LAST SCENE

Japan in den späten Sechzigern: Die letzte Klappe ist gefallen, die letzte Szene gedreht – Superstar Keiko zieht sich aus dem Schauspielbusiness zurück. Sehr zum Ärger ihres Counterparts, dem etwas jüngeren, hoffnungsvollen Ken Mihara, der sich der bitteren Tatsache, dass seine Karriere in vollkommener Abhängigkeit von Keiko ermöglicht wurde und auch nur in dieser fortzusetzen ist, natürlich voll bewusst ist. Desillusioniert hinsichtlich seiner weiteren Laufbahn wird er nicht nur bockig, sondern auch anmaßend, tyrannisiert die Crew am Set, flüchtet sich in den Alkohol, fällt über junge Schauspielerinnen her, zerstreitet sich mit seiner Gattin – ein gerade erst aufgegangener Stern und doch ist er schon wieder am Sinken.

35 Jahre später, die Medienwelt hat sich geändert, der Siegeszug des Fernsehens hat die Filmhandwerkskunst, die Unterhaltungsbranche von Grund auf in ihren Festen erschüttert: Es herrschen Dilettantismus und Eitelkeiten. Gute Filme zu schaffen, gewitzte Unterhaltung gekonnt in Szene zu setzen – dieses Ziel verfolgt in der Branche kaum noch einer, allein die Kombination aus geringem Budget, kurze Drehzeit und hoher Quote ist, was zählt. Da taucht auf dem Set einer lieblos runtergekurbelten Krankenhaus-Serie, scheinbar aus dem Nichts, ein alter, ausgemergelter, in sich ruhender Nebendarsteller auf: Ken Mihara, an den sich nur die ältesten Mitarbeiter des Studios noch erinnern können, der es noch einmal, nur ein einziges Mal noch, wissen, der die alte Magie noch einmal spüren und entfesseln will. Auf dem Set interessiert dies keinen, wie denn auch, nimmt von dem in die Jahre gekommenen Idealisten und seinem Anliegen doch eh kaum einer Notiz. Bis auf Mio, eine junge, ambitionierte Set-Designerin voller Tatendrang, die sichtlich unter den katastrophalen Zuständen im japanischen Studiosystem leidet und Schritt für Schritt die Passion des in die Jahre gekommenen, gescheiterten Schauspielers zu verstehen und zu respektieren lernt.

Hideo Nakata, der eigentlich eher im Horror-Metier zuhause ist, zumindest aber im Jahre 1998 mit „Ringu“ die „New Wave of Japanese Horror“ losgelöst hat, hat ein sentimentales, schwärmerisches Drama fernab aller Gruseleffekte gedreht. Zwar beginnt der Film denkbar schaurig – und Kennern seines bisherigen Schaffens wird es leicht fallen, wissend nickend typische Motive wiederzuerkennen -, doch entpuppt sich das Geschehen schnell als Dreharbeiten zum „Film im Film“. Nein, bis auf diese ein, zwei Anspielungen der Einführungssequenz erinnert wirklich nichts an die atmosphärisch dichten Horror-Thriller, für die Nakata weit über die Grenzen Japans hinaus bekannt geworden ist. Leider, möchte man sagen, denn so richtig in die Gänge kommt LAST SCENE eigentlich nie, eher im Gegenteil.

Dabei ist die Grundidee – ein Spiegel der japanischen Filmentwicklung in der Biographie eines gealterten und an den eigenen Eitelkeiten gescheiterten Schauspielers, in Verbindung mit einem Plädoyer für die hehre Handwerkskunst – sicher nicht die schlechteste. Doch der Kniff, mal eben 30 Jahre in der erzählten Zeit auszusparen, erweist sich als großes Manko: Mihara ist nach diesem Loch in der erzählten Zeit kaum wiederzuerkennen, und das nicht nur aufgrund seiner deutlich geänderten Physiognomie, die rein gar nichts mit dem eingangs eingeführten, jungen Mihara gemein hat – auch sein Wesen scheint ein komplett ausgewechseltes zu sein. Sicher, eine Biographie als Alkoholiker, der Unfalltod der eigenen Frau und 30 Jahre Lebenszeit hinterlassen unwidersprochen ihre Spuren in den Charakterzügen eines Menschen, es stellt sich aber doch die Frage, warum Mihara in der zweiten Hälfte des Films als sentimentaler Melancholiker, als Freund der Filmkunst gezeichnet wird, wenn er nur kurz zuvor im Film nur durch reines Schnöseltum bis hin zur blanken Ignoranz gegenüber dem technischen Schaffungsprozess dieser Kunstform bestach. Dass sich der alte Mihara in Rückblenden immer wieder wehmütig an seine Jugendtage – er wurde bereits als Kind „entdeckt“ – erinnert, in der ihm die magische Welt des Filmemachens ähnlich mystisch vorkam wie nun als „Geläuterter“, verwirrt noch zusätzlich und man kommt recht schnell zu dem Schluss, dass der Film zwar viel Romantik und Passion behauptet, allein, glaubhaft zu vermitteln vermag er beides nicht.

Dazu passt auch, dass Mihara im Laufe seines beinahe schon als Martyrium zu bezeichnenden Auftrittes Teile das Teams – diejenigen hauptsächlich, die schon vor 30 Jahren dort gearbeitet und den jungen Mihara noch gut in Erinnerung haben – für sich gewinnen kann, ohne dass dieser Prozess näher erläutert werden würde. Auch hier wieder: reine Behauptung ohne narrative Legitimation. Dass LAST SCENE ferner mit zunehmender Spielzeit immer vorhersehbarer wird, schmerzt zusätzlich – so weiß der Zuschauer spätestens ab Beginn der letzten halben Stunde nicht nur, wie der Film enden wird, er weiß auch, mit welchen Stilmitteln dieses Ende erzählt werden wird, an welchen Stellen die Musik anschwellen und welches Fazit am Ende stehen wird. „Wissen“ ist vielleicht sogar fast der falsche Begriff, der Zuschauer wird vielmehr mit dem Vorschlaghammer auf die richtige Fährte geprügelt.

All das ist nicht nur eines Hideo Nakatas, wie man ihn bislang kennen und schätzen gelernt hat, unwürdig, es ist auch äußerst ärgerlich, da der Film wie eine einzige, lange Aneinanderreihung von verpassten Chancen und Gelegenheiten zu großem, gewitzten, charmantem Kino anmutet. Denn magische Momente – der Dialog zwischen Mio und Mihara, draußen auf einem Spielplatz, der beide für den Rest des Filmes aneinander binden wird, gehört definitiv dazu -, wie dieser Film sie gerne als typisch für die Kunstform Film behauptet, weist LAST SCENE schon dann und wann auf. Kleine, lichte Momente sind das dann, die immer wieder kurz aufblitzen, die einen beinahe schon wieder versöhnlich stimmen wollen, aber den im Sinken begriffenen Kahn leider doch nicht zu retten vermögen. LAST SCENE bleibt ein bleiern herbeigeredetes, sich aber nie zu voller Wirkung entfaltendes Plädoyer für handwerkliches Geschick und passioniertes Filmemachen. Und ein hemmungslos verkitschtes, billig gestricktes Melodram – schade um den schönen Stoff.

Am Ende dann das Versprechen, nie mit dem Filmemachen aufzuhören. Im Sinne des Versprechenden heißt das, den Glauben an das Gute im Film trotz aller Widrigkeiten nicht zu verlieren, weiterzumachen, sich dem guten, anspruchsvollen, intelligent unterhaltenden, vor allem aber handwerklich versiert inszenierten Film beständig zu nähern. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass der Regisseur selbst es ist, der durch die Figur zu uns spricht. Nun, Herr Nakata, dass Sie gute Filme machen können, das wissen wir alle. Doch bitte begnügen Sie sich beim nächsten Mal nicht damit, nur davon zu reden!

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