Der obsolete Charme der Bourgeoisie

Überspitzt formuliert könnte man es als kleine Sensation bezeichnen, wenn ein Filmfestival unter der Obhut Moritz de Hadelns einen deutschen Film im Wettbewerb zeigt, haftete dem langjährigen Leiter der Berlinale doch stets der Ruf an, mit dem deutschen Film eher auf Kriegsfuß zu stehen. Umso erstaunter die Fachpresse, als mit Doris Dörries >Nackt< auch ein deutscher Beitrag in Venedig, dem "neuen Zuhause" de Hadelns, zu sehen war. Was war geschehen? Eine überfällige Versöhnung? Späte Einsicht? Hat die viel geschmähte deutsche Filmlandschaft etwa doch tatsächlich mal einen Film von herausragender Qualität hervorgebracht? Nun, man mag viel spekulieren, nach dem Kinogang könnte man aber auch ganz simpel zu dem Schluss kommen, Moritz de Hadeln wolle sich vielleicht auch nur noch mal für den etwas unrühmlichen Rausschmiss als Berlinale-Leiter rächen.
Ringelpiez mit Anfassen…

Drei befreundete Pärchen in den Endzwanzigern stellt der Film zu Beginn vor, jedes in einer eigenen Eingangssequenz. Obwohl, eigentlich sind es nur noch zwei: Felix (Benno Fürmann) und Emilia (Heike Makatsch), beide Angestellte in eher kümmerlichen Verhältnissen, haben sich offenbar vor nicht allzu langer Zeit getrennt, streiten aber noch immer leidenschaftlich über ihre Beziehung. Etwas nagt noch in den Beiden, einen richtigen Schlussstrich gab es offenbar bislang nicht. Dylan (Mehmet Kurtulus) und Charlotte (Nina Hoss) hingegen sind im letzten Jahr zu Geld gekommen, zu sehr viel Geld sogar, und leben in einer luxuriös-dekadenten Wohnung. Mit dem Geld kamen auch die Konventionen der Upper Class und die vielen kleinen Spießigkeiten, was Dylan nicht wahrhaben will und Charlotte zwar bemängelt, sich letzten Endes aber doch nicht wirklich dagegen wehrt. Auch hier hängt der Haussegen gerne mal schief. Und dann gibt es da noch die leichte esoterisch angehauchte Annette (Alexandra Maria Lara) und den recht erdigen Boris (Jürgen Vogel), die im Zuge des Geldsegens der anderen – Dylan ist mittlerweile eher Boris‘ Chef denn sein Freund – ebenfalls einen ganz guten Batzen auf der Habenseite verbuchen konnten und somit eher auf der Gewinnerseite der Mittelschicht stehen. Seit einer Woche trägt Boris zudem einen Ring in der Hosentasche, der nur darauf wartet, im richtigen Moment gezückt zu werden. Dass sich dieser bislang nicht eingestellt hat, lässt ebenso einige Schlüsse auf das Beziehungsleben der beiden zu, wie auch die kleinen Streitigkeiten und schnellen Versöhnungen, deren Zeuge der Zuschauer wird.

Alle 3 Paare sind in heller Aufregung, schließlich haben Dylan und Charlotte zum Diner geladen. Wirklich begeistert davon ist eigentlich keiner, dem anderen gegenüber eingestehen kann es jedoch ebenfalls kaum einer – außer Felix, der nicht müde wird, seinen Zynismus vor den anderen Paaren auszuleben. Offensichtlich wähnt er sich als der große Verlierer unter den 3 Männern, der zudem – das beleuchtet der Film jedoch nicht en detail – von den anderen ausgebootet wurde. Das Essen verläuft mehr oder weniger aufregend, ein wenig Smalltalk, ein wenig halbgares Schwelgen in Erinnerungen, ein bisschen Beziehungstratsch und kleine Sticheleien – ansonsten eher gedämpfte bis bedrückte Atmosphäre.

Doch an einem kleinen Einwurf entbrennt ein Konflikt: Emilia berichtet von wissenschaftlichen Untersuchungen, die zu dem Schluss kommen, dass die wenigsten Menschen die Hände ihres Partners auf Fotografien wiedererkennen könnten. Und noch schlimmer: mit verbundenen Augen könne kaum einer den Körper des Partners von anderen unterscheiden. Im Sekundentakt brechen die bereits angedeuteten Konflikte aus: Würdest Du mich erkennen? Wetten nicht? Ich wette da doch nicht! Ach, warum nicht? Was willst Du damit sagen? Felix wittert – aus der Distanz des abgeklärt realistischen „Wieder-Singles“ – schnelles Geld und stachelt die Konflikte weiter an. Keiner will als Feigling dastehen, im Nu steht eine Wette mit dem jeweils bürgerlichen Stand entsprechendem Einsatz steht im Raum: Charlotte, Annette, Dylan und Boris sollen sich mit verbundenen Augen, nackt und schweigend abtasten, Felix und Emilia – als Singles von der Beweislast glücklicherweise befreit – beobachten das Geschehen als Schiedsrichter. Selbstredend geht das ganze nach hinten los, keiner der Probanten erkennt den Partner wieder. Höchste Zeit für eine intensive Introspektive also – mit mehr oder weniger (un)erwartetem Ausgang!

Adaption einer Illustrierten

Ein Stoff, der erst mal viel verspricht: subtilen Wortwitz etwa, spritzig- spitze Dialoge, ein wenig Klassenkampf und knisternde Tasterotik, das ganze noch garniert mit einer Extra-Portion Esprit – et voilà: ein gelungener Kinoabend!

Die Ernüchterung folgt jedoch schnell, denn auf dem Regiestuhl saß nicht etwa Pedro Almodovar oder Francois Ozon sondern eben Doris Dörrie. Werden Felix und Emilia noch charmant und mit Witz eingeführt, macht sich schon bei der Einführung des letzten Paares etwas Langeweile breit und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier dem Zuschauer Beziehungskisten vorgeführt werden, wie sie vor allem täglich in den Psycho-Tests diverser Boulevardblätter stattfinden. Ein Beispiel:

„Sie haben Freunde zum gemütlichen Diner eingeladen. Im letzten Moment kippt ihr Freund jedoch Sahne in die Sauce und versaut sie damit vollkommen. Wie reagieren Sie?

A. Sie sagen: „Ist doch nicht so schlimm, Schatz, öfter mal was Neues ausprobieren! Unsere Freunde sind doch aufgeschlossen!“ (6 Punkte)

B. Sie schreien ihren Freund hysterisch an und schmeißen den Braten samt Sauce aus dem Fenster! (0 Punkte)

C. Sie sind etwas sauer, was sich aber schnell wieder legt und versuchen ihren Freunden die Situation zu erklären! (3 Punkte)“

So klappert der Film also eine klischeeüberladene Psychotest-Situation nach der nächsten ab und lässt seine Charaktere immer und immer wieder die Antwort mit der geringsten Punktzahl wählen. Und entgegen landläufiger Meinung ist das weder lustig noch satirisch und schon gar nicht „aus dem Leben gegriffen“, sondern in erster Linie plump inszeniert und unzeitgemäß. Nicht selten fragt man sich genervt, ob es denn heutzutage wirklich noch Menschen gäbe, die ihre Beziehungen dergestalt führten. Und wenn dem wirklich so sein sollte – und da hege ich meine ernsten Zweifel! – stellt sich einem noch immer die Frage, ob dieser Umstand dann auch gleich in Form eines Filmes bedacht werden müsse. Ihre großen Achtungserfolge feierte Doris Dörrie in den 80er Jahren und damals traf sie auch den Nerv der Zeit. Heutzutage wirkt >Nackt< jedoch, aufgrund seines doch zutiefst anachronistischen Charakters, vor allem unfreiwillig komisch, maßt sich da doch jemand, der offensichtlich in den 80ern steckengeblieben ist, an, den Status Quo der Beziehungsfähigkeit hiesiger Twens beleuchten zu können und ist doch nur dazu in der Lage, gängige Klischees aus zwei bis drei Illustrierten in Bilder zu fassen. Das hierfür eine Inszenierungsform gewählt wurde, die sich unverblümt bei Motiven von Ozon, Godard und dem Brecht'schen Theater bedient, macht das ganze nur noch madiger. Zu mehr als nur einem Beziehungsschwank macht diese Kokkettiererei den Film auch nicht. Banal dann auch die Message des Ganzen, die den Film abschließt: Zuviel Nähe tut nicht gut - man muss sich auch mal wieder fremd werden können, um sich wieder nahe zu sein! Auch hier also altbekannter Charme der Partnerschaftsberatung, gleich zwischen Rätselseite und Fernsehprogramm. Eine banale, die Realität zudem verkürzende Binsenweisheit, die dem Hetero-Paar-Diskurs weder Erhellendes beizufügen vermag, noch diesen in irgendeiner Weise subtil kritisiert. Dazu passen dann auch die versöhnlichen letzten Bilder der drei Paare, die den wenigen Ansätzen einer kritischen Analyse des "Hetero-Paares im frühen 21. Jahrhundert" final das Wasser abgräbt: Beziehungen sind halt immer irgendwie stressig und es gibt irgendwie viele Probleme, aber man muss halt immer irgendwie wieder seinen Glauben an die Liebe erneuern, dann ist doch alles irgendwie ganz schön. Für einen böseren, satirischeren Schluss, der dem Ganzen vielleicht noch etwas frischen Wind verliehen hätte, fehlte Dörrie wohl der Mut. Das einfache Glück ist halt doch das schönste, man muss es nur wollen. Oder sich - koste es was es wolle - dahin biegen. Willkommen im Biedermeier! Der Vorhang fällt

Unterm Strich bleibt ein Film, der in erster Linie überkommene Klischees präsentiert und sich somit selbst seiner Gültigkeit als vermeintliche Satire beraubt. Eine eher plumpe Inszenierung und ein versöhnlicher Schluss „auf Teufel komm raus“ tun ihr übriges, um das letzte bisschen Biss zu entfernen. Flach und banal in der Aussage, somit ein biederes Filmerlebnis. Da machen auch die einzeln verstreuten, gelungenen Lacher und die, zugegeben, knisternde „Tastperformance“ den Braten nicht fett. Gala- und Brigitte-Lesern sei er herzlich empfohlen.

Nackt
Deutschland 2002
Regie und Buch: Doris Dörrie (nach ihrem Stück >Happy< ) Produktion: Franz X. Gernstl und Norbert Preuss Kamera: Frank Griebe Schnitt: Frank C. Müller, Inez Regnier Musik: Ivan Hajek Darsteller: Heike Makatsch, Benno Fürmann, Alexandra Maria Lara, Jürgen Vögel, Nina Hoss, Mehmet Kurtulus

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