Die konservative Destruktion oder Der entwendete Finger

House of Wax, USA 2005, Jaume Collet-Serra

Es ist schon erstaunlich, wie schwer es zuweilen fällt, einem „guten“ Film eine bestimmte Thematik zu unterstellen und wie es im Gegenzug oft dazu kommt, die mangelnde Qualität eines „miesen“ Films dadurch zu kompensieren, dass man diesem alle möglichen Metatexte unterschiebt, obwohl es den Leser normalerweise dazu drängen würde, die guten alten Werkzeuge der Kritischen Theorie hervor zu kramen und die Schemata frei zu kratzen, die oftmals das Kanonenfutter für ein vernichtendes Urteil liefern. Solche Filme polarisieren Zuschauer wie Kritiker gleichermaßen; letzteres Beruf ist es ja eigentlich, derartigen Problemen kühn ins Auge zu spucken.

Ein Kandidat dieser Provenienz ist „House of Wax“ mit dem Jaume Collet-Serra sein Debüt als Spielfilmregisseur gibt. Auf der einen Seite liefert der Film allen Grund zum vorzeitigen Verlassen des Kinos, auf der anderen Seite reizt er zu weiterführenden Interpretationen, die aber – und soweit sollte sich der Kritisierende darüber im Klaren sein – in aller Regel nachträglich in den Film gelangen. Aber eben diese Nachträglichkeit macht auch einen schlechten Film letztendlich interessant.

Carly (Elisha Cuthbert), Paige (Paris Hilton) und ihre Freunde sind mit dem Auto zu einem der wichtigsten Football-Spiele des Jahres unterwegs, als sie genötigt werden, eine Nacht im Freien zu Zelten, um am darauf folgenden Tag die Reise fortzusetzen. Als am nächsten Morgen eines der beiden Autos einen Motorschaden hat, fahren Carly und ihr Freund Wade (Jared Padalecki) mit einem kuriosen Hinterwäldler in das nahe gelegene Städtchen Ambrose, wo sie nicht nur Bo, den schmierigen Besitzer der örtlichen Tankstelle treffen, sondern auch das verlassene Wachsfigurenkabinett von Trudy Sinclaire, das nicht nur sehr realistisch anmutende Figuren ausstellt, sondern zudem selbst auch vollkommen aus dem konservierenden Stoff gebaut ist. Als Wade auf mysteriöse Weise verschwindet, ahnt Carly, dass mit diesem Ort etwas nicht stimmt und veranlasst ihre Freunde so schnell wie möglich nach Ambrose zu kommen. Zu spät, wie sich herausstellt, denn die „Bewohner“ von Ambrose machen bereits Jagd auf sie und ihre Mitreisenden, die ahnungslos in ihr Verderben spazieren.

Auf den ersten und zweiten Blick wird schnell klar, was für ein Machwerk man mit „House of Wax“ vor sich hat: Ein Horror Marke Kochrezept und die Köche waren offensichtlich keine geringeren als die Produzenten selbst. Der Film reiht sich nahtlos unter die Rubrik Teen-Horror ein, spielt dabei auf allerlei Filmgeschichtliches an und inszeniert im Symbol des Wachshauses einen Raum des Konservativen, als Ort des Schreckens. Nichts, aber auch gar nichts an diesem Film scheint in irgendeiner Weise verbergen zu wollen, dass es sich bei den anti-charakteristischen Schauspielern, die niemand anderen als sich selbst zu spielen scheinen, den kalkuliert effektvollen Lokationen, oder den hunderttausendfach durchgekauten Sujets vom wahnsinnigen Serienmörder, der den Analen des kreativen Tötens gewaltsam noch eine Todesart hinzufügen hat, dass es sich dabei um nichts anderes handelt als die „Wiederkehr des Immergleichen“: Ein paar Teenager gehen auf einen Trip irgendwohin landen schließlich an einem Ort zu dem sie eigentlich gar nicht wollten und der sich – wer hätte es gedacht – als Ort des Grauens herausstellt. Schließlich fällt die gesamte Gruppe bis auf zwei Überlebende dem lokalen Horror zum Opfer. Dabei wird auch mit massenkompatiblen Anspielungen nicht gespart.

Der Film verweist beispielsweise immer wieder durch plump eingefügte Handycam-Sequenzen auf den seit geraumer Zeit im Internet und seit 2004 auf DVD erhältlichen Paris-Hilton-Hotelzimmer-Fickfilm „One night in Paris“ (denn zu einem Porno – und soweit werden mir die Fachleute dieses Bereiches recht geben – gehört ein wenig mehr als ein schlecht gefilmter Geschlechtsakt). Es scheint fast so, als würde aus dem Medien-Mythos heraus die Schaulust an der Figur Paris Hilton erneut aufgekocht, wie das Wachs im Schmelztiegel des Verrückten Killers. Ganz offensichtlich versprechen sich die Macher davon einen neuerlichen Run auf besagten Streifen und damit auch auf den Zweit- und Drittmarkt der Film- und Merchandisingindustrie; es würde auch keinen verwundern, wenn zwischen Paris Hilton Club, Plattenfirma, Parfüm und Klamotten, die nun Zwangsläufig stark ins Gespräch kommen werden, bald noch die neue Paris Hilton Sex-Collection auf den Markt kommt – Who knows?

Selbst da, wo der Film eine vermeintlich kinematografische Selbstreflexion im Bild des Wachshauses bietet, wirk dies so dermaßen eingesponnen und glatt, dass sich jeder kritische Impetus von Seiten des Films als reines Stimmungskalkül enttarnen lässt; denn genau dieser selbstreflexive Effekt wird zur massenwirksamen „Besonderheit“ stilisiert und liefert nicht ein Urteil über den konservativen Charakter von Film und Medien, sondern ein Gimmick, das sich zu Geld machen lässt.

Kurz gesagt: Der Film, so will ich ihn an dieser Stelle einmal nennen, leistet allerhand Absurditäten Vorschub und legt dabei, ohne mit der Wimper zu zucken, das bloße Marktkalkül der seichten Massenunterhaltung an den Tag. Irgendwo zwischen Musik, Lifestyle, Sex und Horror soll sich angeblich noch eine Geschichte über die Abgründe der Kindeserziehung und – wen wundert’s – Beziehungskrisen einschreiben. Denn die Faustregel bei derlei Filmen lautet ganz offensichtlich: Nimm eine Handlung, die jeder leicht nachvollziehen kann, setzte ein „besonderes“ Objekt in Szene und packe für die sanfteren Gemüter eine abgeschmackt romantische Schmonzette oben drauf, dann klappt’s auch mit dem „Kulturkonsumenten“.

Einziges Verdienst sind einige recht gelungene Gore-Elemente, die aber nicht über die zweifelhafte Grundeinstellung hinwegtrösten können. Jedoch scheint man sich um diesen in Hollywood keine großen Sorgen mehr zu machen; warum sonst wird der Zuschauer im Kino immer wieder mit den Attributen von durch und durch unglaubwürdigen Lebensmodellen á la Hilton konfrontiert (die ganz nebenbei erwähnt – und hierfür plädiere ich mit allem Nachdruck – nicht als Schauspielerin bezeichnet werden sollte). Zwar werden auf der Leinwand die besagten Protagonisten einer nach dem anderen abgeschlachtet (und darin liegt tatsächlich der einzige Schauwert, besonders in der Szene, in der dem langweiligen Wayne das Gesicht weggerissen wird), aber eben diese Destruktion des vermeintlichen Modellmenschen läuft auf ganz konventionelle Weise ab, da der Film es nicht schafft, auch nur für eine Szene das altbewährte Schema F abzustreifen: Was man also als Originelles Wachs-Horror-Movie vermarktet, ist eine konservative Destruktion irgendwelcher mittelmäßiger Darsteller.

Doch wie Eingangs erwähnt, wäre es ein leichtes den Film mit einer einfachen Polemik bei Seite zu schieben, der Blick ist zu Global um die interessanten Details in den Fokus zu nehmen und oftmals verlangen Filme dieses Schlages eine eingehendere Analyse ihrer Wirkmechanismen. Eine Szene sticht in diesem Kontext besonders ins Auge: Als Carly ihren Bruder Nick (Chad Michael Murray) auf ihr Verließ, in das sie von Bo gesperrt worden ist, aufmerksam machen will, steckt sie einen Finger durch eine Öffnung im Fußboden, woraufhin Bo diesen kurzerhand mit einem Saitenschneider abzwickt und in seiner Tasche verschwinden lässt.

Dieses Bild der Körperzerstückelung erinnert an die Lacansche Spiegelphase: Bevor das Kleinkind zum ersten Mal in einen Spiegel (oder ein Äquivalent) blickt hat es noch kein ganzheitliches Bewusstsein von seinem Körper. Erst im Spiegel erfährt es sich als Ganzes und kann daraufhin all jene Ich-Funktionen ausbilden die, in der Tradition Freuds stehend, vielerorts heftig diskutiert wurden. Lacan erläutert in „Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion“ zwei Konzepte eines Körperbildes: zum einen das eines zerstückelten Körpers, der vor der Spiegelphase verortet wird und der an unsere Urerfahrung als Säugling rührt, zum anderen das eines ganzheitlichen Körpers, der in der Spiegelphase ins Bewusstsein tritt und als Ausdruck einer überragenden Idealität des Ichs dient, dem auch alle Attribute der Allmacht (die kurz darauf aber wieder enttäuscht werden) zugebilligt werden. Vereinfacht dargestellt, erinnern uns demnach Träume (und freilich auch alle künstlerischen Äußerungen), in denen einzelne Körperteile und -funktionen in den Vordergrund treten, an die Phase des zerstückelten Körpers; und Träume, die eine, wie auch immer geartete Einheit darstellen, erinnern uns an das imaginäre Bild vom idealen Körper.

Die Folgen dieses Widerspiels ließen sich natürlich noch weiter ausformulieren, doch ist für unser Vorhaben die Grundopposition von Fraktal und Ideal wichtig, die nach Lacan in einer dritten Instanz des Symbolischen – nämlich der Schrift – zusammenfallen. Aus dieser Konstellation lassen sich zwei Denkmodelle ableiten, die sich im realen Leben als das Konservative (das oft auch auf die Inhaber von Machtpositionen übertragen wird) und das Destruktive einschreiben; und damit wären wir nun nach einer theoretischen Umleitung endlich wieder beim „Wachshaus“ angelangt, das als Paradigma für das Konservative gelten darf, wohingegen die Bilder der Zerstückelung sich als Darstellungen des Destruktive bezeichnen lassen.

Der entwendete Finger ist nun bei dieser Überlegung insofern interessant, als er sich in der Tasche des Killers befindet, der am Ende theatralisch in einem See aus Wach versinkt. Damit liefert der Film, der nun selbst ein Produkt dieser Spiegelphase ist, die Verbindung der beiden diametralen Positionen: das Konservative trägt die Kräfte des Destruktiven als Abwesendes immer bei sich. Diesen Sachverhalt bestätigt beispielsweise der Umgang von Frau Hilton mit dem „nicht-autorisierten Privatvideo“: Jemand wollte ihr seinerzeit damit eins Auswischen, d.h. er wollte ihre Idealität verletzen und man könnte sagen, dass im prüden Amerika das Image der Hotel-Erbin ziemlich gelitten haben dürfte. Hier wird das destruktive Potential deutlich, dass in jeglicher Form des Konservierens verborgen liegt.

Auf der anderen Seite sind eben diese Konservativen Kräfte nötig um den destruktiven Energien eine Struktur zu liefern. Auch diese Position demonstriert Paris Hilton eindringlich, indem sie das besagten Sex-Tape mit Hilfe eben dieser „Bewahrenden Strukturen“ im Anschluss gewinnbringend vermarkten konnte. Damit wird dem langläufige Bild vom Konservativen als Struktur- oder Wertbewahrendem eine Ökonomie des Destruktiven beigemessen: Das Konservative ist das Destruktive.

Abschließend ist es wohl nicht nötig dem noch eine Wertung hinzu zufügen. Wer sich für den „Text hinter dem Text“ interessiert, für den ist es sowieso nicht von Belang mit welchen Plattitüden im Film hantiert wird. Wer sich nun aber ins Kino begibt um sich schlicht und ergreifend zu gruseln, der sollte es sich zweimal überlegen, ob er diesen Leuten sein Geld zutragen möchte, oder sich nicht doch lieber das 1953er Original aus der Videothek ausleiht und seinen Örtlichen „Filmdealer“ unterstützt, denn eines sollte bei allen Überlegungen klar sein der Zuschauer sollte die Politik im Kino machen und nicht die Produzenten.

House of Wax
(USA 2005)
Regie: Jaume Collet-Serra
Drehbuch: Chad Hayes & Carey W. Hayes
Darsteller: Elisha Cutherbert; Chad Michael Murray; Brian Van Holt; Paris Hilton; Jared Padalecki; Jon Abrahams; Robert Ri’chards
Verleih: Warner Bros.
Länge: 113min.

Florian Reinacher

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