Ich, filmend

Mit der Einstellung der Produktion der „Kodadchrome 40“-Kassetten im Frühjahr 2006 hat die Schmalfilmszene in Deutschland entgültig zu existieren aufgehört. Wer jetzt noch auf Super-8 filmen will, muss auf andere Technologien ausweichen – kompliziertere Technologien, denn die praktischen Kassetten mit den dreieinhalb Minuten Filmzeit, die einfach nur eingelegt werden mussten, waren vielleicht der Grund dafür, dass es eine so vielgestaltige Filmer-Szene gegeben hat. Dieser Szene huldigte Robert van Ackeren bereits 1980 mit seinem Komplilationsfilm „Deutschland Privat“, den er aus hunderten ihm zugesandter Schmalfilme zusammen montiert hat. Da natürlich mehr Material übrig geblieben ist als verwendet wurde, dachte van Ackeren sich, mit einem zweiten Teil dem Schmalfilm anlässlich dessen Untergangs ein Denkmal zu setzen: „Deutschland Privat – Im Land der bunten Träume“.

Man merkt schnell, dass die Auswahl der Filme in der Fortsetzung von „Deutschland Privat“ eigentlich eine „zweite Wahl“ ist. Aber nicht nur im schlechtesten Sinne, sondern auch in dem, dass die in den Film eingeflossenen Kurzfilme die Geschichte und Technologie der deutschen Schmalfilmbewegung reflektieren. Wenn etwa ein Filmfan aus der DDR seine Rollen aus Materialmangel zwei Mal belichtet, dann wirkt das angesichts des Ende des Mediums auch irgendwie aktuell. Ansonsten ist die Auswahl der Episoden ebenso bunt und unstrukturiert wie im ersten Teil, jedoch die Lauflängen weichen stärker voneinander ab: So gibt es etwa eine recht lange Episode über einen Mann, der sich eine Frau in Thailand sucht, diese heiratet, sich wieder von ihr scheiden lässt, um dann eine Inderin zu ehelichen. Das einfache Glück des Kleinbürgers wird hier wie in nur wenigen anderen Kapiteln von „Deutschland Privat“ erahnbar. Aber auch ein gewisser Hang zum Erzählen, denn gerade diese lange Episode entwickelt eine ganz eigene Sogwirkung auf den Zuschauer, der erfahren will, warum denn die erste Ehe nicht geklappt hat und wie es vielleicht weitergeht mit dem Mann und seinem Familienglück. Das wird jedoch ausgespart.

Derartige Aussparungen sind nicht mehr allein der Länge des Filmmaterials geschuldet, sondern mehr noch als im ersten Teil von „Deutschland Privat“ auch einem Willen zur Dramatisierung. So finden sich etliche, offenbar in den Kameras montierte erzählende Kurzfilme im zweiten Teil. Einer versucht etwa ein Schmalfilm-Remake von Antonionis „Blow up“ zu verwirklichen und spielt dabei vor allem mit Schuss-Gegenschuss-Evokationen und subjektiven vs. auktorialen Einstellungen. Diese Hinwendung zu einer mehr spielfilmerischen Filmerei zeigt auch, dass Schmalfilmen weit mehr als nur Draufhalten gewesen ist, dass nicht nur die Ökonomie des Materialsparens bestimmendes Auswahlkriterium für die Szenenfindung war, sondern auch die Frage, unter welchen Bedingungen man sich das Gefilmte später einmal anschauen will. Da werden Aufnahmen von Familienparties und Weihnachtsfeiern, die mehr persönliche Dokumente darstellen (auch solche gibt es im „Land der bunten Träume“) zu schnell eintönig, wohingegen das Inszenierte seinen Reiz behält.

Der Höhepunkt des zweiten Teils ist wie schon beim Vorgängerfilm natürlich das erotische Material. In den Sex- und Pornofilmszenen scheint das mentalitätsgeschichtliche Moment mehr als in allen anderen Sujets zu kondensieren. „Deutschland Privat“ arbeitet sich in beiden Teilen behutsam vor, stellt einer unglaublich prüden Normalität der abgefilmten Geschlechtsteile einen skurrilen und nicht selten derben Hang zur transgressiven Pornografie entgegen. So findet sich im zweiten Teil etwa eine Szene, die mit der berüchtigten „Hamster-Szene“ des ersten Teils korrespondiert: Eine nackte Frau und ihre Dogge finden sich zu einem „Einakter“ (so der Untertitel der Episode) zusammen. Während die Dogge im Bildvordergrund gelangweilt in die Kamera schaut, beginnt die Frau im Hintergrund sich lasziv zu bewegen. Und auch hier ist es wieder die Montage, die die Szene gelingen lässt: Der angedeutete Tiersex findet lediglich im Kopf des Betrachters statt. Die Frau wird irgendwann nur noch vom Bauchnabel aufwärts gezeigt, während im Off das Winseln und Schlabbern der Dogge zu hören ist.

Schmalfilm war filmischer Kreativitätsförderer Nummer Eins bis zum Auftauchen der Videotechnologie Anfang der 1980er Jahre. Aus der Schmalfilmszene sind nicht wenige auch heute noch bekannte Regisseure hervorgegangen. Aus dem Hobby konnte also, wenn man das wollte und sich angestrengt hat, auch ein Beruf werden. Reines Dokumentieren, wie es oft Foto- und Diasammlern unterstellt wird, schien der Umgang mit Super-8 je doch nie lange zuzulassen. In allen von van Ackeren vorgestellten Episoden finden sich dramaturgische und manchmal auch filmästhetische Bemühungen, die das Gefilmte mit einem Zusatzsinn versehen. Man muss dem Medienwechsel, der mit dem Verschwinden von „Kodachrome 40“ endgültig abgeschlossen war, aber gar nicht trauernd gegenüber stehen. Längst haben sich andere Formate etabliert, die zwar technologisch eine andere Herausforderung an die Benutzer stellen, aber den schon seit der Schmalfilmzeit bekannten Hang zur Skurrilität und zum subversiven Humor weiter tragen. Sicherlich kann man YouTube und Co. heute als die legitimen Nachfahren dieses Formates anerkennen.

Deutschland Privat – Im Land der bunten Träume
(Deutschland 2007)
Auswahl & Montage: Robert van Ackeren
Länge: 82 Minuten
Verleih: Kinowelt

Die DVD von Kinowelt

Kinowelt bringt van Ackerens Films wie schon den Vorgänger als nicht jugendfreie DVD auf den Markt. Die Bildqualität hängt natürlich vor allem von der Qualität der Vorlagen ab, der Ton ist sauber abgemischt und verständlich. Reizvoll ist vor allem das Bonusmaterial mit dem 8-seitigen Begleittext des Regisseurs.

Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 1,33:1
Sprachen/Ton: Deutsch (Mono Dolby Digital)
Extras: Filmografie Robert Van Ackeren, Das Universum des Privaten, Booklet, Fotogalerie, Trailer
FSK: keine Jugendfreigabe
Preis: 14,99 Euro

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