Auto-Didaktik

Was haben ein aus Böhmen stammender Obst- und Gemüsehändler und ein von Nietzsche inspirierter Anführer einer Mopedgang gemeinsam? Beide sind wohnhaft im hessischen Darmstadt, Kunden des Autohauses Neubert und Protagonisten der deutschen Fernsehserie „PS“, die es Mitte der Siebzigerjahre auf immerhin vier Staffeln à vier Folgen brachte.

51YmBc7KLVL[1]Mit den ersten beiden Staffeln, die unter dem Titel „PS – Geschichten ums Auto“ im deutschen Fernsehen gelaufen waren (und über die ich hier bereits geschrieben habe), hatte der Drehbuchautor Robert Stromberger („Die Drombuschs“) den gewagten Versuch unternommen, das Bedürfnis des Zuschauers nach Unterhaltung mit dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Einklang zu bringen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in akribischer Detailversessenheit über die rechtlichen und technischen Probleme, die der Kauf eines Neuwagens und dessen Wartung mit sich bringen konnten, aufzuklären, ohne dabei jedoch den dramatischen Aspekt zu vernachlässigen. So machte er seine Zuschauer mit der bürgerlichen Familie Schmitting und der Belegschaft des Autohauses Neubert bekannt, führte vor, was man beim Abschluss eines Kaufvertrages alles beachten muss, welche Folgen es nach sich ziehen kann, wenn man dies nicht tut, und was hinter den Kulissen eines Autohändlers und Dienstleisters so vor sich geht. „PS – Geschichten ums Auto“ erreichte dabei ein fast dialektisches Niveau, das den Rahmen einer gewöhnlichen Fernsehserie bis aufs Äußerste ausdehnte und den Zuschauer mehr als einmal auf eine harte Geduldsprobe stellte. Jedes Für hatte sein unerwartetes Wider, vor dem vermeintlichen Ziel tauchten immer neue Hindernisse auf und die Protagonisten diskutierten noch kleinste Details und technische Sachfragen mit einer Ausdauer, die dem Zuschauer den Eindruck vermitteln musste, in einem Albtraum kafkaesken Ausmaßes gelandet zu sein. Die Serie vermittelt dem heutigen Betrachter damit auch einen recht genauen Blick auf die deutsche Befindlichkeit in den Siebzigerjahren: Nur in einem Jahrzehnt, in dem der Kauf eines Kleinwagens als Anlass für ein homerische Dimensionen annehmendes Drama fungieren und eine Familie in existenzielle Nöte führen konnte, konnte eine Serie wie „PS – Geschichten ums Auto“ als Unterhaltung konzipiert und rezipiert werden.

Mit der dritten, auf vier ca. einstündige Episoden gerafften Staffel scheint Stromberger sein Konzept zunächst formal perfektioniert zu haben: Auf einen klar umrissenen, griffigen Fall und ein Minimum an Subplots reduziert, kommt „PS – Franz Brodzinski“ deutlich schneller zum Punkt als noch die ersten beiden Staffeln. Dem gutmütigen Gemüsehändler Franz Brodzinski (Hans Putz) fährt an einer Kreuzung die vornehme Frau Isél (Wega Jahnke) auf, beschädigt seinen Hanomag, mit dem er das Gemüse ausfährt, und gefährdet damit seine Existenz. Deshalb – und weil er weiß, dass jemand wie er er am Ende immer der Dumme ist – will er alles richtig machen: Er lässt sich ein schriftliches Schuldeingeständnis der Frau geben, er ruft die Polizei und er begibt sich im Anschluss sofort zum Autohaus Neubert, damit sie mit der Reparatur seines Wagens beginnen können, die, da ist er sich ganz sicher, die gegnerische Versicherung genauso übernehmen wird wie die Kosten für einen Mietwagen. Doch natürlich kommt es ganz anders und obwohl Brodzinski doch fast alles richtig gemacht hat, ist er am Ende doch wieder der Dumme.

Dass „PS – Franz Brodzinski“ im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Staffeln fast als Antiaufklärung bezeichnet werden muss, liegt an den Vorzeichen begründet, unter denen Stromberger seinen Fall betrachtet: Der Zuschauer lernt nämlich nicht, wie er sich richtig verhält, sondern was er alles falsch machen kann. Weil es diesmal also weniger darum geht, eine alltägliche Geschichte möglichst realistisch zu erzählen, sondern darum, ein Worst-Case-Szenario zu zeichnen, wird dem Zuschauer der Eindruck vermittelt, dass ein richtiges Verhalten überhaupt gar nicht möglich ist. Jedes Übel, das einem im Kontakt mit Werkstätten, Versicherungen, Gutachtern und schließlich der Justiz wiederfahren kann, wiederfährt dem armen Herrn Brodzinski, der zudem mit seinen verzweifelten und zum Teil gegen jede menschliche Vernunft unternommenen Rettungsversuchen seinen Teil dazu beiträgt, sich in immer größere Schwierigkeiten zu bringen. Über weite Strecken schlägt die eigentlich als Infotainment angelegte Serie somit in reine Panikmache um, die die Ängste des gemeinen Bild-Zeitungs-Leser und seine Ressentiments gegenüber dem Rechtssystem bedient, alle seine Vorurteile bestätigt. Der arme Gemüsehändler zieht mit seinem böhmischen Akzent, dem braunen Hut und seinem Arbeitskittel die Sympathien der Zuschauer auf seine Seite, wird als hilfloses Opfer eines bizarren und für den Laien komplett undurchsichtigen Rechtssystems gezeichnet, das den Menschen längst vollkommen vergessen hat und in dem der Ehrliche stets der Dumme ist. Seine Gegner sind im Gegensatz dazu in Fachchinesisch parlierende Bürokraten, Geschäftsleute, die nur auf ihre Bilanz achten, und mit dem Ehepaar Isél auch noch zwei ausgesprochen unsympathische Vertreter der gehobenen Mittelklasse, die es sich aus fadenscheinigen Gründen zum Ziel gemacht haben, Brodzinski fertigzumachen, obwohl es für sie auf ein paar Tausend Euro mehr oder weniger doch eigentlich nicht ankommt. Die ganze Staffel bezieht ihre Spannung aus dieser Polemik, der Gegenüberstellung des mittellosen Bürgers mit den für ihn unangreifbaren höheren Kräften. Recht und Moral werden konsequent gleichgesetzt und dem Protagonisten nicht einmal der kleinste Triumph gegönnt. Nach jedem Schritt nach vorn wird der Gemüsehändler zwei Schritte zurück geworfen und sein ganzes Leid wiegt umso schwerer, als um ihn herum alle mit äußerster Fassung und Indifferenz gegenüber seinem Schicksal agieren. Für den Zuschauer ist „PS – Brodzinski“ somit kaum weniger quälend als für seinen Titelhelden; kein sachlich-distanziertes Lehrstück, sondern auf Empörung und Entrüstung zielendes Affektfernsehen.

Die vierte und letzte Staffel „PS – Feuerreiter“ lässt vermuten, dass Stromberger seine Fehler selbst erkannt und eingesehen hatte, dass er mit „Franz Brodzinski“ an die Grenzen seines Infotainment-Konzeptes gestoßen war und den Bogen überspannt hatte. Den Ratgeberanteil wirft er nun vollkommen über Bord, mit der Mopedgang wählt er ein jugendliches Sujet und ersetzt die endlosen verbalen Streitereien und theoretischen Vorträge gar durch handfeste Action. „PS – Feuerreiter“ erzählt vom Jugendlichen Jochen (Jochen Schröder), einem begeisterten Mopedfahrer, der nur einen Wunsch hat: Er will Mitglied der „Feuerreiter“ werden, einer stadtbekannten Mopedgang unter der Führung des intellektuellen Revoluzzers Hamlet (Willi Kowalj). Die „Feuerreiter“ sind aber keine gewöhnliche Gang. Sie sind keine Rocker, die marodierend und alkoholisiert durch die Straßen ziehen und Spießbürger drangsalieren, sondern Ritter, die sich einem strengen Kodex verpflichtet haben und sich als eine Art moralische Elite betrachten. Doch Hamlets Fantasien driften immer mehr ins Faschistoide ab, sodass die „Feuerreiter“ bald nicht nur mit dem Gesetz in Konflikt geraten, sondern schließlich auch mit inneren Konflikten zu kämpfen haben.

Diese plötzliche inhaltliche Akzentverschiebung lässt sich zum einen vielleicht aus dem damals vor allem im Exploitationfilm blühenden Interesse an Bikern und Rockern erklären, das ausgesprochen gut geeignet war, zum einen die (irrationalen) Ängste eines kleinbürgerlichen Publikums zu bedienen, zum anderen aber auch ein jüngeres Publikum zu begeistern und außerdem etwas zu thematisieren, das in den drei vorangegangenen Staffeln viel zu kurz gekommen war: die Freude am Fahren. Für die „Feuerreiter“ ist das Moped nämlich nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern in erster Linie Ausdruck ihrer Persönlichkeit und Hobby. Ausgiebig wird die Gang bei ihren motorisierten Ausflügen und bei ihren Fahrübungen in einer Kiesgrube gezeigt, die ihnen als Übungsplatz dient. Die Jungen träumen von einem einheitlichen, gemeinsamen „Sound“ und schwärmen vom „Gefühl“, das sie beim Fahren erleben. Dieses Freiheitsgefühl wird jedoch mehr und mehr von den Bestrebungen Hamlets ausgehöhlt, der seine Schützlinge einem rigiden autoritären Regelsystem unterwirft und ihnen damit genau jene Ketten anlegt, derer sie sich doch eigentlich mit ihrer Mitgliedschaft entledigen wollten. Somit erzählt Stromberger implizit auch hier wieder von einer überreglementierten Welt und den daraus resultierenden Folgen für den Einzelnen. Doch anders als in der vorangegangenen Staffel werden diese Regeln dem Menschen nicht mehr von einer anonymen Macht wie „von oben“ oktroyiert, sie kommen vom Menschen selbst: von den Eltern Jochens, die die Bedürfnisse ihres Sohnens nicht verstehen (im Konflikt zwischen beiden Parteien wird in einer eindringlichen Szene ganz explizit auf die Schuld verwiesen, die die Elterngeneration im Zweiten Weltkrieg auf sich geladen hat), und von Hamlet, dessen Entwicklung vom Utopisten zum Faschisten genau jenen dialektischen Schritt nachvollzieht, den Adorno und Horkheimer einst in ihrem Hauptwerk „Die Dialektik der Aufklärung“ beschrieben hatten.

Auch das ausgewogene Verhältnis von Für und Wider, das die ersten beiden Staffeln ausgezeichnet hatte und das in der dritten Staffel in Polemik umgeschlagen war, erreicht Stromberger wieder. Die Faszination am motorisierten Untersatz und das Bedürfnis des Jugendlichen nach dem Gemeinschaftserlebnis wird plausibel gemacht und ernst genommen, die Gefahren nicht als der Sache selbst inhärent, sondern als auf Missbrauch beruhend beschrieben. So beschäftigt sich ein nicht unwichtiger Teil der Staffel auch mit den auf Vorurteilen begründeten Inkriminationsversuchen der Erwachsenenwelt im Allgemeinen und der Presse im Besonderen. Mit den beiden Vorgängern verbindet „Feuerreiter“ somit eigentlich nur noch das Autohaus Neubert, dass auch hier wieder den Ausgangspunkt für diverse Subplots bildet und so schließlich endgültig als das Zentrum der Serie etabliert wird. Einige Figuren aus den ersten beiden Staffeln tauchen wieder auf, andere lernt der Zuschauer zum ersten Mal von einer privaten Seite kennen. Diese Tatsache trägt zu dem Eindruck bei, dass sich hinter den einzelnen Episoden ein breites Netz aus Einzelschicksalen und Geschichten verbirgt, von denen der Zuschauer jeweils nur einen kleinen Ausschnitt wahrnimmt. In ihrem Gesamtentwurf muss man Strombergers Serie somit attestieren, erste Schritte in eine Richtung unternommen zu haben, die gute 15 bis 20 Jahre später mit Daily Soaps oder den heute populären, breite narrative Bögen spannenden Serien zum Standard wurde.

Ein nicht ganz unerheblicher Teil des Vergnügens, das soll hier bei allem Interpretationswillen nicht unterschlagen werdem, erwächst für den Betrachter natürlich aus dem kaum zu leugnenden Nostalgiefaktor. Nicht nur, dass man einen sehr ausgiebigen Blick auf das bundesrepublikanische Deutschland der Siebzigerjahre werfen kann, die Serie ermöglicht auch ein Wiedersehen und -hören mit vielen bekannten deutschen Schauspielern und Synchronsprechern und darf somit als ein in jeder Hinsicht lebendiges historisches Dokument angesehen werden.

3. und 4. Staffel: PS – Franz Brodzinski/PS – Feuerreiter
(Bundesrepublik Deutschland 1978/1979)
Regie: Claus Peter Witt; Drehbuch: Robert Stromberger, Eberhard Scharfenberg, Karl Wittlinger; Musik: Rolf Kühn; Kamera: Bernd Schofeld, Hans-Joachim Theuerkauf; Schnitt: Irene Brunhöfer
Darsteller: Hans Putz, Jochen Schröder, Lutz Mackensy, Liane Hielscher, Willi Kowalj, Wega Jahnke, Detlof Krüger, Witta Pohl, Wolfgang Condrus u. a.

 

Zur DVD-Box von Al!ve

Die beiden letzten Staffeln der Serie „PS“ liegen nun in einem handlichen Digipack vor. Die vier DVDs beinhalten jeweils zwei Folgen, Bild- und Tonqualität sind sehr ansprechend, Extras gibt es leider keine.

Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0)
Extras: keine
FSK: Ab 12
Länge: 480 Minuten
Preis: 24,95 Euro

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