Ein Musiktourist in Istanbul

Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul, Deutschland 2005, Fatih Akin

Die interkulturelle Musikdokumentation ist fast schon zu einem separaten Filmgenre geworden, das eine eigene Tradition besitzt und bestimmte Konventionen zu erfüllen hat. Einen der Höhepunkte erlebte dieses Genre in den späten 90-ern, als solche Filme wie „Buena Vista Social Club“ von Wim Wenders oder „Genghis Blues“ von Roko Belic ein großes Kinopublikum begeistern konnten und ihre musizierenden Protagonisten populär machten. Typisch für diese Art der Dokumentarerzählung ist die Figur eines westlichen Musikers, der, von einer fremden, exotischen (Musik)Kultur angezogen, sich auf ihre Spuren begibt. Sein forschender, neugieriger Blick, der metonymisch immer mit dem Ohr austauschbar ist (in „Genghis Blues“ ist der Blues-Musiker Paul Pena, der sich für den tuvinischen Obertongesang interessiert, sogar blind), verleiht der Kamera, die seine Position annimmt, jene betörende Subjektivität, die uns das Fremde in plastischer Unmittelbarkeit erleben lässt.

Einen ähnlichen Weg beschreitet auch der Regisseur Fatih Akin in seinem neuen Film „Crossing the Bridge. The Sound of Istanbul“, indem er den Bassisten der deutschen Avantgardeband „Einstürzende Neubauten“ Alexander Hacke auf der Jagd nach musikalischen Eindrücken in der türkischen Metropole begleitet. Auch hier agiert der „Kulturbotschafter“ betont aus eigenem Antrieb und legt gleich am Anfang ganz persönliche Gründe dar, die Istanbuler Musikszene zu erforschen und möglichst genau auf die Tonspur zu bannen. Die Kamera scheint sich ganz unauffällig seinen Interessen und Präferenzen anzupassen, anstatt ihm die einzelnen Stationen zu diktieren. Und doch wirkt der Film sehr genau durchkomponiert. In der Tat ist nichts dem Zufall überlassen: Die Abfolge der musikalischen Nummern fügt sich präzise in die Gesamtkomposition ein und erschafft den subtilen Sog, dem man sich schließlich nicht mehr entziehen kann.

Die Stadt, die dank ihrer geographischen Lage beidseitig der Bosporus-Meerenge, die Asien von Europa trennt, für die „Begegnungen der interkulturellen Art“ geradezu prädestiniert scheint, wird von Akin als extrem offen und von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt inszeniert. Jede feste Zuschreibung weist sie sofort von sich, genauso wie ihre Musiker, die sich keiner „Leitkultur“ verpflichtet fühlen. Die Stilrichtungen werden kühn durcheinander gemischt und auch bei der Selbstrepräsentation will man sich meist nicht auf ein klar definierbares Image festlegen. Das Ungreifbare der türkischen Musikszene wird durch das Bild des Wassers veranschaulicht, das Istanbul in zwei Hälften trennt, die durch eine Brücke wiederum zu einer Einheit vereint werden. Das Wasser, das dank seiner formlosen Substanz und Anpassungsfähigkeit dem traditionellen Begriff der Weiblichkeit entspricht, wird zum Symbol einer Kultur, die in sich von außen eindringen lässt und somit einen Gegenpol zur vermeintlichen westlichen Stabilität bildet. Die Faszination der orientalischen Musikszene, so wie sie in Akins Film präsentiert wird, besteht gerade darin, dass sie sich anscheinend mehr traut, als wir es unserer eigenen Kultur zutrauen würden, die aus Angst vor Zersetzung stets daran bedacht ist, ihre Identität zu bestimmen und zu bewahren. So versucht Alexander Hacke mit seiner Bassgitarre immer wieder bei verschiedenen lokalen Musikprojekten mitzumischen und bleibt dabei doch nur ein distanzierter Beobachter, der keine wirkliche Verschmelzung mit dem Fremden anstrebt. Die schwarze Kleidung und die dunkle Brille, die er während seines Istanbuler Aufenthaltes trägt, sowie seine zurückhaltende Art scheinen eine schützende Hülle um ihn zu bilden, die eine Auflösung in der exotischen Kultur verhindert und ihn gleichzeitig zu einem um so aufmerksameren Zuschauer des bunten Treibens macht.

Trotz des melancholischen Untertons und einer nicht unbedingt gefälliger Farbgebung und Bildgestaltung hat „Crossing the Bridge“ das Potenzial zu einem Ferienkinohit und wirkt wie ein Kurzurlaub in der Türkei. Der begleitende Soundtrack, der alles von Grunge bis zur orientalischen Salonmusik bieten darf, wird auch sicherlich die musikalische Mode beeinflussen und einige schwüle (oder auch kühle) Sommerabende versüßen können.

Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul
(Dokumentarfilm – Deutschland 2005)
Regie: Fatih Akin; Buch: Fatih Akin; Kamera: Hervé Dieu; Musik und Tonbearbeitung: Alexander Hacke
Mit: Alexander Hacke, „Baba Zula“, „Orient Expressions“, „Duman“, „Replikas“ u.a.
Länge: 92 Minuten
Verleih: Pictorion (Filmwelt)

Ekaterina Vassilieva-Ostrovskaja

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.