S. 12) Er mag recht haben, dass Wissenschaft nicht trocken sein muss. Aber einerseits ist die oftmals behauptete Trockenheit Ergebnis einer Textsorten-Geschichte, die um terminologische Genauigkeit bemüht ist (in der Schwarz’sche Ironie und Übertreibung keinen Platz hat) und andererseit verlangt gerade eine idologiekritische Analyse unpolemische Darstellung, um als ernsthaft und angemessen aufgenommen zu werden. Sicherlich sollen derlei Ab- und Eingrenzungen von Schwarz eine Kritik schon im Vorfeld verhindern. Doch darf das ja kaum heißen, dass sie nicht dennoch angebracht wäre und in diesem Fall sogar ganz besonders angebracht ist.
Was Schwarz als „wissenschaftliche Arbeit“ (S. 12) bezeichnet, ist bei genauerem Hinsehen nichts anderes als populistisch formulierte Ideologiekritik von Links. Dabei ist sein Methoden-Kanon genauso unausgereift wie seine Analyse selbst. „Hermeneutik“ will er betreiben, verfährt aber (bewusst oder unbewusst?) rein input-hermeneutisch (Welsch), indem er sein Interpretationsergebnis (Tolkien sei ein Faschist) als Suchraster voranstellt. Aber: „Dekonstruiert wird eigentlich nicht Tolkien, sondern die Ideologie, die er in die Köpfe und Herzen unzähliger Leser auf der ganzen Welt festgesetzt hat.“ (S. 13) Und: „Der Vorwurf des faschistoiden Weltbildes mag für Tolkien-Fans wie eine Faust ins Gesicht sein, aber es ist nie die Faust ins Gesicht Tolkiens, sonder die ins eigene (…) Ich habe nichts anderes getan, als den Lesern des Herrn der Ringe einen Spiegel vor das Gesicht zu halten“ (S. 192). Hinter diesen Widersprüchlichkeiten verbirgt sich zweierlei: Schwarz betreibt Biografismus und Intentionalismus, ganz so, als wären es die probatesten Methoden, welche die Wissenschaft zu bieten hat und er unterstellt dem Leser, der seinen oftmals zweifelhaften Thesen nicht folgen will, dass dessen reaktanter Widerspruch lediglich eine faschistische Selbstentlarvung sei. Dieses Vorgehen hat weder etwas mit „Dekonstruktion“ noch mit „Hermeneutik“ und schon gar nicht mit „wissenschaftlicher Arbeit“ zu tun, sondern ist vielmehr selbst hochgradig ideologisch (und in Form und Stil hochgradig polemisch).
Zum Inhalt. Schwarz unternimmt eine Motiv-Analyse zu den Büchern „Der Herr der Ringe“, „Der (kleine) Hobbit“ und „Silmarillion“ von J. R. R. Tolkien. Nachdem er die Biografie des Autoren skizziert hat, um seine Thesen später biografi(sti)sch zu zementieren, richtet er seinen Blick auf das Weltbild (Schöpfung, Sprachen), die Wesen, die diegetischen Ideologien und schließlich – im Silmarillion – auf das Geschlechterbild. Geleitet wird seine Analyse von einer Interpretation der erzählerischen Gegenstände als Analogien zu faschistischen Ideologemen. Das ist, soweit es Tolkien betrifft, nicht gerade originell. Recht bald nach der Publikation des Herrn der Ringe 1953 ist die Diskussion um das Weltbild des Fantasy-Stoffes entbrannt (eine adäquate Diskussion hierzu findet sich in Brian Roseburys „Tolkien. A critical assessment“ von 1992). Die Tatsache, dass ideologiekritische Untersuchungen zu Fantasy-Stoffen nicht selten sind, liegt wohl vor allem in den Genreparadigmen der Fantastik selbst begründet: Weltentwürfe dieser Art bedienen sich archaisch-dichotomer Muster von Gut und Böse, Schön und Hässlich usw., die vor allem als Archetypen auftreten und damit das märchenhafte der Stoffe ausmachen. Diese Achetypen laden geradezu dazu ein, als Allegorien interpretiert zu werden. Und so ist die ideologiekritische Reflexion von Fantasy-Stoffen ein mittlerweile unter Zuschauern tradiertes Rezeptionsverhalten. (Fruchtbarere Auseinandersetzungen zu den Motiven der Fantastik unterbreitet zum Beispiel seit einigen Jahren die mediävistische Forschung, die auch Stoffe, wie den Herrn der Ringe, als Rezeptionsgeschichte überlieferter Sagen und Quellen deutet.)
Schwarz geht noch einen Schritt weiter, indem er diese Archetypen einer radikalen Ideologie zuzurechnen versucht. Er begründet seinen Faschismusvorwurf darin, dass dieser subtil – quasi als verborgener Sinn – vom Autor im Herr der Ringe-Stoff deponiert worden sei, um diese Ideologie im Mäntelchen des harmlosen Märchens an den Leser zu bringen, der diesen ganz unkritisch übernehmen würde – und damit selbst einem faschistischen Weltbild anheim fallen würde. Andere Deutungsansätze schließt er allein schon durch das Insistieren auf die „Gefährlichkeit solcher Demagogie“ aus und tituliert diejenigen, die diesem Zugang nicht folgen wollen als „unkritische Menschen“ und Förderer eines gesellschaftlichen „Gegeneinander“. Einmal ganz davon abgesehen, dass sich seine Analyse sich recht vulgärer Methoden bedient, konterkariert Schwarz sein eigenes aufklärerische Ansinnen, indem er von einem unmündigen Leser ausgeht, dem es „einen Spiegel vors Gesicht“ zu halten gilt. „Agitprop“ fällt einem angesichts dieses Stils ein.
Guido Schwarz‘ Herr der Ringe-Interpretation entlarvt sich so für den ernsthaft interessierten Leser als oberflächliche und zudem ideologisch-„ideologiekritische“ Lektüre eines Fans, der glaubt, ein bisschen mehr als seine Mitfans zu wissen und damit in wenig passendem Stil prahlt. Dass diese Schrift in der Reihe „Kulturwissenschaft“ des Verlages Königshausen und Neumanns erscheinen konnte, mutet angesichts des ansonsten renommierten Programms als Rätsel an – dass sie in all ihrer Redundanz, Oberflächlichkeit und ihrem unpassenden Stil durch das Lektorat gerutscht ist, legt die Vermutung nahe, dass schnell eine Publiktion zu einem Blockbuster her musste.
Guido Schwarz
Jungfrauen im Nachthemd – Blonde Krieger aus dem Westen
Eine motivpsychologisch-kritische Analyse von J. R R. Tolkiens Mythologie und Weltbild
Würzburg: Königshausen und Neumann, 2003
Paperback, 193 Seiten, 19,80 Euro
Stefan Höltgen
Exzellent, diese Kritik, ich stimme ihr voll und ganz zu! Ich habe mich nach langem Überlegen durchgerungen, das besprochene Machwerk zu lesen und muß gestehen, daß ich als profunder Kenner der Tolkienliteratur zuerst über die Meinung des werten Herrn Schwarz erbost war, aber schon nach Lektüre einiger Seiten und Widerlegung seiner an den Haaren herbeigezogenen Argumente auf mehreren A4-Seiten allerdings mehr dazu tendiere, darüber zu lachen, denn jemand, der von sich schreibt, Analyse als Brotberuf zu betreiben und dann mit einer solchen krampfhaften Argumentation daherkommt kann einfach nicht ernst genommen werden. Das Buch ist, was ich bereits beim ersten Hörensagen davon gedacht habe: ein geistesgegenwärtiges Aufspringen auf die zu diesem Zeitpunkt sehr beliebte Tolkienschiene mit einem leicht abzukratzenden, pseudowissenschaftlichem Anstrich.