Der Fall des Sergeanten Shaw

The Manchurian Candidate, die Verfilmung eines Romans von Richard Condon, gehört zu den interessantesten Skeletten im Schrank der amerikanischen Filmgeschichte. 1962 in die Kinos gebracht und 1963 nach der Ermordung Kennedys mit einem Bann belegt, der bis 1988 in Kraft blieb, ist dieser Film Politthriller und Politsatire zu gleichen Teilen; eine Studie in Paranoia, ein Freud’scher Familienroman reinsten Wassers und nicht zuletzt zentraler Bestandteil jener Mythologie, die sich um den Begriff der Gehirnwäsche gebildet hat.

Als der Krieg zu Ende war

Als der Krieg zu Ende war, kehrte Sergeant Raymond Shaw (Laurence Harvey) mit dem Flugzeug zurück aus Korea, um seine Ehrenmedaille in Empfang zu nehmen und von der Menge gefeiert zu werden. Er ließ das über sich ergehen, ebenso wie die Aufnahmen zu den Fotos, auf denen seine Mutter und sein Stiefvater, der Senator, mit ihm posierten. Danach suchte er sich einen Job als Assistent eines bekannten Journalisten und erklärte, gegen den Willen seiner Mutter, in New York bleiben zu wollen. Zu seinen ehemaligen Kameraden unterhielt er keinen Kontakt, aber als nach einigen Monaten ein chinesischer Dolmetscher vor seiner Tür stand, der behauptete, ihn aus dem Krieg zu kennen, stellte er ihn als Diener ein.

Als der Krieg zu Ende war, schien man bei der Army für Major Bennet Marco (Frank Sinatra) keine rechte Verwendung mehr zu haben. Er schlief schlecht, er hatte fürchterliche Träume und er hörte nicht auf, sich mit der Frage zu quälen, was damals, als seine Patrouille in einen Hinterhalt geriet und erst nach drei Tagen zurückkehrte, wirklich geschehen war. Nervlich zerrüttet und unfähig, seine militärischen Aufgaben wahrzunehmen, wurde er zunächst in die Presseabteilung versetzt. Als sein Verhalten unberechenbar zu werden begann, suspendierte man ihn vom Dienst und empfahl ihm, sich um die Wiederherstellung seiner psychischen Gesundheit zu kümmern.

Auch Corporal Alvin Melvin (James Edwards) träumte schlecht; interessanterweise fast dasselbe wie Major Marco, nur dass einige der Gestalten in seinem Traum schwarz waren, während Marco von weißen träumte, seiner eigenen Hautfarbe entsprechend. Da die Träume nicht aufhörten und er sehr unter ihnen zu leiden hatte, schrieb der Corporal schließlich einen Brief an Sergeant Raymond, der sie damals alle gerettet hatte und von dem er sagte, er sei der netteste, tapferste, zuverlässigste Mensch, den er je kennen gelernt habe. Dasselbe sagte auf Nachfrage auch der Major, in exakt denselben Worten und mit exakt demselben Nachdruck; dabei sah es vor jener Patrouille so aus, als könnte niemand, wirklich niemand, den Sergeant leiden.

Der gute Kamerad

Wie einen Fall von Gehirnwäsche erkennen? In John Frankenheimers Manchurian Candidate (USA 1962) erkennt man ihn zunächst daran, dass auf einmal alle den Sergeant so gern haben. Sergeant Raymond Shaw, gleich in der ersten Szene als Spielverderber, Rechthaber, allgemeines Hassobjekt präsentiert, ist nach dem Krieg auf einmal jedermanns liebster Kamerad, seinen ehemaligen Vorgesetzten Marco eingeschlossen und auch den schwarzen Corporal, der früher so böse Worte für Shaw gefunden hatte.

Jetzt hingegen finden sie nichts als gute, alle beide und beide genau dieselben, so wie vermutlich alle, die von jener seltsamen Patrouille im Feindgebiet zurückgekehrt sind, dieselben Worte finden würden, dieselben Formulierungen und Formeln wie die, die dem Major und dem Corporal so auffallend gleichlautend über die Lippen kommen. Lange vor der Zusammenführung von Trauminhalten und Verdachtsmomenten, vor der Untersuchung des Falles Shaw durch den Geheimdienst und der sukzessiven Bestätigung einer unausgesprochenen Befürchtung produziert dieser Film Evidenz durch das simple Mittel der Wiederholung, eine zweimal abgerufene Replik, die beide Male absolut identisch ausfällt. Die Rede vom tapfersten, zuverlässigsten Kameraden ist etwas wie die automatische Antwort par excellence, ihre Inszenierung (starre Gesichtszüge, Stakkato der Worte, etc.) ganz darauf angelegt, den Eindruck des Mechanischen zu verstärken.

Verräterisch also das Moment der Wiederholung, der Wiedererkennungseffekt, wie auch sonst viel, wenn nicht alles an Wiederholungen und Übereinstimmungen hängen wird. Wiederkehrende Träume, wiederkehrende Attributionen; später dann die Wiedererkennung von Traumgestalten in real existierenden Fotos, die Wiederholung dieser Wiedererkennung durch einen zweiten Probanden; und natürlich bedarf es auch einer wiederholten Vorführung der Verhaltensmuster des Sergeant Shaw, bis nicht nur evident ist, dass diese von anderer Seite gesteuert werden, sondern auch, nach welchen Gesetzen die Fernsteuerung verläuft. Aus einer Wiederholung entsteht der Verdacht, durch Wiederholungen wird er erhärtet und schließlich bestätigt: Die Pointe der investigativen Arbeit in diesem Film besteht nicht zuletzt darin, in ein Geflecht von repetitiven und scheinbar unaufhaltsamen Abläufen das Moment der Regelmäßigkeit wiederzueinzuführen. (Fatale versus systematische Wiederholung; im Diskurs von The Manchurian Candidate ist dies einer der entscheidenden Schritte auf dem Weg zu Restitution dessen, was als freier Wille firmiert.)

Etwas sehr Seltsames

Bis die Untersuchung einsetzt, dauert es eine Weile; für Major Bennett Marco keine ganz einfache Zeit. Tatsächlich ist er, als man sich endlich entschließt, den Fall Shaw als solchen zu behandeln, beinahe am Ende seiner Kraft: ein erschöpfter Veteran, der wirre Anschuldigungen gegen einen Kameraden ausstößt. Dass er sich seinen Zustand nicht zu erklären weiß, ist ihm Grund genug für einen Verdacht gegen den Sergeant, dass er ihn seinen Vorgesetzten nicht erklären kann, Grund genug für einen Verdacht gegen ihn selbst, weshalb es in den ersten sechzig Minuten auch mehr danach aussieht, als werde der Film von der Tragödie des Majors erzählen und nicht von der seines unglücklichen Untergebenen.

Einsamkeit desjenigen, der zu wissen glaubt (eine Wahrheit, ein Geheimnis – das Genre der Spionagefilme ist voll von solchen Protagonisten). »Ihr alle habt ja keine Ahnung, was in Wirklichkeit vorgeht. Irgendetwas sehr Seltsames. Mit mir, mit Raymond Shaw, vermutlich mit allen, die dabei waren. Etwas stinkt doch. Zum Beispiel, als der Psychiater mich nach meinen persönlichen Gefühlen für Raymond Shaw fragte (…)«. Nach seinen persönlichen Gefühlen befragt, musste der Major erkennen, dass diese widersprüchlich waren, genauer: radikal gespalten, geteilt zwischen einer fast automatischen Reaktion, die in der Rede vom guten Kameraden bestand, und einem Empfinden, das jener ganz und gar entgegengesetzt war. Ein Unbehagen, aber gänzlich diffus; ein Gefühl von Hass, nur eben ein unbegreifliches; ein Wissen, das nach Marcos Angaben von tief innen kommt und eben darum nicht zu verwenden ist, jedenfalls nicht im Kontext von Feindaufklärung und militärischer Ermittlungsarbeit.

Etwas von Paranoia haftet dem tiefen Wissen des Major Marco an, ebenso wie eigentlich jeder Idee von Gehirnwäsche, die ja von den Bedingungen der Verschwörung, Verdeckung, Geheimhaltung auszugehen hat, von der Prämisse, dass man nicht wissen darf, aber dennoch wissen muss und überzeugen sollte, alle überzeugen, die noch keine Ahnung haben und daher gefährdet sind, gefangen in unheilvoller Ignoranz, die sie zu erkennen hindert, was ein anderer längst durchschaut hat. Das Problem der Beweisführung besteht hier nicht zuletzt darin, dass gerade das, was einen Verdacht veranlasst, zugleich jeden Beweis erschwert, wenn nicht hoffnungslos macht. Unerklärliche Veränderungen (des Verhaltens, des Denkens) mögen ein guter Anlass für Verdächtigungen sein; indes ist im Register des Unerklärlichen auf Dauer schlecht operieren.

Tatsächlich ist The Manchurian Candidate, geschrieben vier oder fünf Jahre nach der Demontage McCarthys, verfilmt ein Jahr vor der Ermordung Kennedys, eine zutiefst paranoide Geschichte: die Story eines Attentats, das von Kommunisten geplant und unter dem Deckmantel massiver Kommunistenverfolgung vorbereitet wird. Es ist aber auch eine, die mit der Paranoia ihr Spiel treibt und sie in unterschiedlichen Gestalten und unterschiedlichen Vorzeichen auftreten lässt. Frankenheimers Film kennt die krankhafte ebenso wie die vorgetäuschte Paranoia, die hysterische ebenso wie die künstliche induzierte; er inszeniert Paranoia als Maske, hinter der sich ungleich pathologischere Zustände und Ideen verbergen, als Ablenkungsmanöver und perfide Scharade, um letztlich doch von nichts anderem zu erzählen als davon, dass die wesentlichen Anschuldigungen gerechtfertigt waren, die schlimmsten Befürchtungen nur zu begründet, weshalb seine (sehr amerikanischen) Charaktere am Ende von jedem Vorwurf übertriebenen Misstrauens freigestellt scheinen.

Beweisnöte

Wie die Gehirnwäsche beweisen – eine Transformation, die sich im Geheimen vollzieht, die nicht erinnert und nicht eingestanden wird und keine Spuren in der Physis hinterlässt? Wie sie überprüfen, sich ihrer versichern, wenn eine erste Anforderung an ihre Effekte lautet, dass diese nicht sofort auffällig werden dürfen? Bei Frankenheimer, ebenso wie bei Sidney J. Furie, der ein paar Jahre später The Ipcress File (GB 1965) nach einem Roman von Len Deighton drehte, ist die Operation der Gehirnwäsche bestimmt durch eine Phase der Latenz, konkreter: durch eine Wartezeit zwischen der Durchführung des brainwash und dem Moment, in dem dessen Effekte offen- und aktenkundig werden. Sergeant Shaw, von den Feinden der freien Welt auf absoluten Gehorsam programmiert, wird einmal direkt nach seiner Behandlung getestet; danach lebt er, ein »Schläfer« avant la lettre, wenigstens zwei Jahre in seiner US-amerikanischen Heimat, bevor man sich seiner erneut versichert und ihn auf seinen geplanten Einsatz vorbereitet. Die entführten Wissenschaftler aus The Ipcress File wiederum kehren nach Zahlung des Lösegeldes scheinbar unversehrt zurück, und erst eine Weile später, wenn sie in ihre einstige Funktion wieder eingesetzt werden sollen, stellt sich heraus, dass sie nicht mehr in der Lage sind, diese auszufüllen.

Eine partielle Dysfunktionalität: Sie bestehen die ärztlichen Tests, sie zeigen in den Untersuchungen keine Auffälligkeit und schienen nur zu bestrebt, ihre Arbeit wiederaufzunehmen – wann immer sie jedoch auf ihr früheres Fachwissen zuzugreifen suchen, setzen die Mechanismen der Blockade ein, so vollständig, dass selbst die einfachsten Äußerungen unmöglich werden. Ipcress markiert dies durch einen Cluster von Störgeräuschen, die sich später als Teil jenes akustischen und visuellen Overload-Programms entpuppen, mit dem die Entführten in der Zeit ihrer Gefangenschaft traktiert wurden. Was verwendet wurde, um eine (psychische, memoriale) Verstörung zu induzieren, kehrt wieder, nunmehr, um Verstörung anzuzeigen: letzter Marker einer Behandlung, von der die Betroffenen selbst keine Kenntnis mehr haben.

In dem geheimen Plot von Ipcress, eine Gruppe von Wissensträgern unbrauchbar zu machen, liegt natürlich einer der wesentlichen Unterschiede zu The Manchurian Candidate. Die Sad Scientists bei Deighton und Furie haben aufgehört zu funktionieren, während es bei der Behandlung des Sergeanten Shaw um nichts anderes geht als darum, ihn funktionieren zu lassen und, wie sein dämonischer Programmierer erklärt, ihn in eine »Mord-Maschine« zu verwandeln, die in Betrieb genommen und abgeschaltet werden kann, ganz wie es die aktuelle Situation verlangt. Allem Anschein nach kennt das Verfahren der Gehirnwäsche also ganz verschiedene Ergebnisse: Ausschaltungen ebenso wie Indienstnahmen, Unbrauchbarkeit ebenso wie absolute Verfügbarkeit, und wenn man in den Filmen, die sich um seine mise-en-scène bemüht haben, nach Affinitäten sucht, sind diese eher auf der strukturalen Ebene zu finden. Die Verzögerung, mit der die Effekte des brainwash zutage treten, gehört dazu, desgleichen die Idee, dass sich die Operation auch und vor allem darin als gelungen erweist, nicht erinnert zu werden, sondern bestenfalls, wie im Beispiel der Störgeräusche, durch ein residuales Moment markiert zu sein.

Ein Traum wie keiner

Auch bei Frankenheimer erinnert sich keiner der Probanden. Aber alle träumen. Major Marco träumt, Corporal Melvin träumt, am Ende träumt sogar Sergeant Shaw, dessen Schlaf zuvor ungestört schien und nun auf ein böses Erwachen zusteuert. Es sind die Träume, die Aufschluss darüber geben, was geschehen ist – nicht während der drei Tage, die auf die Behandlung der entführten Patrouille verwendet wurden, aber doch unmittelbar danach, als Raymond Shaw vor einem Auditorium getestet wurde und die anderen mit ansahen, wie er den Soldaten Ed Navoli erwürgte und den kleinen Bobby Lembeck erschoss. In wachem Zustand ist dies keinem der Soldaten gegenwärtig (sie erzählen dann etwas von Nahkampf und einem Gefecht, dem zwei der ihren zum Opfer fielen), und auch wenn sie davon träumen, wird die infame Testszene durch eine andere verdeckt, die immer erst ein Stück weit ablaufen muss, bis sie den Blick auf die Begebenheiten von damals freigibt.

Verdeckung, Ersetzung, von Verschlüsselung indes keine Spur. Dass dieses Moment in The Manchurian Candidate keine Rolle spielt, ist auffallend; immerhin befindet man sich im Milieu der Geheim- und Nachrichtendienste und mit der Figur des ödipal geschädigten Sergeant Shaw von Anfang bis Ende auch in den Registern der Psychoanalyse. Nichts wird chiffriert, nichts dechiffriert in diesem Film, der seine Schlüsselszenen immer im Modus 1:1 zeigt; manches wird verdeckt, aber kein Inhalt anders als manifest präsentiert, so dass die Arbeit der Ermittler weniger darin besteht, Gesten, Zeichen und Symptome zu interpretieren als vielmehr das, was (träumend, wachend) schon einmal beobachtet worden ist, wiederzuerkennen und zwischen Traum und Wirklichkeit eine Beziehung strikter Analogizität herzustellen.

Gestalten aus der Vergangenheit: Erst erscheinen sie im Traum als Zeugen und Drahtzieher der Tests an Sergeant Shaw, später findet man ihre Gesichter in der Welt der Wachzustände wieder. Umgekehrt wird Major Marco sich die Bilder seines Traums in Erinnerung rufen müssen, um Klarheit darüber zu gewinnen, welche Beziehung zwischen einer ersten Verrichtung des Sergeanten Shaw (Patience legen) und einer zweiten (Befehle ausführen, Personen liquidieren) besteht, zwischen einer programmierten Handlung und einer Reihe von Taten, deren Motivation sich zunächst kein Beobachter oder Zuschauer zu erklären vermag. Vom Traum in die Wirklichkeit, von der Wirklichkeit in den Traum verlaufen hier die Transferleistungen, werden Beobachtungen kombiniert und Schlussfolgerungen verifiziert, ganz als sei die eine Sphäre bruchlos in die andere abzubilden, die Szenen des einen und des anderen Registers ohne Umstände zu verknüpfen. Was geträumt wird, ergänzt die Informationen zur Erkenntnis einer realen Verschwörung; was über die Verschwörung in Erfahrung gebracht wird, findet sein Spiegelbild in den Geschehnissen eines Traums, der, wie Greil Marcus richtig bemerkte, in der Geschichte des Genres kaum seinesgleichen hat.

In allen Einzelheiten

Sie hätten also ihre Erinnerung wiedergefunden, in keinem anderen Sinne als dem, dass eine Verkennung aufgehoben und ein Szenario aus dem falschen Register in das richtige überführt wird. Sie hätten erkannt, dass der Traum kein Traum ist, sondern zusammengesetzt aus einer Reihe von Erinnerungsbildern (das Podium, das Auditorium, die Vorführung, der Test, die Ermordung der Soldaten Navoli und Lembeck) und einer konfektionierten Szene, die davor oder darüber installiert wurde, planvoll, aber nicht sorgfältig genug befestigt, da sie Mal für Mal den Blick auf die Ereignisse von damals freigibt.

Weiter indes reichen die Erkenntnisse nicht, und mehr als die Testszene wird in diesem Film auch nicht vorgeführt werden, weder wie die Soldaten in den Zustand gebracht wurden, in dem sie sich auf dem Podium wiederfanden, noch wie man sie im Einzelnen traktierte, was ihnen verabreicht und was ihnen entzogen wurde, in jenen Tagen, die zwischen Gefangennahme und Freilassung vergingen. Major Marco sagt nichts dazu, die Armeepsychiater auch nicht, fast als handelte es sich bei den Details der Gehirnwäsche um lauter quantités négligables, an denen auf Seiten der Ermittler kein Interesse besteht. (»Das ist jetzt nicht wichtig«, sagt Marco zu Shaw, als der auf einmal anfängt, die Behandlung in den Labors des Lagers von Tun Ba in allen Einzelheiten zu rekapitulieren. )

Andere Filme handhaben das anders. The Ipcress File etwa verwendet zehn oder fünfzehn Minuten darauf, die Prozeduren, die den Wissenschaftlern den Zugriff auf Kenntnisse und Erinnerungen geraubt haben, am Beispiel des auf den Fall angesetzten Agenten Palmer (Michael Caine) zu demonstrieren. Schlafentzug, Nahrungsentzug, Medikation, Experimente in Suggestion, dazu periodisch wiederkehrende Reizüberflutung: Gehirnwäsche, wie sie in Ipcress praktiziert wird, ist ein Komposit von mindestens vier oder fünf der Verfahren, die sich in einer häufig zitierten Liste von Methoden der klassischen Gehirnwäsche aufgeführt finden , mit einer gewissen Präferenz für proto-cineastische Eindrücke, denn tatsächlich verfügen die Agenten der Gegenseite über ihre eigene Bild- und Tonmaschine, die immer erst dann zum Einsatz kommt, wenn die Gefangenen durch weniger anspruchsvolle Behandlungsmethoden für ihre Wirkung präpariert worden sind. Proto-cineastisch auch die Methoden in Stanley Kubricks A Clockwork Orange (GB 1971), wo die Konditionierung des Protagonisten Alex über die Verknüpfung von Filmszenen und medikamentös induzierten somatischen Reaktionen verläuft.

The Manchurian Candidate hingegen verzichtet auf die detaillierte Vorführung oder Rekonstruktion des Konditionierungsprogramms und richtet den Fokus auf eine einzelne Verrichtung (Patience legen; jenes berühmte game of solitaire, das seit Erscheinen des Films sprichwörtlich geworden ist) und ein einzelnes Bild, das im Verlauf von gut einhundertvierzig Minuten ein ums andere Mal zum Einsatz kommen wird, um die Aufmerksamkeit des Sergeanten Shaw ganz und gar zu absorbieren. Dieses eine Bild, eine Spielkarte, die Shaw aus den gezinkten Kartendecks in seiner Umgebung zutage fördert, fungiert als Platzhalter einer ganzen Operation, die der Film nicht erzählt, oder wenn, dann nur in Teilen, was die Faszination des Platzhalters nur erhöht, der mit der ganzen Kraft eines bösen Zaubers ausgestattet scheint.

Ein freier Mann

Wie die Gehirnwäsche rückgängig machen? Wie den Zauber durchbrechen, den Bann lösen und eine Konditionierung aufheben, die im Fall des unglücklichen Sergeanten eine allzu lange Vorgeschichte hat? Raymond Shaw, einziges Kind, Muttersöhnchen, ein Mann ohne Willen oder erkennbaren Ehrgeiz, ist nicht das, was man als gefestigte Persönlichkeit bezeichnet und noch viel weniger mit einer besonderen Widerständigkeit ausgestattet. Für die Gehirnwäsche, das suggeriert der Film, ist er prädestiniert, weil immer schon ferngesteuert, in keinem Moment eigenständig, gewohnt, Entscheidungen an seine Mutter abzugeben, und damit einem Einfluss unterstellt, der von Condon / Frankenheimer als durch und durch verderblich vorgestellt wird. (Man könnte sagen, dass The Manchurian Candidate daran arbeitet, ein psychisches und ein politisches Regime zu verklammern und jedes von beiden durch die Verbindung mit dem jeweils anderen zu diskreditieren. Die Mutter, die Raymond Shaw zum Befehlsempfänger erzieht, wird seine Instrumentalisierung durch die Feinde der freien Welt vorbereiten, mehr noch: sie wird am Ende als deren Agentin entlarvt werden, die die geheimen Einsätze des Sergeanten steuert. Das mütterliche Regime erscheint hier als erste und entscheidende Form unheilvoller Herrschaft, der Kommunismus als monströse und alles verschlingende Mutter.)

Ein schwieriger Fall also, vielleicht sogar ein hoffnungsloser. Der ambitionierte Major Marco scheitert beinahe daran, und zum Guten lässt er sich bei aller Anstrengung nicht mehr wenden. Zu lang die Geschichte der fatalen Einflussnahmen, zu schrecklich die Verbrechen, die der Sergeant unter dem Einfluss feindlicher Mächte begangen hat. Dieser Protagonist muss sterben, doch wird man ihm immerhin etwas wie Erlösung zugestehen. Die Erlösung (eine simple, zugleich aber sehr effektvolle Pointe) wird darin bestehen, dass Shaw, zum ersten Mal in seinem Leben und zum Entsetzen aller, die um die Herrschaft über seine Person streiten, nicht tut, was man ihm gesagt hat, und weder den Befehl der kommunistischen Verschwörer noch den der amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter ausführt. Die Waffe, mit der er den Präsidentschaftskandidaten töten sollte, richtet er gegen sich selbst: ein Märtyrer des freien Willens, dem sein alter und neuer Vorgesetzter Marco in einer letzten Rede das Recht zuspricht, jenen Orden zu tragen, der ihm zu Beginn des Films unter falschen Voraussetzungen verliehen wurde.

Stefanie Diekmann

Dr. Stefanie Diekmann ist Wissenschaftliche Assistentin an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und Koordinatorin des Graduiertenkollegs »Repräsentation-Rhetorik-Wissen«. Arbeitsschwerpunkte: Theorie des Theaters; Theater und Film; Theorie und Geschichte der Fotografie. Nächste Veröffentlichung: Mythologien der Fotografie. Abriss zur Diskursgeschichte eines Mediums (München 2003).

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