Fantasy Filmfest Nights 2011 – Not so Funny Games

Nicht selten wird Michael Haneke vorgeworfen, seine Filme seien zu oberlehrerhaft. Doch offenbar sind all seine didaktischen Bemühungen noch lange nicht ausreichend. Miguel Ángel Vivas bringt es nämlich in seinem sadistischen Exploitationfilm „Secuestrados“ („Kidnapped“) fertig, Hanekes Meisterwerk „Funny Games“ zu zitieren – augenscheinlich ohne verstanden zu haben, dass es Haneke um das genaue Gegenteil dessen geht, was „Secuestrados“ praktiziert. Während „Funny Games“ wohl der Anti-Exploitationfilm schlechthin ist, bemüht sich Vivas 90 Minuten lang ausschließlich darum, Gewalt konsumierbar zu machen und jene Zuschauer zu befriedigen, die Folter erregend finden und Freude daran haben, der sinnlosen Auslöschung einer Familie zuzusehen.

In diesem spanischen Home-Invasion-Thriller ziehen die 18-jährige Isa (Manuela Vellés) und ihre wohlhabenden Eltern in eine Villa am Stadtrand von Madrid und werden gleich in der ersten Nacht von einem Einbrecher-Trio brutal überfallen. Die drei maskierten Männer wollen ’nur‘ Geld, sind dafür aber bereit, bis zum äußersten zu gehen. Da der Einbruch sehr früh im Film statt findet, befasst sich der Großteil des Werkes mit den Fluchtversuchen der Opfer, den internen Differenzen der Täter und vor allem der nackten, explizit dargestellten Gewalt, die über Eltern und Tochter hereinbricht.

Gleich in der Eingangssequenz, vor allem aber in einer Szene, bei der während des bestialischen Verbrechens minutenlang Motorsport im TV läuft, verweist der Film gezielt auf „Funny Games“, übersieht dabei aber nicht nur die von Haneke geübte massive Medien- und Zuschauerkritik, sondern liefert quasi ein werkimmanentes Argument gegen sich selbst. Vivas kann Haneke nur als Vorbild begreifen, indem er ausschließlich auf die Schauwerte von „Funny Games“ achtet, sich aber dessen pädagogischem Plädoyer gegen Gewaltpornos verschließt. Auch ein weiterer ‚Skandalfilm‘, Gaspar Noés „Irréversible“, muss wider Willen als Referenz herhalten, wenn „Secuestrados“ die Feuerlöscherszene daraus nachstellt, jedoch auch hier übersieht, dass Noé – trotz aller Brutalität – letztlich die Sinnlosigkeit von Gewalt heraus arbeitet. Für eine ähnlich harte Vergewaltigungsszene wie in „Irréversible“ fehlt es Vivas dann aber dankens-, zugleich aber auch inkonsequenterweise an Mut, vermutlich weil diese Form der Gewalt von deutlich weniger Zuschauern goutiert wird als es bei den Folterakten, wie sie „Secuestrados“ zeigt, der Fall ist.

Der schonungslose Terror-Film „Secuestrados“ bedient inhaltlich die niedrigsten Gelüste abgestumpfter Zuschauer, ist aber technisch zweifelsohne brillant, sodass ihm diese moralisch fragwürdige Leistung sehr effektiv gelingt. Der Film inszeniert die Zerstörung des vermeintlich sicheren Heims äußerst realistisch, kommt also ohne spektakuläre Übertreibungen und logische Brüche aus. Anders als der überwiegende Teil zeitgenössischer Horror-Produktionen verzichtet der mit langen Plansequenzen und nur sehr wenigen Schnitten arbeitende Film nahezu gänzlich auf plumpe Shock Cuts, sondern baut die Spannung vor und das Entsetzen nach dem Grauen gerade durch seine Weigerung wegzusehen auf. Oft klebt die Kamera so nah an den Figuren, dass der Zuschauer in deren Position versetzt wird und die Beklemmung der Situation sich auf ihn überträgt. An mehreren Stellen schaut „Secuestrados“ sogar doppelt hin, wenn er clever miteinander verwobene und vor allem perfekt getimete Split Screens einsetzt.

Auch die Schauspieler überzeugen mit ihren Auftritten, allen voran Manuela Vellés, die als Isa in die Hysterie des Schocks abrutscht und nur noch hecheln, wimmern und schreien kann. Aber wozu diese handwerklichen Vorzüge gut sind, erschließt sich kaum, da „Secuestrados“ weiter nichts will als mit brutaler Gewalt zu unterhalten. Gerade das übereilte und äußerst blutrünstige Ende verdeutlicht das. In diesen letzten Minuten wirft der Film zudem seinen kompletten Erzählstil über Bord, der zuvor auf das fast schon erlösende Moment des Todes weitgehend verzichtet hatte, um die Bedrohlichkeit des Überlebens im Angesicht nicht nachlassender Schrecken langsam und dosiert bis an die Grenze des Unerträglichen zu steigern. Am Schluss aber regrediert der Film zu einem dumpfen Slasher, dessen Abschlachterei nicht nur die Ziele der Täter, sondern auch die diegetische Strategie der kontrollierten Eskalation konterkariert.

Kidnapped
(Secuestrados, ESP 2010)
Regie: Miguel Ángel Vivas; Drehbuch: Miguel Ángel Vivas, Javier García; Kamera: Pedro J. Márquez; Schnitt: José Manuel Jiménez; Musik: Sergio Moure; Darsteller: Manuela Vellés, Fernando Cayo, Ana Wagener, Dritan Biba, Martijn Kuiper, Guillermo Barrientos;
Länge: 90 Minuten
Verleih: Universum

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