Hannibal

Zehn Jahre sind vergangen, seit Clarice Starling (nun gespielt von Jodie Foster-Nachfolgerin Julianne Moore) ihren kometenhaften Ein- und Aufstieg beim FBI hat feiern können. Ihre Karriere, die dereinst so unaufhaltsam erfolgreich und vielversprechend begann, befindet sich nun in einer schweren Krise. Konnte sie einst als Neuling auf FBI-Gebiet den psychopathischen Serienmörder „Buffalo Bill“ als Ein-Mann- Kommando überführen, stagniert ihr öffentliches Ansehen gegenwärtig in der ihr angebotenen rekordverdächtigen Auszeichnung, die Frau zu sein, die bis dato die meisten Menschen getötet hat. Clarice wird – ungerechtfertigterweise – für eine Operation zur Verantwortung gezogen, deren Fäden ihr während des Einsatzes von ihrem missgünstigen, chauvinistischen Kollegen Paul Krendler aus der Hand genommen waren. Vom Dienst suspendiert hat sie mehr Zeit, als ihr lieb ist, um über ihre missliche Lage und die unglücklichen Vorfälle ihrer Diensteinsätze nachzudenken. In dieser Situation tritt Dr. Hannibal Lecter erneut in ihr Leben, der Mann, der zehn Jahre zuvor wesentlichen Anteil an ihrer beruflichen Glanzleistung hatte. Suggestiv stellt Dr. Lecter die Frage in den Raum, ob es für ihn an der Zeit sei, Clarice ein weiteres Mal Garant für ihre berufliche Qualifikation zu bedeuten. Hannibal seinerseits steigt in den Reihen des FBI auf in die Riege der zehn meistgesuchtesten Personen.


Steht dem Zuschauer mit diesem dritten filmischen Versatzstück also ein weiteres „Quid pro quo“ bevor? Wird ihn erneut die faszinierende Außergewöhnlichkeit dieser so ungleichen Beziehung zweier komplementärster Charaktere in ihren Bann ziehen?

Mitnichten. Die Besonderheit der Beziehung zwischen Special Agent Clarice Starling und Dr. med. Hannibal Lecter wird formelhaft beschworen, geradezu „herbeigeredet“ und lebt nicht von neuen Elementen in diesem Film – wenn man einen Moment von der Tatsache absieht, dass Lecter sich eher handlungsunlogisch als überraschend die eigene Hand abhakt und Starling (für dieses Mal?!) verschont. Keinem der zahlreichen narrativen Handlungsstränge, die teils unmotiviert wirken oder aber im Sande verlaufen, gelingt es, dramaturgisch einen Spannungsbogen zu erzeugen, dessen Existenz für den (tatsächlich mit Spannung erwarteten) Film Ridley Scotts jedoch existenziell gewesen wäre. Der Umgang mit der Figur des Hannibal, dessen Immanenz programmatisch Gewicht erhält bereits durch den Filmtitel, die Konzentration auf ihn und sein Wesen wirkt beinahe sensationslüstern. Allzu ausgereizt wird der doch so offensichtliche Antagonismus, dessen beiden Pole wohl gegensätzlicher nicht sein könnten: Stehen sich in der Figur des Hannibal doch der zur Perfektion gereichte Kulturmensch, ein Kunsthistoriker (!) und der diabolisch verzerrte Instinkt des unzivilisierten Wilden, primitiven Kannibalen gegenüber. Die Mythisierung und auch Romantisierung, die Verklärung seines psychopathisch- bestialischen Charakters in die eines formvollendeten Don Juan, die Gegenüberstellung seiner Gentleman- Manieren und seiner niedersten Triebe, können schwerlich über große Schwächen des Films hinwegtäuschen. (Obwohl es schon belustigt, wird man gewahr, dass seine besondere Aura auf Frauen aber auch auf Wachhunde und Wildschweine gleichermaßen wirkt …)

Aufs höchste pervertiert wird die Grausamkeit der Handlungen Lecters in seinem Angebot an Clarice, ihre Peiniger einer „gerechten Strafe“ zuzuführen, unsteigerbar diabolisch und quälend exerziert in den letzteren Szenen des Films am Beispiel des Kollegen Paul Krendler. Ambivalente Anspielungen und Wortspielereien schockieren den Zuschauer auch in davor liegenden Einstellungen – etwa Starlings Bemerkung, L. A. bedeute eine Beleidigung von Lecters „gutem Geschmack“, oder auch Lecters amüsiert vorgebrachtes Begehren, die sanftmütige, intelligente und äußerst attraktive Ehefrau Rinaldo Pazzis zu „verspeisen“, das er diesem während seiner (durch Lecter inszenierten) Hinrichtung in Aussicht stellt, sprechen eine eigene Sprache.

Starling ist zu sehr Einzelkämpferin in diesem episodisch anmutenden Film, sie weist alle Nebenfiguren und Mitagitatoren unwiderruflich zurück, so dass sich in der Folge auch der Zuschauer abgewiesen wieder findet, nicht fähig, einen „Draht“ zu ihr zu bekommen.

Hannibal präsentiert sich seinem Publikum als ein auf Fortsetzung angelegtes und exzessiv in die Vergangenheit liebäugelndes Versatzstück: Das offene Ende, nämlich die Beantwortung der in einer Allegorie transportierten Frage Lecters nach Ruhm oder Fall Special Agent Starlings, beantwortet sich bereits nach diesem Kinobesuch – auch ohne Kenntnis des noch zu drehenden Filmmaterials. Mit Truffaut möchte man fragen: Was haben Sie sich dabei gedacht, Mr. Scott? Miriam-Maleika Höltgen

Hannibal
USA 2001
Regie: Ridley Scott; Kamera: John Mathieson; Musik: Hans Zimmer, Klaus Badelt, Geoff Zanelli
Darst.: Anthony Hopkins, Julianne Moore, Giancarlo Giannini, Ray Liotta, Francesca Neri, Gary Oldman u. a.
Verleih: Tobias Studio Canal
Länge: 132 Min.

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