Cast Away

Tom Hanks verkörpert in dem Charakter Chuck Nolands einen Mann, dessen Leben minutiös durchorganisiert ist, er verschenkt keinen einzigen Moment, sein einmal gesteckter Zeitplan ist auf die Sekunde unerbittlich straff gehalten. Seine Arbeit als Manager bei dem Kurier-/Versand-Express- Unternehmen „FedEx“ fordert von ihm wie allen ihm unterstellten Mitarbeitern die effektivste Nutzung des kostbarsten Guts, das der Mensch besitzt: Zeit.

Um den Dienst am Kunden zu optimieren, kommt es in seiner Branche wahrlich auf jede Sekunde an, Frachtgut, das seinen Bestimmungsort zu spät erreicht, ist die somit die schlimmstdenkbare Katastrophe. Daher werden alle FedEx-Mitarbeiter schärfstens auf Schnelligkeit gedrillt, Zeitverschwendung kommt einer Todsünde gleich und bedeutete ja tatsächlich das Aus für ein solches Unternehmen. Solchen in der Tat „dringenden“ Firmeninteressen, müssen private Bedürfnisse naturgemäß hintan gestellt werden. Pathetisch formuliert Chuck Noland (Tom Hanks) seinen Grundsatz, der seiner Crew in Fleisch und Blut übergehen soll: Allein die Zeit entscheide über das Leben des einzelnen, über sein Schicksal. Bald darauf muss Noland den prophetischen Charakter seiner Botschaft schmerzlich erkennen und am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, seiner Zeit und seines Bestimmungsortes beraubt zu werden.

So hektisch der Film beginnt, Zeitrausch die anfänglichen Bilder hetzt, so still verharrt er in seinem Zentrum. Noland, der das Familienfest schlechthin, Weihnachten, nicht mit der ihm liebsten Person gemeinsam verbringen kann, da er als Workaholic sich um dringliche Firmenangelegenheiten persönlich kümmern möchte, verlässt seine geliebte Kelly (Helen Hunt) mit den Worten „Ich bin gleich zurück“. Durch eine Flugzeugkatastrophe strandet Noland als einziger Überlebender auf einer unbewohnten Insel mitten im Pazifischen Ozean. Die folgenden vier langen Jahre, lassen ihn erkennen, dass er in seinem bisherigen Leben die falschen Prioritäten gesetzt hat. Die verrinnende Zeit gerät nun auch zum Herrscher über sein privates Schicksal. Durchbrochen wird die Stille und die den Bildern entspringende Einsamkeit des vom Ozean von allen Seiten eingeschlossenen nur durch die (Schein)Dialoge Nolands mit seinem Leidensgenossen Wilson, einem durch Nolands Imaginationskraft beseelten Volleyball, dessen Antlitz Noland aus seinem Blut zeichnete. So erfährt auch der Zuschauer, was Noland bewegt, welche Ängste und Sehnsüchte in ihm widerstreiten.

Nolands lange währendem Ausstieg aus der von Zeitknappheit und Hektik beherrschten Zivilisation, folgt im letzten Abschnitt der Wiedereintritt in diese einstige Normalität. Doch die Zeit ist nicht stehen geblieben, mag es Noland selbst auch so vorgekommen sein. Die Selbstverständlichkeiten, der Komfort des Alltags scheinen schamlos verfügbar. Nichts ist für Noland noch so wie er es einmal sah. Der Film macht eindrücklich deutlich, wie schnell der Mensch an seine physischen und psychischen Grenzen getrieben werden kann. Dass er immer nur Herr sein kann über sein geistiges Selbst, nicht aber über Fremdes, das seinerseits in Abhängigkeiten gefangen ist.

Noland überlebt in zweifacher Hinsicht: Neben seiner physischen Fortexistenz begreift er etwas, dass sich mit Epiktets Morallehre treffend formulieren lässt: „Wir gebieten über unser Begreifen, unsern Antrieb zum Handeln, unser Begehren und Meiden, und, mit einem Wort, über alles, was von uns ausgeht; nicht gebieten wir über unseren Körper, unsern Besitz, unser Ansehen, unsere Machtstellung, und, mit einem Wort, über alles, was nicht von uns ausgeht.“ Ihm wird klar, dass er auf Manches vollkommen verzichten muss, weil er darüber eben niemals gebieten kann. Frei ist sein Begreifen und sein Wille, der ihn Weiteratmen lässt. Seine Neugier auf das, was noch kommen mag, ermöglicht es ihm, verändert, bewusster weiterzuleben. Leiten lässt er sich nun von seinem freien Willen, die Richtung steht noch nicht fest. Diesmal aber stimmen die Grundvoraussetzungen: Er hat das Zeitkarussell verlassen und ist „zurück“, zurück zu seinem wahren Ich. Dementsprechend legt Robert Zemeckis den Schwerpunkt des Films auf die Rückkehr des Helden, nimmt dabei jedoch unversehens Kurs auf hollywoodwirksames Gefühlskino und verschenkt grazilere melodramatische Präsentationsmöglichkeiten.

Tom Hanks imposantes Spiel in diesem Ein-Mann-Epos fordert vom Zuschauer geradezu Empathie, die Identifikation gelingt jedoch nicht immer. Zu wortkarg, zu introvertiert präsentiert sich der Charakter, zu marginal können wir Anteil nehmen an seinem dramatischen Überlebenskampf. Wie die Musik Alan Silvestris sukzessive nahezu verstummt, entfernen wir uns von unserem Überlebenskünstler, geraten immer mehr in die Rolle des Beobachters. Und doch bangen wir auch mit ihm, teilen seine unstillbare Sehnsucht auf ein Wiedersehen mit seiner geliebten Kelly, hoffen vielleicht sogar auf einen Schluss wie ihn nur das Märchen kennt?!

Verschollen
(Cast Away)
USA 2000, Länge: 150 Min.
Regie: Robert Zemeckis
Kamera: Don Burgess
Musik: Alan Silvestri
Darst.: Tom Hanks, Helen Hunt,
Christopher Noth, Nick Searcy

Miriam-Maleika Höltgen

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