IN THIS WORLD

Die Sprache der Statistik, mit der man illegalen Flüchtlingen in der öffentlichen Rede normalerweise begegnet, wird auch hier zu Beginn gesprochen. Doch die Zahlenkolonnen auf der Leinwand, wieviel Geld beispielsweise für die Bombardierungen Afghanistans aufgebraucht wurde und welche deutlich geringeren Beträge den Flüchtlingen in Pakistan zugesprochen werden, treten bald in den Hintergrund. Der Film konzentriert sich auf zwei ganz konkrete Schicksale auf dem langen Überland-Weg von Pakistan nach London – die der beiden Cousins Jamal und Enayat, zweier „Illegaler“.

In halbdokumentarischem Stil inszeniert Michael Winterbottom diese langwierige, aufreibende Reise unter haarsträubenden bis lebensgefährlichen Bedingungen. Und er betont, denn das liegt auf der Hand, die rigiden ökonomischen Bedingungen einer solchen Fluchtbewegung. Nur am Geld interessierte Schieber, anteilnahmslose Menschenschmuggler, aber auch Menschenfreunde begegnen uns, die Reise geht zu Fuß über eisige Gebirge, durch orientalische Metropolen oder im LKW quer übers Land, versteckt auf der Transportfläche, hinter Schafen oder gefährlich schwankenden Orangenkisten.

Ein süßlich-paternalistischer Blick auf Jamal und Enayat bleibt uns zum Glück erspart – die beiden sind, genau wie die anderen Flüchtenden, deren Weg sie kreuzen, in erster Linie Menschen und keine Projektionsflächen für Opfergedenken, Exotismus und damit verbunden den Vorstellungen westlicher Metropolenmenschen vom „besseren Menschen“ aus exotischen Gefilden. Ganz im Gegenteil sieht sich Jamal in seiner desolaten Situation in Trieste dazu gezwungen, Touristen zu beklauen – in eine Biografie, in soziale und ökonomische Bedingungen, eingebettet, macht das Sinn. Denn hier geht es nicht um Propaganda – der „heilige Ausländer“ oder der „kriminelle Ausländer“ etwa. Nein, hier geht es um Menschen mit Bedürfnissen, um Menschen in existenziellen Situationen, um Menschen, die genau so auch inszeniert werden und somit Gesicht und Würde erhalten. Allein, die oft zu poetisch und dramatisch geratene Musik – ein Kind der „Neuen Musik“ und damit eindeutig einer westlichen Tradition geschuldet – nimmt den rohen, oft improvisierten Digital-Bildern etwas ihre authentische Kraft.

Dramatisch sind die Grenzüberquerungen inszeniert worden. Grobkörnige Einzelbilder, oft mit Nachtsichtgeräten erstellt, die die von grundauf militärischen Bedingungen der Grenzbeobachtungen und -überquerungen verdeutlichen, schnelle Kameraschwenks, die nur undeutliche Bilder, eher vorbeiziehende Lichtreflexe im Dunkeln, produzieren, eine akustische Verstärkung der Außenwelt – Motorenlärm, Windrauschen – lassen einen den klaustrophobischen Charakter einer solchen Situation, die blanken Nerven, mit der man ihr nur begegnen kann, spüren.

Winterbottom hat also einen Film über Flüchtlinge – circa 1 Million Menschen sind jährlich von Asien nach Europa unterwegs – gedreht, der den Blick auf deren Leben, deren Schicksal – ja, die Fluchtbedingungen lassen einen in der Tat von Schicksal sprechen, denn nichts anderes als ausgeliefert sind sie – zu erweitern und zumindest zwei Menschen – der Film beruft sich auf eine authentische Fluchtgeschichte – aus den unendlichen Zahlenkolonnen der Anonymität zu entreißen vermag.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.