The New World

Pocahontas, der Name fällt an keiner Stelle. Einmal – fast, im letzten Moment dann doch nicht. „Sie trägt diesen Namen nicht mehr!“, meint der eine, später wird sie Rebecca heißen und ist dann schon ganz in die syntagmatische Signifikantenkette der anderen eingegangen. Ein Verlauf, der mit sacht nachgeplapperten Wörtern einsetzt und den The New World, geradewegs in einer Umkehrung der mit diesem Diktum verbundenen Assoziation (denn in der für Rebecca neuen Welt, die dem Zuschauer bis dahin fremdgeworden zu sein nahegelegt wird, wird der Film enden), en detail schildert. Ein Prozess der kulturlellen Einverleibung, Adaption und Verschiebung, den Malick als „Verlust der Unschuld“ zu charakterisieren sich beeilt und damit doch nur im eigenen Garten gräbt.

Mehr als alle anderen Malick-Filme ist dieser Bilderbogen; die Kamera schaut aus dem Wasser in den Himmel, sie schaut vom Erdboden in den Himmel, an Bäumen und Gräsern entlang, wirft Blicke vom Himmel auf den Boden, lässt Noch-Pocahontas als überhöhtes Nymphchen durch Steppen tanzen – Paradies- und Erinnerungsbilder allenthalben, die kein Narrativ formulieren; dies erledigen die multiperspektivischen Voice-Overs, die neben Handlungserläuterung leider auch manchen Spruch aus dem Poesiealbum, die Tiefe der Liebe und die eigene Aufrichtigkeit betreffend, besorgen. Zumindest ersteres ist nicht das Schlechteste: Zwar wird Voice-Over gerne als unfilmisch gescholten (was natürlich an sich Unfug ist, beweist doch gerade die Tradition der benshi im japanischen Stummfilmkino, dass ein solches bildäußeres struktives Element dem Bild und seinem Status für das Funktionieren des Films auch sehr zugute kommen kann), doch bietet er hier Malick die Möglichkeit, sich von der Verpflichtung zur narrativen Sequenzialisierung zu emanzipieren ohne im bloß Abstrakten zu landen.

Und man merkt, dass er genau dies im Sinne hatte; alles lädt ein zur meditativen Kontemplation. Die Naturansichten, die Ansichten der Ureinwohner, die leicht bekleidete Pocahontas, das stete Zirpen und Gurren auf der Tonspur, nicht zuletzt die Musik, die sich in Schwermut und Romantik übt. Das Problem alleine ist, dass man immer nur diese Absicht sieht, nie aber deren Ergebnis. Malick ist sichtlich bemüht, am eigenen Werk anzuschließen, und steckt dabei doch nur seine eigenen Charakteristika baukastenartig zusammen. Der Film atmet Bedeutungstiefe wie kein zweiter auf diesem Festival; und doch bedeutet jedes Bild nur „Dies ist ein Malickfilm“. Das einstige Wunderkind von New Hollywood, der Legenden umwobene Einsiedler der us-amerikanischen Filmindustrie ist mit seinem vierten Film in rund 35 Jahren leider Gottes bei der routinierten Selbstzitation gelandet. Ästhetische Erfahrung um jeden Preis will dieser Film sein, Reflexion kulturphilosophischer Konstanten auf hohem Niveau; geworden ist’s Postkartenkino mit etwas Meditationskolorit – wohl gerade ausreichnend für die Produktionsgesellschaft New Line Cinema, um, wenn schon vermutlich nicht als großer wirschaftlicher Erfolg, so eben doch als Kunst-Prestigefilm für’s eigene Renommé verbucht zu werden.

Dabei ist der Film stellenweise gar nicht mal schlecht; zuweilen recht gelungen rückt er den Status von Symbolen und Ritualen (diese nicht so sehr als festives Element verstanden, sondern generell als performatives, im Miteinander sinnstiftendes Verhalten) für Kulturen in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Die kulturellen shiftings, die alleine Pocahontas vorbehalten sind – Captain Smith, ihr tragischer Liebhaber, wird nie beim Einüben von Worten gezeigt, lediglich beim Einüben von rituellen Handlungen, doch mögen diese zu rein äußerlicher Mimesis gerinnen, wie auch sein im Voice-Over dargestelltes Verständnis der Ureinwohner manches Missverständnis verrät -, protokollieren dabei vielleicht überhaupt die Entdeckung von Kultur als solcher (im Gegensatz zu einem als naturalisiert wahrgenommenen Zustand verstanden), die, um sich ihrer Kulturalität bewusst zu werden, das Fremde und Andere überhaupt erst benötigt. Für diese Prozesse nimmt sich The New World viel Zeit, und hier kann er bestehen.

Allein, er gibt sich nicht damit zufrieden. Er schwingt sich auf zur steten Mythifizierung und schreibt sich fortlaufend als Kommentar voller Elegie über den Verlust menschenhistorischer Unschuld in die Begegnung der Kulturen ein. Da er ästhetisch nicht einlösen kann, was er einem in Permanenz nahelegt, bleibt The New World als seltsam delirant gescheiterter Versuch in Erinnerung, der sehr zu seinem Schaden den guten Film, der er ohne weiteres hätte sein können, immer als Ahnung mit sich herumträgt.

imdb ~ Jump Cut -Kritik

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