GOTO 1944

Wie sehr die Entscheidung darüber, wer als Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen ist, von technischen Innovationen wie funktionierenden Raketen, Atomwaffen, Chiffriergeräten und nicht zuletzt Computern abgehangen haben könnte, lässt sich sicherlich nur vermuten. Dass diese Innovationen aus dem ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhundert allerdings einen Einfluss auf den Verlauf der Konflikte hatte, ist unbestreitbar. Die Frage „Was wäre wenn …?“ unter einem technischen Gesichtspunkt gestellt, scheint also auf jeden Fall interessant – zumal für (Science) Fiktionen. Bemerkenswert war hier zuletzt Jörg Buttgereits Film „Captain Berlin versus Hitler“ (D 2009), in welchem das Gehirn Adolf Hitlers von dessen Assistentin kryogenisch konserviert und nach dem Krieg in einen Roboter eingepflanzt wurde. Die Hannoveraner Elektro-Band „Welle: Erdball“ schlägt nun mit ihrem Film „Operation: Zeitsturm“ in dieselbe Kerbe – inhaltlich wie auch ästhetisch.

Der Film erzählt seine Geschichte auf zwei Zeitebenen: Beim Verfrachten überzähliger C64-Computer auf dem Dachboden findet Dr. Georg Linde (Hannes Malecki) das Tagebuch des österreichischen Wissenschaftlers Alois Haberl (Horand Hölzel), der für seine Erfindung der Zeitmaschine 1944 die Max-Planck-Medaille erhalten hatte. Haberl und seine Tochter Marie-Sophie (Plastique) wurden kurz vor Ende des Krieges von der SA verhaftet und nach Deutschland verschleppt, wo sie die Zeitmaschine funktionsfähig konstruieren sollen, um es den Nazis damit zu ermöglichen, Siege und Niederlagen nachträglich und vorher beeinflussen zu können. Als Haberl sich zunächst weigert zu kooperieren, wird seine Tochter gefoltert. Also willigt er ein – kurz vor Vollendung der Maschine gelingt ihm jedoch die Flucht und er vergräbt das Herz der Zeitmaschine in einem Wald. Diese Informationen entnimmt Georg dem Tagebuch. Er ruft daraufhin seinen Freund Ing. Martin Richter (Alf Behnsen) an, mit dessen Hilfe er die Zeitmaschine finden und in Betrieb nehmen will. Zusammen mit der Reporterin Lisa (Frl. Venus) finden sie sie und setzen sie dazu ein, die schlimmsten Katastrophen der Welt nachträglich ungeschehen zu machen.

Hauptdarsteller in „Operation: Zeitsturm“ sind keineswegs nur die Bandmitglieder Alf Behnsen und Hannes Malecki (letzterer führt unter seinem Pseudonym „Honey“ auch Regie), sowie die weiblichen Co-Musikerinnen Plastique und Frl. Venus, sondern, wie auch schon auf den Alben und den Konzerten der Formation: der Commodore C64 – jener legendäre Heimcomputer der 8-Bit-Ära, der heute noch als Sinnbild für eine ganze jugendkulturelle Bewegung in den 1980er Jahren gilt. Neben dem C64 spielen aber auch andere Geräte eine tragende Rolle in „Operation: Zeitsturm“: alle möglichen technischen Produkte von Schaltschränken und elektrischen Sicherungen über Oszilloskopen, Lötkolben bis hin zu einem frühen Handheld-Computer (dem Atari Portfolio, der hier zum Skype-Terminal erklärt wird) und viele mehr. Man merkt schon an dieser Aufzählung für wen das Herz der Produzenten schlägt: für die Maschinen. Demzufolge ist die Handlung des Films auch recht rudimentär gestrickt und eigentlich aus jedem Nazi-Exploitationfilm bekannt.

Von einem simplen Vorwand der Selbst- und Technik-Inszenierung sollte man bei „Operation: Zeitsturm“ jedoch nicht ausgehen, denn insbesondere die liebevolle Art und Weise, mit der die Musiker ihre Geräte in die Zeitreise-Geschichte einbringen und auf welche Weise sie den technischen mit dem historischen und dann auch dem künstlerischen Diskurs verweben, ist kaum zu verkennen. Dabei wird die Technik dann durchaus auch augenzwinkernd thematisiert – wenn sich etwa Georg und Martin beraten, ob man die Zeitmaschine mit einem PC steuern sollte und beide übereinkommen, dass das zu unsicher wäre und sie daher lieber den zuverlässigeren Commodore-Homecomputer dafür verwenden. Um der Story jenes Augenzwinkern zu geben, mit dem sich insbesondere Underground- und Exploitation-Filme der Nazizeit widmen, wird auch schon einmal über Anachronismen hinweg gesehen: Da tauchen Computer und Monitore im Deutschland des Jahres 1944 auf, die es erst gut 40 Jahre später gab – aber so ist das eben mit der Retro-Kultur: Sie ist selbst eine Art Zeitmaschine.

Und diese Zeitmaschine bedient die Gruppe „Welle: Erdball“ nun schon seit Beginn der 1990er Jahre nahezu perfekt, indem sie Musik komponiert, die sich gleichzeitig der Neuen Deutschen Welle, dem Krautrock und den Chip-Tunes verpflichtet fühlt – mit melancholischen, techno-romantischen Texten und einer unnachahmlichen Attitüde, die sich in Verkleidungen und Ritualen (auf den Konzerten der Band wird stets ein C64 ins Publikum verschenkt) ausdrückt. Um „Welle: Erdball“ hat sich seitdem eine wachsende Schar Fans gebildet, die diesen Retro-Kult mit zelebrieren. Der Film „Operation: Zeitsturm“ ist nur ein Element davon, das die zuvor schon in Musikvideos gezeigten Geschichten einmal in Spielfilmlänge präsentiert. Dieser Spielfilm ist nun auch einer etwas größeren Öffentlichkeit zugänglich, seit das Label SPV vor kurzem eine aufwändige DVD von „Operation: Zeitsturm“ auf den Markt gebracht hat.

Im 3-Disc-Set befinden sich neben dem Film in deutscher Sprache (mit wohlgemerkt charmant südniedersächsischem Zungenschlag!) und deutschen, englischen und schwedischen Untertiteln eine Bonus-DVD mit Making Of, Trailern, Show Reels und Fotografien. Die dritte Scheibe im Set ist eine Audio-CD mit dem Soundtrack des Films, der natürlich komplett aus Songs von „Welle: Erdball“ besteht. Das 16-seitige Booklet enthält neben Bildern aus dem Film das vollständig in Sütterlin verfasste Tagebuch Professor Haberls. In ausgewählten Kinos hatte die Band den Film bereits 2008 vorgestellt; die DVD hat also lang auf sich warten lassen. In Kürze soll schon der nächste Film von „Welle: Erdball“ erscheinen: „Operation: Atahualpa“. Und man darf schon sehr gespannt darauf sein, ob und wie der Commodore C64 den Inka-Herrscher aus dem 16. Jahrhundert vor den Spaniern retten wird …



Operation: Zeitsturm
(D 2008)
Regie & Buch: Honey; Kamera: Kevin Grss, Thomas Mertens; Schnitt: Honey; Musik: Welle: Erdball
Darsteller: Kevin ross, Horand Hölzel, Plastique, A.l.f., Frl. Venus u. a.
Länge: 90 Minuten
Verleih: SPV
FSK: ab 12 Jahren
Weitere Informationen: http://www.welle-erdball.de/zeitsturm/

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