Elephant

Ein schlichter Film eigentlich, in ihm geschehen die Dinge beiläufig. Hier hat (auf den ersten Blick) jedes Ereignis einen ähnlichen Rang und die gleiche Aufmerksamkeit verdient: das Gehen durch die Schule ebenso wie ein Gespräch unter Freunden, oder am Ende des Films jeder einzelne Schuss.

Gus van Sants „Elephant“ (der Filmtitel verweist auf eine alte buddhistische Parabel, aber er legt auch die Lesart nahe, die Underdogs hätten die Schmähungen nicht vergessen können) ist eine Reaktion auf die Schulmassaker (nicht nur) in den USA, wie an der Colombine Highschool in Littleton. Ein Spielfilm. Er versucht keine Rekonstruktion der Ereignisse. Aber eine Rekonstruktion von sich selber: Die Struktur des Films ist an seinen Figuren orientiert. Deren Wege verfolgt er (buchstäblich) und manchmal treffen sie aufeinander – was dazu führt, dass die Zeitlinie aus den Fugen gerät und mitunter dazu, dass wir ein Geschehen aus mehreren Blickwinkeln wahrnehmen. Der Film macht darauf aufmerksam, dass es immer mehrere Perspektiven gibt.

Es ist die Beiläufigkeit eines normalen Tages: John kommt zu spät zum Unterricht, weil er seinen betrunkenen Vater nicht fahren lassen wollte. Die drei Mädchen, die eben noch Shopping-Pläne in der Cafeteria machten, erbrechen kurz darauf das Essen auf dem Schulklo. Im Sportunterricht wird Michelle gesagt, sie solle doch beim nächsten Mal kurze Hosen tragen, andernfalls würde sie eine schlechte Note kriegen. Danach geht sie in der Bibliothek aushelfen. Elias fotografiert. Und so weiter.

Bei Alex daheim geschieht anderes: Er und Eric schauen eine Geschichtsdokumentation, die Hitler zeigt. Alex nimmt an der Tür ein Paket entgegen, in dem Waffen sind. Sie küssen sich in der Dusche, als sie feststellen, dass sie im Leben noch nicht geküsst worden sind. – Als Alex Eric den Plan des Anschlags erklärt und sich dabei das Massaker vorstellt, ist in die Vorstellungsbilder eine Einstellung eingefügt, die gefilmt ist wie die Darstellung des Ego-Shooters, des Computerspiels, wie Eric es zuvor gespielt hat. Jeder Weg durch einen Korridor erhält vom Film mehr Aufmerksamkeit als das. Es ist auch nur ein Analogiefetzen (die Vorstellung wird durch das bereits Gesehene mitbestimmt). Aber dieses Bild – wie viele andere – ist eindrucksvoll, es lässt einen nicht los.

Hier herrscht eine flirrende Spannung von Anfang an, schon bevor klar wird, dass das Geschehen auf einen Ausbruch hinausläuft: marginale Brüche. Geringfügige Demütigungen. Lange Einstellungen, in denen die Kamera die Laiendarsteller durch die Schule begleitet – wann wird wohl die Einstellung beendet sein, wann ist der Schüler an seinem Ziel, und was ist sein Ziel?

Das Attentat dann wird nur bruchstückhaft gezeigt. Das steht der Ausführlichkeit der Anfangsszenen entgegen und verweist auf eine veränderte, partielle Wahrnehmung. Während wir zuvor davon ausgehen konnten, am Leben von John und den anderen teilzuhaben (aufgrund der Ausführlichkeit, in der uns die Alltäglichkeit vorgeführt wurde), wird nun etwas weggeschnitten. Das hat mehrere Folgen: Erstens wird voyeuristischer Schaulust entgegengetreten, zweitens wird die Bluttat als Ausbruch deutlich (ein Bruch in der Erzählung), und drittens wirkt das letzte Filmviertel so wie das Finale eines Thrillers: durch die Aussparungen, die den Schrecken in unseren Köpfen entstehen lassen. – Ich kann nicht wirklich sagen, ob dieses Vorgehen ganz und gar okay ist, aber wenigstens bin ich sicher, dass dadurch der Film (und somit sein Thema) im Kopf nachhallen. „Elephant“ arbeitet weiter in der Erinnerung. Wie selten ein Film.

Kernpunkt von Van Sants ästhetischer Strategie scheint zu sein: Die Wahrnehmung jedes Menschen ist subjektiv. Das ist nicht die Ausflucht einer objektivierenden Erklärung. Gäbe es eine, wäre sie bestimmt schon gegeben wurden und die Diskussion dazu an ihrem Ende angelangt. „Elephant“ ist eine von vielen möglichen Betrachtungsweisen. Der Film ist eine Aussage. Also eine weitere Station in der Auseinandersetzung. Und immer wieder deren Anfang: im eigenen Kopf.

Elephant
(USA 2003)
Regie, Buch & Schnitt: Gus van Sant; Kamera: Harris Savides
Darsteller: Alex Frost, Eric Deulen, John Robinson u.a.
Verleih: Kinowelt; Länge: 81 Minuten

Eine Antwort auf „Elephant“

  1. Der Film kommt ja jetzt im Fernsehen…ich werd den Film angucken,denn mich interessiert er! ich finde es immer spannend und traurig was alles passieren kann..und dieses thema interessiert mich

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