Finding Nero

Ein rast- und heimatloser Revolverheld, der den Mord an seinem Bruder rächen will; eine Stadt voller geldgieriger Lügner, Heuchler und feiger Mörder; ein cholerischer mexikanischer Rebell mit abgehacktem Arm; ein Finale, in dem die gedemütigte Stadtbevölkerung nackt im Staub der Hauptsraße herumkriecht: Die Weichen scheinen gestellt für für einen Film, mit dem Corbucci an seine Meisterwerke „Django“ und „Leichen pflastern seinen Weg“ anknüpft. Aber „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“ teilt mit diesen beiden Klassikern nur wenig – leider.
Der drifter Brad (Johnny Hallyday, der französische Elvis) reitet nach Blackstone, eine Kleinstadt, in der sein Bruder einem Lynchmob aus aufgebrachten Bürgern zum Opfer fiel, die er vorher bei einem Bankraub bestohlen hatte. Die Beute ist allerdings nie wieder aufgetaucht, sodass es einen heftigen Interessenkonflikt gibt: Die Leiterin der Bank, die intrigante Virginia Pollywood (Françoise Fabian), will das Geld ebenso wieder wie die Bürger Blackstones, die jedoch nicht wissen, dass Virginia auf eigene Rechnung arbeitet; Brad muss sich mit den mexikanischen Rebellen um El Diablo (Mario Adorf), abgeben, um zu erfahren, wer seinen Bruder umbrachte, während diese wiederum gern die Beute in ihren Besitz bringen würden, von der auch sie nicht wissen, wo sie ist. Und der gutmütige Sheriff (Gastone Moschin) will bei all dem den Frieden in seiner Stadt aufrecht erhalten. Klar, dass es zum großen Knall kommen muss …

Mit „Django“ hatte Corbucci – mehr noch als Sergio Leone mit seiner Dollar-Trilogie – den Italowestern aus der Taufe gehoben und zahllosen Nachahmern eine Blaupause an die Hand gegeben, nach der sie bis in die Siebzigerjahre hinein ihre Kopien fertigen konnten. Dabei hatte Corbucci selbst das noch junge Genre bereits zwei Jahre nach „Django“ mit „Leichen pflastern seinen Weg“ an einen würdigen Endpunkt geführt: Trister, hoffnungsloser und brutaler als dort konnte es nicht mehr werden, auch wenn sich zahlreiche Regisseure vorwiegend italienischer und spanischer Provenienz alle Mühe gaben, das Gegenteil zu beweisen. Beide Filme beschwören die Hölle auf Erden, ziehen den Zuschauer erst in den sprichwörtlichen Sumpf („Django“) bevor sie ihn in den ewigen Winter jagen („Leichen pflastern seinen Weg“). Ihre Helden sind Krüppel, seelisch und körperlich, der Tod ist ihr Handwerk, ihm haben sie sich mit Haut und Haaren verschrieben, sonst ist nichts mehr übrig: Das Leben ist nicht mehr als ein verlängertes, dreckiges und qualvolles Sterben.

„Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“, ein Jahr nach „Leichen pflastern seinen Weg“ gedreht, ähnelt diesen Filmen in vielen Details: Auch er hat einen Antihelden mit ebenso ungewisser Vergangenheit wie Zukunft, eine Stadt, in der Gier und Egoismus regieren – Geldgier ist das zentrale Thema des Films – und die nur noch durch ein reinigendes Gewitter zu retten ist, und Schurken, die entweder völlig vertiert sind oder ihre Abgründe hinter einer Fassade der Gutbürgerlichkeit verbergen. Aber schon ein Blick auf die malerischen Alpen, vor denen sich dieses Drama abspielt, offenbart die Unterschiede und den dialektischen Ansatz, den Corbucci hier vertritt. Während er in den berühmten Vorgängern eher wie ein Maler bis ins Surreale verzerrter Bilder in Erscheinung trat und seine düstere Sicht der Welt und der Menschen weniger narrativ als vielmehr atmosphärisch zum Ausdruck brachte, krankt „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“ etwas an seinem unentschieden zwischen komischen und tragischen Elementen hin und her pendelnden Ton und der mäandernden Storyline, die sich ausgiebig bei Shakespeare bedient – sowohl einzelne Motive als auch die ganze Erzählstruktur lassen an den britischen Dramatiker denken. Stark ist Corbuccis Film aber immer dann, wenn er erzählerischen Ballast abwirft, sich stattdessen seines „malerischen“ Talents entsinnt und starke Bilder in kräftigen Farben malt. Leider passiert das viel zu selten.

Auch die Wahl des Hauptdarstellers muss man als unglücklich bezeichnen: Rockstar Johnny Hallyday bringt zwar die notwendige mysteriöse Aura und das entprechende Aussehen mit, kann seiner Figur schauspielerisch aber keinerlei Profil verleihen. So ist er ganz von Corbucci und Kameramann Dario Di Palma abhängig. Seine stärkste Szene hat er bezeichnenderweise ganz am Schluss, wenn er schwerverwundet, blutüberströmt, hinkend und mit leerer Pistole in ein letztes Duell wankt und alle Kugeln seiner Gegner an seiner kugelsicheren Weste abprallen. Erst wenn er nichts mehr tun muss, nur noch da sein, weiß er zu überzeugen. Wer weiß, vielleicht hatte Corbucci genau das in ihm gesucht.

Nicht dass es zu Missverständnissen kommt: Corbuccis Film ist überdurchschnittlich gut gelungen, hat mit Adorfs in Schafsfelle gewandeten „El Diablo“ und Moschins Sherrif zwei wunderbare Charaktere aufzubieten und einige famose Szenen, in denen der Regisseur seine Klasse unter Beweis stellt. In vielerlei Hinsicht wird es „Fahrt zur Hölle ihr Halunken“ zum Verhängnis, dass er so geschmackssicher zubereitet ist, man aber von einem Italowestern genau das Gegenteil erwartet: überbordende Expressivität, Dreck, Gewalt, grelle Charaktere. „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“ hat zu wenig von all dem. Mit einigen Drehbuchveränderungen und Umbesetzungen könnte man ihn sich glatt als amerikanischen Western der goldenen Hollywood-Ära vorstellen. Vielleicht ist es nur der Hauptdarsteller, der dem Film höhere Weihen verwehrt: Johnny Hallyday ist kein John Wayne. Und auch kein Franco Nero.

Fahrt zur Hölle, ihr Halunken
(Gli specialisti, Italien/Frankreich/Bundesrepublik Deutschland 1969)
Regie: Sergio Corbucci, Drehbuch: Sabatino Ciuffini, Sergio Corbucci, Kamera: Dario Di Palma, Musik: Angelo Francesco Lavagnino, Schnitt: Elsa Armanni
Darsteller: Johnny Hallyday, Françoise Fabian, Sylovie Fennec, Gastone Moschin, Mario Adorf
Länge: 99 Minuten
Verleih: Kinowelt

Zur DVD von Kinowelt

Kinowelt präsentiert den in Deutschland bislang nur in einer gekürzten Fassung gezeigten Film in einer rekonstruierten Langfassung mit ansprechender Bildqualität. Die wieder integrierten Szenen – hauptsächlich Dialogpassagen – laufen dabei auf Französisch mit deutschen Untertiteln. Diese sorgen allerdings für ein wenig Verwirrung, weil sie auf den in der deutschen Fassung „Brad“ getauften Helden immer mit dem Namen „Hud“ referieren, der ihm wohl in allen anderen Ländern zugedacht wurde. Die Extras sind dürftig, dafür ist die DVD aber auch relativ preisgünstig.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch, Französisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Trailer, Fotogalerie, Biografie Mario Adorf
Länge: 99 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 9,95 Euro

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